Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Die Nachricht.

21.03.2006 | 14:21 | Alter: 1 Jahre | Kategorie: Positionen, Politik

Von: Joachim Bischoff und Björn Radke

Neoliberale Spinnerei oder linke Realpolitik

Quelle: Thomas Kantschew

Beim Landeswahlleiter in Berlin ist eine Konkurrenzkandidatur der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) gegen die Linkspartei. PDS angemeldet worden. Begründet wird dieser folgenreiche Schritt für das Projekt einer neuen Linken mit dem unverzichtbaren Kampf gegen den Neoliberalismus in den Reihen der politischen Linken – im besonderen in der Politik der Linkspartei. PDS.

Die politische Debatte wird zugespitzt auf die Frage, ob eine Neue Linke »neoliberale Politik« bei sich tolerieren dürfe. Aber: Was heißt anti-neoliberale Politik unter den aktuellen Bedingungen und wie kann diese Politik innerhalb der politischen Linken und in den nahestehenden zivilgesellschaftlichen Organisationen mehrheitsfähig gemacht werden?

Die Bundestagsfraktion von Linkspartei und WASG hat die Herausforderung aufgegriffen, denn bei einer Fortführung der Konfrontation zwischen WASG und Linkspartei ist das Projekt einer gemeinsamen gesamtdeutschen Linken gefährdet. Darüber hinaus gibt es politischen Ärger um den Fraktionsstatus der linken Bundestagsparlamentarier. Die Parteienfinanzierung und selbst ein juristischer Aufwind für Anfechtungsklagen gegen den gemeinsamen Wahlantritt bei den Bundestagswahlen sind nicht mehr auszuschließen. Ohne deutliche Korrekturen in der Politik der Linkspartei dürfte der Konflikt nicht zu beheben sein.

Die Anhänger einer entschiedenen Kritik an der Linkspartei sehen sich durch den Vorgang der Privatisierung von 47.000 Wohnungen der WOBA in Dresden bestätigt. Zwar habe die Dresdner Stadtratsfraktion das nicht komplett zu verantworten, aber immerhin habe eine deutliche Mehrheit ihrer Abgeordneten der Privatisierung zugestimmt.


Welche Aufgabe hat die »Neue Linke«?

Die Fakten sind eindeutig: Der mit Zustimmung der Mehrheit der Linksfraktion. PDS im Stadtrat erfolgte vollständige Verkauf des städtischen Wohnungsunternehmens in Dresden signalisiert in mehrfacher Hinsicht eine politisch und sozial bedrohliche Situation. Internationales Finanzkapital drängt in der Bundesrepublik massiv auf Übernahme von kommunalen und anderen in öffentlicher Hand befindlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbeständen. Kommunen und Wohnungsunternehmen mit größerem Sanierungsbedarf sehen in ihrer Finanznot offensichtlich oft keinen anderen Ausweg als den Verkauf von Wohnungen. Die große Liquidität auf den Finanzmärkten, die auch in Deutschland mit der verstärkten Orientierung auf eine private, kapitalgedeckte Altersversicherung (»Pensionsfonds«) zunimmt, bewirkt eine wachsende Nachfrage nach neuen Anlagemöglichkeiten. In Deutschland steht der kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbestand zur Disposition.

Die politische Glaubwürdigkeit des Linksprojekts hängt daran, eine deutliche Alternative zur neoliberalen Politik zu vertreten. Der Fraktionsvorsitzende Lafontaine unterstreicht die historische Aufgabe der neuen Linken: »Zur Zeit könnte man sie vielleicht als eine aufkommende Widerstandsbewegung gegen den Neoliberalismus bezeichnen, weil der Neoliberalismus ein Angriff auf die Würde des Menschen ist, weil der Neoliberalismus ein Angriff auf die soziale Gerechtigkeit und den Sozialstaat ist. Wenn man dies analysiert und wenn man sich vor Augen hält, welche Prinzipien der Neoliberalismus in den letzen Jahren verfolgt hat, dann kann man sehr leicht auch das Gegenkonzept entwickeln.« Es geht um Regulierung, Ausweitung des öffentlichen Sektors und öffentlicher Investitionen und um Wirtschaftsdemokratie.

Richtig ist: Die neue Linke muss sich auf die Grundlinien eines grundlegenden Politikwechsels zur neoliberalen Umverteilungspolitik verständigen. Sie muss eine klare Position haben in der Frage der Privatisierung, die man auch als Entdemokratisierung fassen kann. Weiter ist unverzichtbar, dass sie sich gegen den weiteren Aufbau von Arbeitslosigkeit durch Kürzungen im öffentlichen Dienst stellt und dem Sozialabbau auch in anderen politischen Feldern nicht zustimmt. Unter maßgeblichem Einfluss der Bundestagsfraktion sind fünf Kernpunkte einer oppositionellen Agenda festgehalten worden:

1. Stop der Privatisierung;
2. kein weiterer Abbau von Sozialleistungen;
3. keine Zustimmung zu weiterem Personalabbau im öffentlichen Dienst;
4.  Stärkung gewerkschaftlicher Positionen;
5.  eine außen- bzw. friedenspolitische Ausrichtung, die sich konsequent gegen Kriegseinsätze wendet.

Wir müssen in den reifen kapitalistischen Gesellschaft dafür sorgen, dass eine gesellschaftliche Verkürzung der Arbeitszeit durchgesetzt und die Expansion der öffentlichen Investitionen dazu zu genutzt wird, ein breites Angebot an öffentlichen Dienstleistungen zu entwickeln.


»Linke Realpolitik« heute...

Gegen die Entwicklung und Konkretisierung einer linksoppositionellen, anti- neoliberalen Politik gibt es den passiven Widerstand der Führung des Berliner Landesverbandes der Linkspartei. Aus Dresden haben sich die Stadtrats- bzw. Landtagsmitglieder Ostrowski und Weckesser – beide Linkspartei – mit einem offenen Brief gemeldet und weisen die Kritik an der Privatisierung der Dresdner Wohnungsbestände entschieden zurück : Hier gehe es um die Grundsatzentscheidung »Linke Realpolitik oder ideologische Symbolpolitik«. Die konsequente Frontstellung gegen den Neoliberalismus stelle sich in Zeiten von Globalisierung und demographischer Herausforderung als Form politischer Religiosität dar.
Was sind die Argumente der »Realpolitiker«?

1. Die Privatisierung laufe schon seit Jahrzehnten; die beschworenen katastrophalen Folgen seien ausgeblieben.

2. Die Linkspartei habe beim Verkauf der Dresdener Wohnungen an einen Kapitalfond eine "Sozialcharta" durchgesetzt; die Sicherung des Wohnrechtes könne zudem durch andere kommunale Aktivitäten gewährleistet werden. »Wir können dieses Recht in Dresden auch ohne kommunale Wohnungsgesellschaft sichern.«

3. Der Erlös aus dem Verkauf und die geringeren Aufwendungen in der Zukunft eröffneten der Kommune größere Handlungs- und Gestaltungsräume im Bereich der Armutsbekämpfung, der kommunalen Dienstleistungen und der Entwicklung von Lebensqualität.

4. Eine soziale und solidarische Stadt sei nur schuldenfrei zu haben, deshalb sei die Konsolidierung öffentlicher Finanzen keine neoliberale Spinnerei, sondern sozialpolitischer Imperativ.
Lafontaines Alarmismus gehe an der Sache vorbei. Die neue soziale Idee, die im Zentrum des Projektes der neuen Linken stehe, könne und müsse aus den Fesseln altsozialdemokratischen und altkommunistischen Denkens befreit werden.


...versus anti-neoliberale Politik heute

Die Argumente der Verteidiger des öffentlichen Eigentums:

1. Die Steuerungsfunktion des öffentlichen Eigentums ist in der Tat seit Jahrzehnten vernachlässigt worden. Daraus kann freilich nicht die Schlussfolgerung gezogen werden: »Die WOBA-Privatisierung in der von uns maßgeblich mitgestalteten konkreten Form nützt der gesamten Stadtbevölkerung, den Mietern und den WOBA-Beschäftigten, sie stärkt die öffentliche Hand und dient der sozialen Profilierung Dresdner Kommunalpolitik insgesamt.« Dass der WOBA-Verkauf den Mietern nutzt, muss angesichts der Erfahrungen mit Kapitalfonds bestritten werden. Die Verzinsung des eingesetzten Kapitals wird über die Mieten gesichert. Die öffentliche Hand wird geschwächt und die Stadtverwaltung gewinnt bestenfalls kurzfristig Luft und kann andere Kürzungsmaßnahmen aussetzen.
Der Aufkauf von kommunalen, genossenschaftlichen Wohnungsbeständen durch Kapitalfonds erfolgt aus der Logik der Kapitalverwertung. Diese Ausweitung der Kapitalverwertung und der Marktzwänge auf alle gesellschaftliche Lebensbereiche (Gesundheit, Bildung, kommunale Dienste etc.) führt zu einer Einschränkung demokratischer Räume, wohingegen die Parole »Bildung, Gesundheit, Wohnen, Umwelt etc. sind keine Ware« durchaus Sinn macht und Widerstandslinien markiert.

2. In der Tat erfolgen die kommunalen Privatisierungen größtenteils aus finanziellen Zwängen. Die unzureichende Finanzausstattung der Kommunen ist Teil einer politisch gewollten Steuersenkungspolitik. Dem Finanzdruck entgehen wir nicht durch Privatisierung, sondern durch einen Politikwechsel, bei dem eine sozialgerechte Steuererhebung im Zentrum steht. In Dresden mag es eine kurze Atempause geben, aber ohne eine Veränderung der Steuer- und Finanzbasis kommen die Kommunen nicht aus dem finanzpolitischen Würgegriff heraus. Wir müssen sowohl die Unternehmen und ihre Gewinne als auch die Vermögenden zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranziehen. Eine solche Politik schafft Gestaltungsspielräume für eine Ausweitung öffentlicher Investitionen, sozial-kultureller Dienste und Arbeitszeitverkürzungen.

3. Sicherlich sind öffentliche Unternehmen und öffentliches Eigentum kein Selbstzweck. Die Steuerungsfunktion des öffentlichen Eigentums und des Dienstleistungsangebotes muss genutzt werden. Bedingung dafür sind öffentliche Finanzen, die der beschleunigten Akkumulation von Geldvermögen und Eigentumstiteln entgegenwirken. Insofern treten wir für soziale Sicherungssysteme nach dem solidarischen Umlageverfahren und gegen die Ausweitung des Kapitaldeckungsprinzips ein, das zu einer immer größeren Vermarktlichung aller Lebensbereiche führt. Es ist das entscheidende Merkmal neoliberaler Politik, dass die langjährige Mixtur von privatkapitalistischem und öffentlichem Eigentum (und Unternehmen) aufgelöst wird.

4. Auch die öffentliche Verschuldung ist Ausdruck einer einseitigen Belastungspolitik. Bei einem Geldvermögensbestand in Deutschland von über 4.000 Mrd. € – fast das Doppelte des jährlichen gesellschaftlichen Gesamtprodukts – entwickelt sich die völlig unzureichende Besteuerung von Gewinn- und Vermögenseinkommen zur Wachstumsbremse, erzeugt Privatisierungsdruck oder treibt die öffentliche Verschuldung nach oben.

5. Sicher können auf kommunaler oder Länderebene die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht so verändert werden, dass man um fragwürdige oder kontraproduktive Kompromisse herum kommt. Linke Realpolitik heißt daher: Wir müssen uns stets an der Notwendigkeit eines grundlegenden Politikwechsels orientieren; wir brauchen eine Rekonstruktion sozialer Sicherungssysteme, eine Ausweitung öffentlicher Dienste und eine Expansion öffentlicher Investitionen. Unverzichtbare Bedingung dabei ist: der Bruch mit der bisherigen Logik, die Masseneinkommen zu belasten und die Gewinn- und Vermögenseinkommen zu entlasten.


Raus aus dem »alten Denken« der Anpassung

Befreiung aus den Fesseln des alten Denkens ist eine brauchbare, weil orientierende politische Kurzformel. Es geht darum, die Kapitalverwertung in die Schranken zu weisen. Die Entfesselung des Kapitals hat schrittweise eine neoliberale Transformation der Gemeinwesen nach sich gezogen. Es gibt keine soziale Sicherheit, keine befriedigende Lohn- und Sozialeinkommen, keine akzeptablen Arbeitszeiten und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit, keine sozial-kulturellen Dienstleistungen, wenn wir uns dem Verwertungszwang des Kapitals ausliefern. Ostrowski und Weckesser behaupten, man könne durch Anpassung an die neoliberale Gesellschaftsveränderung dauerhaft emanzipatorische Politik machen. Herauskommen wird für Dresden eine kurze Phase geringeren Drucks durch die öffentlichen Verschuldung. Dies ist kein allgemeiner und dauerhafter Ausweg. Eine Partei, die eine solche Konzeption ins Zentrum rückte, hätte als linke Partei keine Zukunft.
Der Beitrag von Ostrowski und Weckesser macht auch deutlich: Wir müssen über die programmatischen und politischen Alternativen und ihre Begründung streiten, wenn wir eine neue gesamtdeutsche Linke neben der Sozialdemokratie entwickeln wollen.

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 Als PDF-Datei finden Sie unten:
Beitrag zur programmatischen Diskussion: Bedeutung öffentlichen Eigentums für praktische sozialistische Politik am Beispiel des Verkaufs der Dresdner WOBA
"Die neue Linkspartei aus den Fesseln alten Denkens befreien"
(Offener Brief von Christine Ostrowski und Ronald Weckesser
an Mitglieder, Sympathisanten und Mandatsträger der Linkspartei.PDS)

Dateien:
Ostrowski.pdf

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