Die Nachricht.
SPD, CDU und die Geister des „Kapitalismus Pur“: Ein radikaler Politikwechsel ist die einzige Alternative
Bundeswirtschaftsminister Clement (SPD) hat sich für ein Ende der vom SPD-Vorsitzenden Müntefering ausgelösten Kapitalismusstreits ausgesprochen.
Er plädiert dafür, jetzt von den Schlagworten allmählich wegzurücken.” Es dürfe nicht vernebelt werden, dass die „übergroße Zahl der deutsche Firmen”, die durchaus auch Gewinne machen müssten, in Deutschland produzieren und investieren wollten“. „Und deshalb Deutschland brauche nationales wie auch internationales Kapital. „Das alles darf über notwendige, über sinnvolle Diskussionen nicht vergessen werden” ; es sei notwendig, sich jetzt wieder den Sachfragen zuzuwenden. Was aber sind diese Sachfragen ?
„Soziale Marktwirtschaft“ oder „Kapitalismus pur“?
SPD-Chef Müntefering hat Vorstellungen zur Konkretisierung der Debatte . Es gehe vor allem um das Grundsatzprogramm der SPD, das die Leitlinie für die nächsten 25 Jahre festlegt. Die Sozialdemokratie müsse etwas dazu sagen, "wie wir in Zeiten der Globalisierung eine soziale Marktwirtschaft bleiben können und nicht in die Marktwirtschaft pur abrutschen". Als Konsequenz aus seiner Kapitalismus-Kritik verweist Müntefering auf vier konkrete Maßnahmen:
- die Öffnung des Entsendegesetzes für alle Branchen,
- die Veröffentlichung von Managergehältern,
- die Versorgung kleiner und mittlerer Unternehmen mit zinsgünstigen Krediten
- sowie die Schaffung von einheitlichen Steuersätzen in Europa.
Superminister Clement hat freilich andere Vorstellungen von den Sachfragen: er will zusammen mit dem Bundeskabinett die auf dem „Job-Gipfel“ mit der christdemokratischen Opposition vereinbarten weiteren „Reformschritte“ zur Stabilisierung der Konjunktur in die Wirklichkeit umsetzen. Verabredet ist eine kleine Nachbesserung bei den Zugverdienstmöglichkeiten für Bezieher des Arbeitslosengeldes II.
Dies sind die eigentlichen Stolpersteine:
Eine Reduktion der Erbschaftssteuer für Unternehmen in der Größenordnung von 450 Millionen €uro pro Jahr; die Erbschaftsteuerbefreiung bei mehr als zehnjähriger Betriebsfortführung wollen SPD und CDU ähnlich regeln, wobei die Union das aber durch eine höhere Dividendenbesteuerung finanzieren will. Die Bundesregierung lehnt dies ab. Die Begünstigung soll nur für produktiv eingesetztes Vermögen gelten, nicht für Kapitalvermögen. Die Erbschaftsteuer soll wegfallen, wenn das Unternehmen über zehn Jahre weitergeführt wird.
Eine weitere Senkung der Körperschaftssteuer von jetzt 25 auf 19 % ist vorgesehen; sowie Entlastungen bei der Gewerbesteuer und der Besteuerung von Immobilien-Verkaufserlösen bei Firmen. Zur Finanzierung sollen die Mindestgewinnbesteuerung verschärft und Vorteile von Steuersparfonds gestrichen werden.
Den Teufel mit Beelzebub austreiben ? ...
Die sozialdemokratische Linke wendet zurecht ein: mit solchen Steuersenkungsmaßnahmen habe man den entfesselten Kapitalismus doch erst hergestellt, den der SPD-Vorsitzende jetzt beklage. Ganz abgesehen von der weiteren Schädigung der öffentlichen Haushalte durch die Fortsetzung dieser Steuersenkungspolitik dürfte mit solchen Schritten der Transformationsprozess der „sozialen Marktwirtschaft“ in „Kapitalismus pur“ nicht aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen sein.
Eine reine Wertedebatte – ohne irgendwelchen konkreten politischen Konsequenzen – werden sich die Wähler auch nicht mehr gefallen lassen. Wenn die SPD aus der von ihr angestoßenen Debatte eine Stabilisierung ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz ableiten will, dann muss sie an dieser Stelle in der Tat Farbe bekennen.
Es geht also um Grundsätzlicheres, wie die Überlegung von Müntefering erkennen lässt . Wie verhindern wir den Übergang zum „Kapitalismus pur“ ? Dieser offenbart sich am deutlichsten im „Shareholder - value Konzept“: Der Unternehmenserfolg wird nur am ökonomischen Wert gemessen, der für die Eigentümer geschaffen wird. Gewinne für die Anteilseigener – steigende Aktienkurse und hohe Dividenden - haben eindeutig Vorrang vor den Interessen der Beschäftigten, der Sicherung von Arbeitsplätzen, dem Schutz der Umwelt und Belangen der Gesamtgesellschaft. Für eine kurzfristige Renditesteigerung werden Unternehmen ausgeschlachtet und ausgebeutet, demontiert und verscherbelt. Der „Shareholder –value –Kapitalismus“ belohnt radikales „down - sizing“, brutale Strukturbereinigung, hohe Verlustvorträge und massiven Beschäftigungsabbau, nicht zuletzt auch sozialpolitische Verantwortungslosigkeit. In diesem Konzept soll die Allgemeinheit (der Staat) nur noch dazu dienen, die Rahmenbedingungen für die Gewinnmaximierung herzustellen und die Folgen des Profitstrebens zu mildern.
... oder Heiner Geißler ernstnehmen ?
Zurecht kritisiert der frühere Generalsekretär Geißler (CDU) die Rückständigkeit der Sozialdemokratie in diesen Grundsatzfragen. Geißler und andere haben das jetzige Wirtschaftssystem schon seit Jahren kritisiert. „Das kann man in den Büchern nachlesen. Es ist eigentlich schade, dass die SPD erst jetzt aufgewacht ist.“
Geißler fasst zusammen : „Das grundsätzliche Problem besteht in der Macht der Pensions- und Investmentfonds, die beispielsweise 40 Prozent des Aktienkapitals von Siemens halten. Die Fondsmanager wollen alle drei Monate hohe und möglichst steigende Renditen sehen. Deshalb verlangen sie, dass Gewinne nur zur Ausschüttung an die Eigner verwendet werden. Dieses Eigeninteresse kann man verstehen. Aber es ist nicht identisch mit dem Interesse des Unternehmens. Der Aktionär braucht eine angemessene Verzinsung. Doch der überwiegende Teil der Gewinne muss reinvestiert werden, für Innovation, Forschung, neue Maschinen. Ob sich diese Investitionen rentieren, stellt sich erst nach Jahren heraus. Deshalb haben die Spekulanten an solchen Investitionen kein Interesse. Durch ihre Macht kommt es zu jener „Shareholder-Value-Politik“, die das Unternehmen völlig in den Dienst kurzfristiger Kapitalinteressen stellt. Wenn die Bezüge der Vorstände dann noch an den Aktienkurs gekoppelt sind, wechseln sie gedanklich die Fronten. Sie entscheiden, was die Gewinne betrifft, nicht mehr zugunsten des Unternehmens, sondern zugunsten der Fonds.“
Was kann man dagegen tun? „Zum Beispiel könnte man den Anlegern, die Aktien länger halten, ein Mehrfachstimmrecht einräumen, also das Prinzip: eine Aktie, eine Stimme beseitigen, wie in Frankreich. Zweitens ist die Kopplung der Managerbezüge an den Aktienkurs gesetzlich zu verbieten. Drittens müssen die Pensionsverträge der Manager befristet werden. Das führt dazu, dass jeder Vorstandsvorsitzende Entscheidungen fällen muss im Lichte der Frage, ob das Unternehmen später in der Lage ist, eine Verlängerung seiner Pension zu finanzieren. Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die durchaus mit solchen handwerklichen Methoden gelöst werden können. Schließlich brauchen wir eine international ausgerichtete Reform des Systems: Es muss in diesen ungeordneten Wettbewerb wieder Ordnung hineinkommen.“
Dem gesellschaftlichen Roll-Back entgegentreten !
Die zentrale Herausforderung – darin hat Geißler recht - besteht darin, dass wir mit einem umfassenden gesellschaftspolitischen Roll-Back konfrontiert sind. Seit Ende der sechziger oder im Verlauf der siebziger Jahre wird die entwickelte Lohnarbeitergesellschaft schleichend, aber systematisch verändert. Es geht um eine Gegenbewegung zum Anstieg des gesellschaftlichen Arbeitseinkommens – also des Arbeitslohns, der sozialen Sicherheit und der sozialstaatlichen Transfers . Dieser Roll-Back droht alle gesellschaftliche Errungenschaften zunichte zumachen, die unter einem regulierten Kapitalismus der Nachkriegszeit entwickelt und erkämpft worden sind.
Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts sind wir mit dem Übergang zu einer kapitalmarktorientierten Unternehmenspolitik konfrontiert mit der Konsequenz, „dass die Kapitalbeziehungen deutscher Unternehmen und das deutsche System der Unternehmenskontrolle sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten so grundlegend verändert haben, dass zurecht von einem Ende der Periode des national organisierten deutschen Kapitalismus und einem Übergang zum angloamerikanische Modell der Unternehmensführung gesprochen werden kann.
Der Untergang des „rheinischen Kapitalismus“, verursacht durch die Herrschaft der Finanzmärkte, die Auflösung der wechselseitigen Kapitalverflechtung, der Privatisierung der öffentlichen Unternehmen, dem Rückbau der sozialstaatlichen Regulierung und Verteilungsstrukturen, sowie der Zurückdrängung der Ansprüche der Belegschaften auf eine demokratische Gestaltung der Machtverhältnisse in Unternehmen, wurde – offenkundig eine Ironie der Geschichte – durch die modernisierte Sozialdemokratie umgesetzt.
In Deutschland haben die Steuerreformen und die Politik der Agenda 2010 der rot-grünen Regierungskoalition dazu geführt, dass der Abbau des umfangreichen Beteiligungsbesitzes großer Aktiengesellschaften begünstigt und so ein Umbau der Unternehmensnetze unter dem Aspekt des Shareholder Value begünstigt wurde .
Per Saldo hat die steuerliche Entlastung der Unternehmensgewinne und der Kapitaleinkommen die Ausbreitung der Shareholder Value Orientierung befördert; die Anreize zur Verlagerung in Finanzinvestitionen haben das innovative Potential des Kapitalismus zerstört; und der Umbau der Alterssicherung in Richtung einer kapitalgedeckten Rente kann zurecht als Erzeugung eines Treibhausklimas für das Finanzkapital gewertet werden Und jetzt – so die Position des SPD-Chefs – soll dies alles rückgängig gemacht werden. Ob die modernisierte Sozialdemokratie dafür ein politisches Mandat erhält? Wird ein erneuter Kurswechsel überhaupt innerparteilich durchsetzbar sein ?
Der „Lackmustest“ HARTZ IV
Der ehemalige Vorsitzende Lafontaine hat deutlich gemacht, dass es für den politischen Kurswechsel der SPD einen Lackmustest gibt. Die Regelungen von Hartz IV müssen in der Substanz korrigiert werden. Dies wäre ein erster Schritt, um aus der gesellschaftspolitischen Sackgasse herauszukommen. Zu hören ist davon freilich in der SPD noch nichts. Auch hier sind CDU-Vertreter weiter: Der für die Wirtschaftspolitik zuständige Vize-Chef der Unionsfraktion, Ronald Pofalla, hat sich für einen Kurswechsel bei Hatz IV ausgesprochen . Er schlägt vor, die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I davon abhängig zu machen, wie lange der Berechtigte Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe. Von einer Beitragszeit von 15 Jahren an solle die Bezugsdauer in Stufen auf bis zu 24 Monate verdoppelt werden. "Wir können wohl nicht auf Dauer Arbeitslose, die Jahrzehnte eingezahlt haben, mit denen gleich stellen, die erst wenige Jahre Beiträge entrichtet haben".
Joachim Bischoff
Björn Radke
Anhang:
Erbschaft ohne Steuern?
Neue Steuergeschenke für Unternehmen und Reiche. Das planen Bundesregierung und Opposition durch eine „Reform“ der Erbschaftsteuer auf Betriebsvermögen. Wer kennt nicht die Klage der Unternehmen: Wenn der Betrieb vererbt wird, droht angeblich der Ruin durch die Erbschaftsteuer. Auch viele Beschäftigte fürchten den dann drohenden Arbeitsplatzverlust. Kurios nur: Nach Informationen aus dem Finanzministerium und dem DIHK ist kein Fall bekannt, bei dem ein Betrieb wegen der Erbschaftsteuer nicht fortgeführt werden konnte.
Schon heute kann die Erbschaftsteuer bis zu zehn Jahre zinslos gestundet werden. Diese Möglichkeit wird aber laut Experten aus dem Finanzministerium kaum genutzt. Die Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen soll jetzt jedes Jahr um zehn Prozent sinken.
Nach zehn Jahren wäre das Erbe steuerfrei. Dies soll „nur“ für Betriebsvermögen bis 100 Millionen Euro gelten. Trotzdem drohen Steuerausfälle von mindestens 450 Millionen Euro. Die Gegenfinanzierung ist bisher völlig unklar. Zudem erwarten wir deutlich höhere Steuerausfälle. Aufgrund neuer Schlupflöcher für Reiche! Sie brauchen nur möglichst viel Privatvermögen in Betriebsvermögen umzuwandeln.
Nr. 12, Mai 2005
ver.di Bundesvorstand