Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Die Nachricht.

16.03.2005 | 12:49 | Alter: 2 Jahre | Kategorie: Politik

Von: Berhard Sander

“Frühling der Proteste” in Frankreich

Am 10. März zogen über eine Million Menschen durch die Straßen Frankreichs. Ein weiteres Mal haben die Gewerkschaften und die sozialen Bündnisse damit ihre Mobilisierung gesteigert.

 

von Bernhard Sander

 

Am 5. Februar demonstrierten in 118 Städten rd. 500.000 Beschäftigte nach einem Aufruf der sieben Gewerkschaftsbünde. Die Mobilisierung übertraf damit die des Aktionstags im Januar, an dem sich rd. 330.000 Menschen beteiligten. Dies ist ein umso größerer Erfolg, wenn man weiß, dass die französischen Gewerkschaften keine Streikkassen kennen. Diesmal beteiligten sich auch viele Beschäftigten der Privatwirtschaft ( z. B. Lidl, Renault, Sanofi-Aventis, Nestlé, EADS usw.) und nicht nur der Staatsbetriebe (Bahn, Post, Strom & Gas). Früher unterschieden sich die Gewerkschaftsbünde durch ihre religiöse oder parteipolitische Bindung. Heute unterscheiden sie sich eher durch ihre Konfliktbereitschaft und die Gestaltungsansprüche gegenüber der Regierung. Der Erfolg ist möglich, weil sich die großen Gewerkschaftsverbände auf einen Katalog von Grundforderungen geeinigt haben: für die Verteidigung der Kaufkraft, der Arbeitsplätze und der 35-Stunden-Woche.

In unserem Nachbarland sind die Litaneien von Regierung und Arbeitgeberbewegung dieselben wie bei uns: Die Lohnnebenkosten und Steuern seien zu hoch. Nur wenn länger gearbeitet werde, könne mehr auf dem Weltmarkt abgesetzt werden. Die Arbeitgeberbewegung, die schon seit langem die “soziale Neugründung der Republik” unter neoliberalen Vorzeichen fordert, weigerte sich bisher, überhaupt Verhandlungen zu eröffnen, da für Lohnerhöhungen kein Manövrierraum bestehe. In langer Frist ist jedoch nicht davon zu sprechen, dass das Kapital Not leidet: Nach Berechnungen der CGT wurde 1980 auf 100 Francs ausgezahltem Lohn 9 Francs in Dividenden ausgeschüttet; heute werden pro 100 Euro gezahlten Lohn 26 Euro in Dividenden ausgezahlt. Die Massenkaufkraft, die durch die linke Vorgängerregierung verteilungspolitisch neutral stabilisiert wurde, stagniert, d.h. sie fällt im Vergleich zu den Besitzeinkommen zurück und die Arbeitslosigkeit steigt seit dem Amtsantritt des Präsidenten Chirac. Die energischen Maßnahmen zum Umbau der französischen Wirtschaft entlarven sich damit wie in Deutschland als ideologisches, interessengeleitetes Projekt.

Die Regierung hat die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung zu Brei aufgelöst: Die französischen Bürgerinnen und Bürger, selbst die Führungskräfte, schätzen die Verkürzung der Wochenarbeitszeit trotz der Flexibilisierungsvarianten und der Arbeitsverdichtungen, die das Gesetz der sozialistischen Ministerin Aubry bereits ermöglichte. Das von Premierminister Raffarin eingebrachte “Reformwerk” weitet die Puffer, die nicht als Überstunden gelten, erheblich auf 220 Stunden pro Jahr aus. Darüber hinaus soll die Möglichkeit geschaffen werden, Erholungspausen und Jahresurlaub in Form von Arbeitszeitkonten zu kompensieren, die sich sich die Beschäftigten auszahlen lassen können. Es handelt sich also um die klassische volkswirtschaftliche Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten, ob sich die Unternehmen die durch Produktivitätsfortschritt erzielbare Mehrarbeit in Form höherer Gewinne aneignen können.

Innerhalb der Linken läuft derweil die Mobilisierung gegen die Annahme des Entwurfs zu einer Europäischen Verfassung, die als Projekt gesehen wird, die Grundlinien neoliberaler Politik auch juristisch dauerhaft zu verankern. Als Land mit demokratischer Tradition wird Frankreich Ende Mai eine Volksabstimmung über die Annahme dieser Verfassung durchführen. Relevante Minderheiten in der PS (42%) und bei den Grünen (41%) sind nach Mitgliederbefragungen gegen den vorliegenden Entwurf einer EU-Verfassung. Die PS, die bisher eher links von der SPD stand, wird von heftigen Flügelkämpfen geschüttelt, so dass auch dort die Möglichkeit besteht, dass die PS-Linke sich neu ausrichtet. Attac hat sich ebenfalls nach einer internen Befragung gegen den Vertrag ausgesprochen; beteiligt haben sich 44% der über 29.000 Mitglieder, über 80% sind gegen den Verfassungsentwurf. Die Arbeitslosenbewegung AC!, die der PCF und der CGT nahe steht, hat sich gegen den Vertrag ausgesprochen. Die Kommunistische Partei, die Trotzkisten der LCR, aber auch die Gewerkschaften CGT, SUD und FSU haben sich in diesem Sinne positioniert. Im Unterschied zum Referendum über den Vertrag von Maastricht, der von links und von eine national-souveränistische Position aus angegriffen wurde, kommt es heute zu einer neuformierten Aktionseinheit der Linken unter dem Motto “Alle gegen das neoliberale Projekt EU-Verfassung” und zu einer immer bewussteren Auseinandersetzung der Bevölkerung mit den Inhalten und der Kritik des neoliberalen Gesellschaftsumbaus.

In der nächsten Zeit wird sich auch die Auseinandersetzung um die “Gesundheitsreform” wieder zuspitzen, die die Unternehmen bei den sogenannten Lohn(neben)kosten entlasten soll. Die Regierung will “das Verhältnis von individueller Verantwortung und kollektiver Solidarität neu bestimmen”. Nötig sei die Anpassung an veränderte Umstände (Alterung der Gesellschaft, Verschuldung der gesetzlichen Krankenversicherung) Vor allem muss geklärt werden, “was der republikanische Pakt abdeckt und was persönliche Verantwortung ist”: Armbruch auf der Straße ja, beim Skiurlaub nein. Die Unterscheidung zwischen schweren und kleinen Risiken forderte erstmals der Arbeitgeberverband 1976. “Das Gefühl, alles sei umsonst” ist für Raffarin ein Grund für die Verschlechterung der Finanzsituation. Die Reform müsse bei den Franzosen wieder das Bewusstein über die wahren Kosten wecken. Man sieht, wie sich die Argumente gleichen. Jede Maßnahme in dem einen Land, wird zum Vorwand für Sozialkürzungen in den Nachbarländern.

Eine starke deutsche und internationale Beteiligung an der Demonstration in Brüssel am 19. März ist ein guter Beitrag, Solidarität zu zeigen. Allein die CGT will 15.000 KollegInnen in die belgische Hauptstadt bringen. Ein Wahlerfolg unserer Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit am 22. Mai in NRW ist ein weiterer Schritt im Kampf gegen den Neoliberalismus.

 

 

 

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