100 Tage Schwarz-Rot
Frankfurt, 12. 03. 2006
Gewerkschaftshaus
Horst Schmitthenner
Zusammenfassung, Ergebnisse, Anforderungen für uns
Anrede
Vorweg: Wir sind mehr als 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Toll ist das.
Ich will versuchen, einige Gegenstände der Veranstaltung zusammenzufassen und einige Anforderungen benennen, die sich für uns stellen.
1. Wir brauchen eine andere Politik
Die verstärkte Gangart bei der Fortsetzung der Agenda 2010-Politik führt noch schneller in die Sackgasse anstatt heraus. Diese Politik drängt immer mehr Menschen in die Armut, vertieft die Spaltung in der Gesellschaft, führt zu einem Ausbau des autoritären Staates und zu einem stärker werdenden Rechtspopulismus. Diese Politik wird von immer mehr Menschen abgelehnt, die große Koalition repräsentiert gerade noch 53 % der Wahlberechtigten, zur Zeit der ersten großen Koalition in den 60ziger Jahren waren es noch über 80 %. Und heute sagen jeweils 2/3 in einer repräsentativen Umfrage, dass sie sich von der Regierung der großen Koalition weder große Fortschritte bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Sicherung der Renten, wohl aber zunehmende Belastungen durch Steuern und Abgaben versprechen.
2. Die außerparlamentarische Bewegung ist noch mehr als bisher gefordert.
Für die außerparlamentarische, für die soziale Bewegung aus der Gesellschaft heraus, ergeben sich daraus zwei Schlussfolgerungen
- angesichts der verheerenden Wirkungen dieser Politik müssen wir das Engagement für einen Politikwechsel verstärken und
- angesichts der schwindenden Akzeptanz dieser Politik in der Bevölkerung und dem Einzug von WASG und Linkspartei in den Bundestag haben sich die Chancen für einen Politikwechsel verbessert. Diese Chance müssen wir nutzen.
3. Was könnten wir tun? Was wäre zu tun?
Wir müssen uns auf politische Inhalte verständigen, um Alternativen für die zukünftige Entwicklung aufzuzeigen, damit die Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik eine Richtung bekommt und so die Bereitschaft und das Eintreten für einen Politikwechsel in der Bevölkerung befördert wird. Da sind wir heute einen großen Schritt weitergekommen.
Ich glaube, aus unseren Diskussionen lassen sich einige mögliche Kernprojekte einer gesellschaftspolitischen Alternative benennen, die wir gemeinsam vertreten können.
- eine grundlegend andere Wachstums-, Fiskal- und Beschäftigungspolitik, die zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit führt.
- die solidarische Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme, um wirklichen Schutz vor den sozialen Lebensrisiken (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter) zu bieten. Angesichts der immensen Zunahme von Armut und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft brauchen wir die Weiterentwicklung einer sozialen Grundsicherung.
- Wir müssen aber auch die Armut bekämpfen, in der Menschen landen, die Arbeit haben. Wir brauchen existenzsichernde Mindestlöhne.
- Ausbau und Bereitstellung öffentlicher Güter ( Bildung, Gesundheit; Erziehung usw.), um der Ungleichverteilung der Lebenschancen entgegenzuwirken.
- Eine grundlegende Steuerreform, die die Masseneinkommen entlastet und große Vermögen, Kapitaleinkommen und sonstige Besitze für die Finanzierung des Gemeinwesens belastet.
- Die Demokratisierung des politischen Systems durch Elemente direkter Demokratie, wie Bürgerbegehren, Volksentscheide usw.
- Den Ausbau eines demokratischen Systems der Arbeitsbeziehungen in der europäischen Union: statt Bolkesteinrichtlinie die Verwirklichung eines weiterentwickelten europäischen Sozialmodells.
- Und schließlich eine Konfliktlösende Friedenspolitik statt Krisenverschärfende Kriegspolitik: Schluss mit dem Irak- und anderen Kriegen, kein Krieg gegen Iran, keine militärischen Truppen in den Kongo.
Das sind glaube ich die Schnittmengen, auf die wir uns verständigen, können, ohne dass jede und jeder damit auf andere Inhalte, die ihnen, ihren Organisationen/Initiativen wichtig sind, verzichten müssten.
Jede und jeder von uns kann helfen, sie zu verbreitern im Betrieb, in Veranstaltungen der Initiativen, Organisationen aus denen wir kommen, im sozialen Umfeld usw.
Bitte, tun wir es verstärkt.
Ein guter Anlass für Inhalte, die wir gemeinsam vertreten können, sind die Tarifbewegungen von Verdi und IG Metall. Hier könnten wir wenigstens argumentativ aus unseren jeweiligen Interessen heraus unterstützend tätig werden.
So zielt der Kampf gegen die Arbeitszeitverlängerung nicht nur auf humane Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, sondern bietet auch Perspektiven für Arbeitslose, weil es um mehr Beschäftigte geht.
Und höhere Löhne wir sie die IG Metall erkämpfen will, verbessern nicht nur die Einkommenssituation der Beschäftigten. Sie sind auch - so es gelingt, sie durchzusetzen – der Beginn einer verteilungspolitischen Wende. Hinzu kommt: Hohe Lohnabschlüsse verbessern auch die Situation der Arbeitslosen und Rentner.
Denn: 1 % Lohnerhöhung in allen Branchen führt zu 460 Millionen € Mehreinnahmen bei der Arbeitslosenversicherung und von 1,38 Mrd. € bei der Rentenversicherung. Also auch hier ausreichend inhaltliche Schnittmengen, um gemeinsamer was zu tun.
Anrede
Alternative Entwürfe sind ein wichtiger Teil für die Mobilisierung, für einen Politikwechsel. Allein sie reichen nicht aus. Hinzukommen müssen Formen, mit dem der soziale Protest organisiert und politisch wirksam wird. Auch hier lassen sich einige Elemente aus unserer Diskussion benennen, die wir gemeinsam verabreden und vertreten können.
Wir alle wissen, die außerparlamentarische Bewegung, die gesellschaftliche Linke, die soziale Bewegung – wie auch immer wir uns zuordnen - ist nur in Bündnissen stark. Sie zu entwickeln ist trotz der vielen Schwierigkeiten und Vorbehalte eine Anforderung, der wir uns intensiv stellen müssen.
Wir müssen uns nicht in allem gleichmachen. Aber wir sollten strategische Allianzen bilden.
Die Festigung unseres Bündnisses zwischen Gewerkschaften, sozialen Initiativen, globalisierungskritischer Bewegung usw. fordert Trennendes zwischen uns nicht ungeschehen zu machen, aber an das Ende der Tagesordnung zu setzen und Gemeinsames in den Vordergrund zu rücken.
Eine Möglichkeit der Zusammenarbeit unter uns, die ein Beitrag zur Bündnisstärkung werden könnte, ist die Ausbildung von 6.000 Botschaftern gegen den Neoliberalismus, eine Initiative der IG Metall. Es ist gelungen, dass Vertreter der IG Metall und Vertreter gesellschaftlicher Initiativen ( KAB, attac, Sozialverbände, Arbeitslosen-initiativen und wie sie alle heißen), gemeinsam ein Ausbildungsprogramm für die Ausbildung dieser Botschafter erarbeitet haben.
Ziel ist es, vor Ort Ausbildungsveranstaltungen zu organisieren, an denen Gewerkschafter und Mitglieder der sozialen Initiativen teilnehmen und die von Teams geleitet werden, die ebenfalls aus Gewerkschaftern und aus sozialen Initiativen kommen.
Bitte, kümmert euch darum, fragt vor Ort bei der IG Metall nach, wann und wie solche Veranstaltungen gemacht werden sollen und engagiert euch, damit wir Botschafter aus allen Bündnisorganisationen bekommen. Und versucht zu dieser Initiative auch andere Gewerkschaften zu gewinnen.
Damit wird deutlich: Wir brauchen erstens politische Aufklärung und starke soziale Bewegungen, die die Zivilgesellschaft gegen die Politik der Neoliberalen in Stellung bringt. Wir brauchen darüber hinaus zweitens eine wirkungsvolle parlamentarische Vertretung der von der herrschenden Politik ausgegrenzter sozialer Interessen. Beides meine ich, wenn ich von der Notwendigkeit der Neugründung der gesellschaftlichen Linken spreche.
Ich hebe dies hervor, weil das Projekt der Neugründung zu wichtig ist, um sogleich wieder in fundamentaloppositionellen Auseinandersetzungen zerlegt zu werden. Mit der Neuformierung der politischen Linken könnte die politische Aufklärung auch gegen die Macht der veröffentlichten Meinung vorangebraucht werden. Und damit könnte es gelingen, deutlich zu machen, dass es eine Linke jenseits des neusozialdemokratischen Dritten Wegs gibt. Das sollte auch den Linken in der SPD helfen, den weiteren Ausverkauf sozialdemokratischer Politik zu verhindern.
Das bedeutet für uns, dass wir auch WASG und Linkspartei sich nicht ihrer Entwicklung zu überlassen dürfen, sondern uns einzumischen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass das politische Gewicht der neuen Parlamentsfraktion nicht verschenkt wird, indem die Ressourcen auf die parlamentarische Gremienarbeit konzentriert werden, indem sie sich die Rolle des Vordenkers anmaßt.
Sie sollte sich als Teil einer gesellschaftlichen Bewegung begreifen, die sich an der Formulierung von beschäftigungspolitischen, sozialstaatlichen, demokratischen Alternativen und deren Verwirklichung als Gleicher unter Gleichen beteiligt.
Und schließlich müssen wir daran arbeiten, dass wir zu gemeinsam getragenen öffentlichen Aktionen und Protesten kommen. Die Aktionen gegen die Dienstleistungsrichtlinie waren mehr als ermutigend. Aber so etwas bringen wir nicht monatlich zustande. Zwar sind es Vielfalt und unterschiedliche Bewertungen auch von Aktionen und Mobilisierungsmöglichkeiten, die wir uns nicht nur zugestehen, sondern die die Grundlage unserer Zusammenarbeit sind. Dennoch ist es notwendig, dass wir uns für die nächsten Monate auf einige Gegenstände und Aktionen konzentrieren, wenn wir politisch Wirkung erzielen wollen. Nicht Tausende von Gegenständen und Aktionen erhöhen unsere Mobilisierungsfähigkeit, sondern die Konzentration auf möglichst wenige, viele betreffende und ansprechende Gegenstände und Aktionen. Darüber müssen wir reden und nach Entscheidungen streben.
4. Unsere Anforderungen an die Abgeordneten, die sich links der Mitte verorten.
Im Vordergrund steht nicht die Aufforderung, möglichst schnell neue Koalitionen zu bilden. Sicher können wir uns auch darauf verständigen, zu wollen, was meine Organisation, die IG Metall im Dezember 2005 beschlossen hat (Zitat): „Perspektivisch setzt sich die IG Metall dafür ein, dass das Projekt einer solidarischen Erneuerung von Wirtschaft, Gesellschaft und Sozialstaat sich auch in handlungs- und durchsetzungsfähigen parlamentarischen Mehrheiten niederschlägt.“ (Zitatende)
Aber für den Anfang steht an, dass die Abgeordneten, die eine andere Entwicklungsrichtung links der Mitte vertreten, ausloten, bei welchen Projekten in den Parlamenten sie sich verweigern sollten und welche Änderungen von Gesetzesvorschlägen, Verordnungen usw. sie gemeinsam verlangen wollten. Die Entscheidung der Opposition, einen Untersuchungsausschuss zu den BND Aktivitäten durchzusetzen, ist ein gutes Beispiel. Wir verlangen von den kritischen Abgeordneten in allen Parteien das Zusammengehen bei anderen Fragen zu praktizieren.
So, dass war vielleicht ein bisschen viel und manche und mancher von uns hätte jetzt Bedarf, das zu diskutieren. Was aber jetzt nicht mehr geht und auch nicht notwendig ist.
Ich schlage vor, dass wir Euch diese Zusammenfassung, die inhaltlichen Kernprojekte, die ich dargestellt habe, vielleicht um einige erläuternde Sätze erweitert, fotokopiert zuschicken, damit Ihr Euch damit auseinandersetzen und einmischen könnt. (Siehe gesonderte Anlage „Erläuterte mögliche Kernprojekte einer gesellschafts-politischen Alternative“)
Zum Abschluss bedanke ich mich bei allen, die geholfen haben, diese Veranstaltung vorzubereiten und bei allen, die durch die Teilnahme, die Diskussionsbeiträge und Impulse dazu beigetragen haben, dass wir weitergekommen sind. Weitergekommen bei der Konzeption einer anderen Politik und ihrer Verwirklichung. Und ganz zum Schluss möchte ich das Motto der Erfurter Erklärung von 1998, das der gerade 80 Jahre alt gewordene Schriftsteller Dieter Lattmann entwickelt und geprägt hat, als Aufforderung an uns verstanden wissen:
Wer, wenn nicht wir und wann, wenn nicht jetzt.
anlage_zur_zusammenfassung.pdf Mögliche Kernprojekte einer gesellschaftspolitischen Alternative |