Die Nachricht.
Die SPD und die „Kapitalismus-Kritik“...
Das Gespenst der Linkswende der SPD zieht weitere Kreise . Selbst SPD-Landeschef Schartau mit seinem ruhrfreundlichen Image, bemüht sich um ein wenig Popularität und unterstützt seinen Vorsitzenden.
Die Kritik am reinen "scharholder value"- Prinzip werde auch von vielen Mittelständlern geteilt; „die Thesen von Müntefering finden einen breiten Resonanzboden,“ so "Kumpel Harald". Müntefering hatte eher beiläufig im Zusammenhang mit der Arbeit am neuen Grundsatzprogramm der SPD die Zähmung des Kapitalismus als große Zielsetzung unterstrichen. "Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir."
Auch der unternehmerfreundliche SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Steinbrück unterstützt diese Kritik . „ Es gibt Manager und Verbandsvertreter, die kein Vorbild für Menschen sind. Es geht nicht, ständig neue Forderungen nachzuschieben und ein noch höheres Reformtempo zu fordern." Die Rahmenbedingungen für Unternehmer seien unter Rot-Grün erheblich verbessert worden.
Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat jetzt sogar in seiner Kapitalismuskritik Unterstützung vom früheren Bundesarbeitsminister Norbert Blüm erhalten. Bei den internationalen Konzernen finde Wertschöpfung nur noch mit Blick auf die Börse statt. Je mehr die Unternehmen entließen, je höher steige der Kurs der Aktien. "Das ist pervers". Für die von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann angekündigten Entlassungen bei gleichzeitigen Rekordgewinnen gebe es keinerlei Erklärung, unterstreicht Blüm. Die Beschäftigten seien "inzwischen nicht viel mehr als Bauklötzer, die hin und her geschoben werden".
Eine derartige Wirtschaftspraxis habe jedoch keine Zukunft, da sich die Menschen dies auf Dauer nicht gefallen ließen. Blüm sieht die Gefahr von sozialen Unruhen. Wenn die Globalisierung zu einer Olympiade der Kostensenkung verkomme, "können wir auch die Ausbeutung und die Kinderarbeit wieder einführen". Wie Bundeskanzler Gerhard Schröder warnte Blüm davor, alle Unternehmen in einen Topf zu werfen. Für die vielen mittelständischen Betriebe träfen die Vorwürfe Münteferings nicht zu. Die Mehrheit sei immer noch die Anständigen.
... die keine ist, ...
Müntefering, Blüm, Geissler, aber auch Alt-Bundeskanzler Schmidt und andere kritisieren nicht den Kapitalismus, sondern die Bindungslosigkeit einzelner Kapitalvertreter. Bei manchen Unternehmern stimme die Ethik nicht. Zu diesen zählt Müntefering den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent anstrebe und trotz steigender Gewinne die Entlassung von 6400 Menschen ankündige. "So etwas deprimiert die Menschen und raubt ihnen das Vertrauen in die Demokratie." Und diese Auseinandersetzung mit einer vermeintlichen Minderheit der Unternehmer ist keine politische Antwort der Sozialdemokratie auf die miserablen Perspektiven bei der NRW-Wahl.
Seit langem verfolgt die SPD die Politik eines gezähmten Kapitalismus. Seit die Sozialdemokratie sich im Programm von Bad Godesberg von den letzten Resten einer umfassenden Kapitalismuskritik getrennt hat, ist es erklärtes Ziel dafür zu sorgen, dass das System der sozialen Marktwirtschaft nicht in einen Raubtierkapitalismus abdriftet. Zu einer solchen Politik der Fesselung oder sozialen Zähmung des Kapitalismus gehört aber – Kündigungsschutz, vernünftige Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit, umfassende Krankenversicherung und eine lebensstandardsichernde Rente im Alter.
Der Hohepriester der Neoliberalismus, Hans–Werner Sinn hält dagegen: “Man muss das internationale mobile Kapital hätscheln, wenn man Arbeitsplätze schaffen will“; Wirtschaft sei keine ethische Veranstaltung. „Wer sich ihr mit moralischen Ansprüchen nähert, hat die Funktionsweise der Marktwirtschaft nicht verstanden“. Zwar schaffe sie enorme Ungleichheit und sei ungerecht. Wenn man die Ungleichheit akzeptiere, erzeuge sie hohe Einkommen, gerade auch für die Arbeiter. Der Präsident de Ifo-Institutes hat mit diesem neoliberalen Credo die entscheidende Schwachstelle der SPD-Politik markiert. Die politische Logik der modernen Sozialdemokraten basiert darauf, dass im Zeitalter der Globalisierung soziale Gerechtigkeit nicht mehr auf die früher mögliche Weise verwirklicht werden kann und dass daher eine Umdeutung von sozialer Gerechtigkeit unvermeidbar ist.
Moderne soziale Marktwirtschaften könnten die Chancen auf soziale Gleichheit erhöhen, ohne jedoch Gleichheit im Ergebnis zu sichern oder zu versprechen. Mit den Mitteln der gewerkschaftlichen Tarifpolitik, des Arbeitrechtes, der Bildungsreform und den sozialen Sicherungssystem könne man im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr arbeiten. Neujustierung des Sozialstaates heißt daher: auch die bisherigen Errungenschaften zur Disposition zustellen, wenn sie der internationalen Wettbewerbsfähigkeit im Wege stehen.
... und für viele Bürger/inen unglaubwürdig ist
Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger hat begriffen, dass die Gesetze der Agenda 2010 nicht der Zähmung des Kapitalismus dienen. Schröder verfolgen ein Großteil der europäischen Sozialdemokratie faktisch die gegenläufige Politik, der beschleunigten Entfesselung des Kapitalismus. Die Projekte der Agenda 2010 laufen alle auf eine Verschiebung der politischen und sozialen Machtverhältnisse zulasten der Lohnabhängigen und anderer sozialer Schichten hinaus.
wei Drittel der Deutschen (66 Prozent) halten die Kritik des SPD-Vorsitzenden Müntefering an der »Macht des Kapitals« sowie der einseitigen Orientierung der Wirtschaft an ihren Gewinnen zu Lasten von Arbeitsplätzen für berechtigt. So das Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Eine deutliche Mehrheit von knapp drei Vierteln der Deutschen (73 Prozent) denkt, dass es der SPD mit der Kapitalismuskritik nicht darum geht, eine Debatte über Fehlentwicklungen in der deutschen Wirtschaft anzustoßen. Es gehe stattdessen eher darum, die Wahlchancen bei der bevorstehenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zu verbessern. Den Erfolg damit schätzen die meisten jedoch gering ein: Über zwei Drittel der Bundesbürger (68 Prozent) glauben nicht, dass die Unternehmensschelte dazu beiträgt, die Wahlchancen der Sozialdemokraten in Nordrhein- Westfalen zu verbessern. Nur 28 Prozent glauben daran. Und warum wird die Mehrheit der Bevölkerung nicht auf die Argumentation einer „Linkswendung der SPD“ hereinfallen ?
Angesichts der Maßnahmen der Bundesregierung zum Umbau der Sozialsysteme in den letzten Jahren geht über die Hälfte der Befragten (56 Prozent) davon aus, dass die Kritik der SPD an der Wirtschaft unglaubwürdig ist. Es ist freilich noch ein großer Schritt von der Distanz zu einer Sozialdemokratie, die sich mal wieder als geringeres Übel präsentiert, zur Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses in der Berliner Republik.
Die Redaktion