Die Nachricht.
Kapitulation vor den Gegnern des Parteibildungsprozesses ?
Das Hauptanliegen des von uns mitgetragenen Antrags zum Bundesparteitag: die drohende Spaltung der Partei zu verhindern.
Die um die Bundestagsfraktion gruppierte Strömung (Ernst, Aydin, Maurer, Mosler, Buchholz u.a.) erhebt ernstzunehmende Einwände gegen unsere Argumente: »Der Initiativantrag Bischoff u.a. kritisiert zwar klar die Pläne einer eigenständigen Kandidatur der Berliner WASG, macht aber zugleich eine ganze Reihe von Zugeständnissen an die Gegner einer Vereinigung mit der Linkspartei. PDS.« Im Grundsatz seien wir die weltfremden linken Träumer, die vor der harten neoliberalen Realität die Augen verschließen: »Die Vorstellung, die WASG habe Zeit, eine Verschnaufpause im Vereinigungsprozess einzulegen und eine Aufbauphase dazwischen zu schieben, um dann gestärkt (›auf Augenhöhe‹) in die Vereinigung gehen zu können, ist ziemlich wirklichkeitsfremd. Unser wirklicher Bündnispartner gegen neoliberales Gedankengut in einer vereinigten Linkspartei sind die sich rasch verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüche und die möglicherweise daraus sich entwickelnden sozialen und politischen Kämpfe.«
Was also sind die Punkte unserer vermeindlichen Kapitulation? Wir sehen vier wichtige Argumente:
1. »Im Antrag heißt es, viele Mitglieder seien irritiert ›durch die Politik der Linkspartei‹ und deshalb ›skeptisch gegenüber weiteren Kooperationsschritten‹. Das ist sicher richtig. Aber die Antwort der Antragsteller darauf geht in die falsche Richtung, nämlich den Gegnern der Vereinigung nachzugeben und Tempo aus dem Vereinigungsprozess zu nehmen.«
2. (...) »Für die weitere Entwicklung in Berlin hätte die ›Konsolidierungstaktik‹, wie sie im Initiativantrag vorgeschlagen wird, schwerwiegende Folgen. Eine Akzeptanz der Konkurrenzkandidatur der WASG Berlin gegen die Linkspartei.PDS durch die Bundespartei würde die gemeinsame Parteineubildung in Berlin nachhaltig beschädigen, wahrscheinlich sogar verhindern.«
3. .(...) »Führende Vertreter der Berliner Linkspartei.PDS und der Bundespartei unterstützen eine bundesweite Unterschriftenkampagne für das Papier (gemeint sind die ›Inhaltlichen Positionsbestimmungen‹ für einen gemeinsamen Wahlantritt in Berlin, JB/BR), und der Landesvorsitzende Lederer hat sich auf dem Berliner Parteitag dafür eingesetzt, die darin festgehaltenen Forderungen in einen gemeinsamen Wahlaufruf aufzunehmen. Dass es auch Gegner dieses Papiers in den Führungsgremien der Linkspartei. PDS gibt, zeigt nur, dass das Papier mehr ist als eine wahltaktische Finesse im Stile von Münteferings Heuschreckenkampagne, wie es seine Gegner vom Berliner Landesvorstand behaupten.«
4. (...) »Was die Partei jetzt braucht ist vor allem eine Führung, die den Kampf um eine unbedingte Vereinigung mit der Linkspartei.PDS verbindet mit einer offenen und zugleich solidarischen Kritik an Dresdner und Berliner Zuständen. Der größte Irrtum, dem viele linke Kritiker der Vereinigung unterliegen, ist der Glaube, man könne die Linkspartei. PDS von außen verändern, z. B. durch eine eigenständige Kandidatur der Berliner WASG. Im Schlusssatz des Antrags lesen wir: ›Wir (die WASG) wollen zum Motor einer geeinten Linken werden, die sich in zentralen gesellschaftlichen Konflikten verlässlich positioniert…‹ So richtig dieser Anspruch ist, so falsch wäre es zu glauben, wir könnten durch Abwarten und das Stellen politischer Bedingungen programmatischer oder praktischer Art von außen, die Linkspartei. PDS auf eine solchen Kurs der ›Verlässlichkeit‹ zwingen.«
Wir halten die Einschätzung für falsch, unser Hauptproblem sei durch das egoistische Organisationsinteresse einer trotzkistischen Sekte verursacht.
Wir bestreiten nicht, dass eine kleine Gruppe um die SAV ein anderes Parteiprojekt verfolgt und die WASG als Verstärker für ihre Ziele nutzt. Wir widersprechen der Schlussfolgerung : Da hier Splittergruppenlogik betrieben werde, müsse diese Strömung mit allen Mitteln zum Verlassen der Partei getrieben werden.
Die nicht zu bestreitende Tatsache, dass der erhoffte Mitgliederstrom aus den Gewerkschaften und dem linken Flügel der SPD ausbleibt, lässt sich nicht auf die von der genannten Gruppierung ausgelösten Konflikte reduzieren. Dies hat vielmehr viele Gründe. Unter anderem gehört dazu auch: Die Politik der Linkspartei ist keineswegs so glaubwürdig, dass ein wachsender Teil der Wahlbevölkerung von deren »sozialistischer Realpolitik« überzeugt wird.
Seit längerem ist die Erweiterung der Mitgliederbasis der WASG und der Ausbau unseres politischen Einzugsfeldes faktisch gestoppt. Dies hat auch mit unseren eigenen programmatisch-organisatorischen Schwächen zu tun. Wir haben keineswegs mit den weiteren Schritten der »großen Koalition« mithalten können. Unsere Gegenpositionen zum Umbau des Rentensystems, dem Systemwechsel in der gesetzlichen Krankenversicherung oder beim ALG II sind noch zu unscharf. Außerdem überschreiten sie selten die Ebene des Parlaments oder der innerparteilichen Debatte.
Die Bewertungen des Konfliktes um die Konkurrenzkandidaturen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern fallen zwischen den KritikerInnen unseres Antrages und uns höchst unterschiedlich aus. Wir stellen fest: In Berlin ist keine Grundlage für einen gemeinsamen Wahlkampf ausgehandelt und verabschiedet worden. Auf dem Parteitag der Linkspartei in Halle steht neben der Debatte um die Menschen- und Freiheitsrechte in Kuba auch ein Antrag zur sozialistischen Realpolitik durch massenhafte Privatisierung von öffentlichen Wohnungen und deren Verkauf an Heuschrecken (Kapitalfonds) zur Verabschiedung. Wir fordern im Unterschied zu anderen nicht den Ausschluss der Antragssteller, sondern eine offensive Debatte über die Inhalte eines grundlegenden Politikwechsels.
Weil sich die Berliner Linkspartei die gemeinsamen inhaltlichen Positionen nicht zu eigenen machen wollte (mit Ausnahme einzelner PolitikerInnen), betreibt die Linksruckströmung in der WASG eine Unterschriftensammlung. Dies ist zwar auch ein Umgang mit einer programmatischen Position für einen gemeinsamen Wahlkampf; aber wir sollten bei aller Anerkennung der bisherigen Beweglichkeit auch zur Kenntnis nehmen, dass bestimmte Veränderungen und Positionskorrekturen in der Linkspartei nicht einfach zu haben sind, und schon gar nicht mit dem »Druck« einer von 300 und womöglich auch mehr unterzeichneten öffentlichen Erklärung.
Eine Frage der politischen Kultur
Abschließend zum immer wieder vorgebrachten Argument, die WASG braucht Führung und die Führung muss Autorität zeigen und demonstrieren:
Wir räumen ein, dass die derzeit vorgeführten und gewünschten Demonstrationen von Führung weder auf uns noch auf etliche andere überzeugend wirken. Die Zivilgesellschaft in den kapitalistischen Metropolen weist längst nicht mehr die klaren Organisations- und Entscheidungsstrukturen auf, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung anzutreffen waren. Auch die politische Kultur der Linken darf sich diesen Veränderungen nicht versperren.
An manchen Orten mögen diese politischen Inszenierungen noch Wirkung zeigen. Die Organisation oder die Reorganisation der politischen Linken benötigt heute weitaus größere Konfliktbereitschaft und Toleranz bei der Willensbildung als früher. Konkret: Der politische Schaden einer organisatorischen Ausgrenzung der SAV und ihrer Sympathisanten ist größer als deren Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in einem Landtagswahlkampf. Zumal im Kooperationsabkommen III bescheidener erklärt wird, die Partner »bekunden nachdrücklich ihre Absicht, auf keiner Ebene bei Wahlen konkurrierend anzutreten.«(Punkt 6, Koop III)
Wir sind nicht dafür verantwortlich, dass politische Einfalt sich regional durchsetzt. Darüber hinaus gilt: Die Neue Linke hat nur Zukunft als lernende Organisation. Das Beharren auf der Autorität von charismatischen Führern ist wenig hilfreich. Auch das politische Führungspersonal muss seinen Beitrag zur Förderung einer lernenden Organisation leisten.
Und zum Schluss:
Es ist ein wahrlich charmantes Argument in einer hochgerüsteten und in viele Kriege verwickelten Gesellschaft Mitglied einer Antikriegspartei zu sein und als Kapitulant angegriffen zu werden. Es ist unsere Überzeugung, dass die mehr oder minder aggressiven Parolen vom Aufräumen und Durchgreifen Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit sind.
Wir treten für eine Überwindung der Spaltungen in der Linken ein, wir wollen dies mit Geduld und Überzeugung erreichen.
Wir gestehen – und das nicht im geringsten reumütig – , dass uns das Argument, mit administrativer Ausgrenzung zu höherer Einheit, und mit Engstirnigkeit zu politischer Klarheit zu gelangen, absolut nicht überzeugt.
Joachim Bischoff
Björn Radke