Linker Parlamentarismus und außerparlamentarische Bewegung – ein Bericht
5. Gesellschaftspolitisches Forum am 21.1.2006, Düsseldorf
Der erfolgreiche gemeinsame Auftritt von Linkspartei.PDS und WASG zur Bundestagswahl mit der Folge der Präsenz einer starken Linksfraktion im Bundestag hat die Frage des Zusammenspiels von außerparlamentarischer Bewegung (Gewerkschaften, Sozialverbände, globalisierungskritische Bewegung etc.) und parlamentarischer Linke wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Während für viele politische Akteure aus Linkspartei.PDS und WASG das Wechselspiel von sozialem Druck und Präsenz im politischen Raum eine unabdingbare Vorraussetzung für das Zurückdrängen des Neoliberalismus und damit eine Veränderung der Kräfteverhältnisse im Land ist, bleiben Teile der politischen Linken auf Distanz und befürchten Verselbständigungstendenzen, sobald der politische Raum betreten wird oder sehen in einer von den sozialen Bewegungen getragenen Fundamentalopposition den einzig gangbaren Weg für eine Veränderung der Gesellschaft.
Dieses breite Spektrum der politischen Linken war präsent bei dem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Redaktion Sozialismus und WISSENTransfer organisierten Gesellschaftspolitischen Forum »Linker Parlamentarismus und außerparlamentarische Bewegung« am 21. Januar in Düsseldorf. Unter den gut 250 TeilnehmerInnen – Abgeordnete der Linkspartei aus dem Europaparlament, dem Bundestag, dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Stadträte aus NRW, Mitglieder der Linkspartei.PDS und der WASG, GewerkschafterInnen, AktivistInnen der Sozialforen, von Attac, von Erwerbsloseninitiativen, Friedensgruppen wie Pax Christi und Migrantenorganisationen – entwickelte sich eine z.T. sehr kontroverse Debatte über die verschiedene Facetten des Themas (Spielräume nationalstaatlicher Politik, Stellenwert parlamentarischer Arbeit und eines radikalen Reformismus, Rolle und Erfahrungen linker Konmmunal-, Landes- und Bundespolitik etc.)
Das Forum war als Ratschlag organisiert. Im Eröffnungsplenum umrissen sieben ImpulsgeberInnen die Themen der Arbeitsgruppen, in denen die TeilnehmerInnen die Möglichkeit zu intensiven Debatten hatten. Kritisch muss angemerkt werden, dass im Schlussplenum mehrfach die Berichterstattung aus den AGs bemängelt wurde und nur unzureichend Raum für die Auswertung der Diskussionsergebnisse aus den Arbeitsgruppen blieb.
Den inhaltlichen und stimmungsmäßigen Auftakt der Veranstaltung bildete der kurze Bericht einer Abordnung der Kollegen der Düsseldorfer Firma Gate Gourmet über ihren bis dahin bereits 107 Tage währenden Streik. Sie erhielten große Unterstützung, die sich nicht zuletzt in einem Spendenbeitrag von 741 Euro niederschlug.
Möglichkeiten und Grenzen
Im Verlauf der Tagung beschäftigten sich ImpulsgeberInnen und TeilnehmerInnen immer wieder mit den Möglichkeiten und Grenzen linker Parlamentsarbeit sowie dem Spannungsverhältnnis von parlamentarischer Arbeit und außerparlamentarischer Bewegung. Ulla Jelpke, MdB, nannte die Bundestagsfraktion »Sprachrohr der Bewegung«. Ihr Kollege Paul Schäfer sah die Verankerung der Fraktion in den Basisbewegungen als Garanten für linke Politik. Die Übernahme von Regierungsverantwortung auf kommunaler, Landes- oder gar Bundesebene war Gegenstand zweier Arbeitsgruppen. Angelika Gramkow, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei.PDS im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, vermittelte, wie sie und ihre MitstreiterInnen sich nach acht Jahren Opposition und Druck auf die Landesregierung von der Straße aus entschlossen, sich an der Regierung zu beteiligen. Sie erfuhren, dass dies ermöglichte, Türen für ihr eigenes politisches Wirken, aber auch für Basisinitiativen zu öffnen. Hermann Dierkes, Vorsitzender der Ratsfraktion »Die Linke/Offene Liste« in Duisburg, berichtete, wie die Linken in NRW vor 25 Jahren die Kommunalpolitik entdeckten und mit welchen Problemen sie sich heute herumschlagen. Er beklagte die fortschreitende Beschränkung der Handlungskompetenz der Kommunalparlamente und damit auch der Möglichkeiten der heute 120 linken »Kommunalos« in NRW, etwas für die BürgerInnen zu erreichen.
Rolle der alten und neuen sozialen Bewegungen im außerparlamentarischen Widerstand gegen neoliberale Politik
Als zentrales Thema der Veranstaltung erwies sich sowohl in der Arbeitsgruppe »Rolle der alten und neuen sozialen Bewegungen im außerparlamentarischen Widerstand gegen neoliberale Politik« als auch in den Plenarsitzungen die Frage des Zusammenwirkens von künftiger Linkspartei, Gewerkschaften und neuen sozialen Bewegungen. Peter Grottian, Politikwissenschaftler aus Berlin, vertrat dazu die These, dieses Trio sei bisher ein Torso. Es komme darauf an, es besser aufzustellen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Die soziale Protestbewegung sei in den Jahren 2003/2004 so stark wir lange nicht mehr gewesen. Folglich gebe es gute Voraussetzungen für gemeinsame Aktionen. Echte Kooperation vollziehe sich in sozialen und politischen Konflikten zwischen den abhängig Beschäftigten sowie Ausgegrenzten und den Herrschenden. Horst Schmitthenner, Beauftragter der IG Metall für die sozialen Bewegungen, forderte, die gemeinsamen Schnittmengen zwischen den alten und neuen sozialen Bewegungen zu finden. Beide haben gemeinsame Inhalte, agieren aber in unterschiedlichen Kampfformen. Die Stärke der Gewerkschaften bestehe in ihrer Mitgliederzahl und Mobilisierungsfähigkeit. Dies treffe zwar auch auf die neuen Bewegungen zu. Die Gewerkschaften verfügten jedoch über das zusätzliche »Spielfeld« der Betriebe und der Tarifpolitik. Er forderte die Bundestagsfraktion DIE LINKE auf, sich mit ihrem medialen Gewicht in strittige soziale Konflikte einzumischen.
Die Kontroverse über die nächsten Aktionen machte gleichzeitig den nach wie vor bestehenden Diskussionsbedarf deutlich. So sprach sich Horst Schmitthenner gegen eine Großdemonstration am 25. März aus. Die Gewerkschaften seien im Februar/März mit ihrem Kampf im Öffentlichen Dienst und der Tarifrunde für den Metallbereich stark absorbiert. Hier fänden wichtige Weichenstellungen für ein Zurückdrängen des Neoliberalismus statt. Zudem beanspruche die Entwicklung des sozialen Protests gegenüber der Politik der Großen Koalition noch Zeit. Große Teile der Bevölkerung stünden den rot-schwarzen Regierungsvorhaben zwar skeptisch, aber gleichwohl noch abwartend gegenüber, sodass eine breite Mobilisierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erwarten ist. Er plädierte deshalb für eine Konzentration des sozialen Protests auf den Herbst.
Kontrovers auch die Debatte in der Arbeitsgruppe »Möglichkeiten von nationalstaatlichem Keynesianismus unter heutigen neoliberalen Bedingungen«, die Karlheinz Roth mit der These einleitete, dass unter den Bedingungen der Globalisierung eine »postkeynesianische«, nationalstaatliche Politik nicht mehr möglich sei. In der Gegenposition wurde darauf verwiesen, dass auch unter den veränderten Bedingungen einer stärkeren Vernetzung der nationalen Ökonomien sowohl national wie auch im Rahmen der europäischen Union durchaus Spielräume für eine Verbesserung der Situation der Lohnabhängigen und sozial Ausgegrenzten (Löhne, soziale Sicherheit, Steuern) existieren, die zugleich erste Schritte in Richtung einer weitergehenden Gesellschaftsveränderung sein können.
Ergebnisse des Schlussplenums
Im Schlussplenum diskutierten die TeilnehmerInnen der Düsseldorfer Veranstaltung eine Reihe von Empfehlungen, die in den Arbeitsgruppen teilweise sehr umstritten waren (siehe oben). Der Raum für eine ausführliche Diskussion war allerdings – wie schon erwähnt – zu knapp und das am Ende erstellte Meinungsbild nicht mehr repräsentativ, weil viele TeilnehmerInnen schon abgereist waren. Gleichwohl seien die »Empfehlungen« hier dokumentiert:
- Obwohl der Aufruf zu zwei Demonstrationen gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie kritisiert wurde, sprachen sich die TeilnehmerInnen für eine Mobilisierung sowohl für den 11. Februar 2006 nach Berlin als auch für den 14. Februar 2006 nach Strassburg aus.
- Nach kontroverser Debatte zum Kölner Aufruf der Vertreter von Sozialforen und Montagsdemonstranten verständigte sich die Mehrheit der Anwesenden darauf, die Demonstration gegen Sozialabbau am 25. März 2006 in Berlin durch Aufrufe möglichst vieler Organisationen zu einem gelungenen Auftakt der sozialen Proteste 2006 zu gestalten und bis zum Herbst 2006 Kräfte für eine zugespitzte Auseinandersetzung mit der Sozialpolitik der Bundesregierung zu sammeln.
- Die Abgeordneten der Linkspartei im Bundestag wurden aufgefordert, sich an sozialen Protesten wie Verhinderung von Zwangsumzügen von Hartz IV-EmpfängerInnen, Streiks oder zivilem Ungehorsam zu beteiligen.
- Eine Idee aus dem Kooperationsabkommen III zwischen Linkspartei.PDS und WASG aufgreifend, befürworteten die TeilnehmerInnen die Bildung gesellschaftlicher Räte auf verschiedenen Ebenen, die den Prozess der Entstehung der neuen Linkspartei beratend und kritisch begleiten sollen. Diese Strategieausschüsse des Trios – Linkspartei, Gewerkschaften, neue soziale Bewegungen – sollten von einer parteipolitisch ungebundenen Persönlichkeit geleitet und vorwiegend externe VertreterInnen aus Wissenschaft, Kunst und Kultur umfassen. Sie sollten nicht bei der Bundestagsfraktion, sondern bei den Parteiführungen von Linkspartei.PDS und WASG angebunden sein und regelmäßig öffentlich tagen.
- Die Unterstützung für den Prozess der Herausbildung der künftigen Linkspartei äußerte sich auch in der Forderung, zur Erreichung dieses Ziels bis zum 30. Juni 2007 jetzt einen Zeitplan mit Etappenzielen aufzustellen, der der gesellschaftlichen Linken Mitwirkung und kritische Begleitung ermöglicht.
- Angeregt wurde die Einberufung eines weiteren Gesellschaftspolitischen Forums zu »Rolle, Funktionsweise und Grenzen des bürgerlichen Nationalstaats unter den Bedingungen der neoliberalen Globalisierung«.
- An die Rosa-Luxemburg-Stiftung erging die Bitte, eine Broschüre mit den Texten von Rosa Luxemburg zu bürgerlichem Parlamentarismus zusammenzustellen und herauszugeben.
Resumee:
Die Aufgabe der Gesellschaftspolitischen Foren ist es, die zentralen strategischen Fragen linker Politik zu thematisieren, Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich zu machen und den weiteren Diskussionsbedarf abzuklären. Die Klärung der Gemeinsamkeiten ermöglicht das gemeinsame Agieren von sozialen Bewegungen und linken politischen Parteien. Die Fortsetzung der Debatte über die nach wie vor bestehenden Differenzen gehört zum weiteren Entwicklungsprozess einer starken politischen Opposition gegen den Neoliberalismus. Insofern war auch das Gesellschaftspolitische Forum in Düsseldorf eine Schritt in Richtung einer pluralistischen, sich ihrer Stärken und Schwächen bewussten »neuen Linken« und einer neuen linken Diskussionskultur.
Peter Bathke, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW
Bernhard Müller, Redaktion Sozialismus