Die Nachricht.
Der Hurrikan Katrina verwüstet mehr als nur New Orleans
“Die am wenigsten natürliche Naturkatastrophe in der Geschichte Amerikas” (Mike Davis)
Einer der in der Rangliste der Meteorologen heftigsten Hurrikans, hat den Süden der Vereinigten Staaten verwüstet. Sturm- und vor allem Überflutungsfolgen haben Millionen Menschen betroffen, tausende sind ums Leben gekommen, sind obdachlos oder haben ihren gesamten Besitz verloren. Das Leid und Elend der Menschen verdient uneingeschränktes Mitgefühl und jede Hilfe die möglich ist. Und dennoch: täglich verstärkt sich der Eindruck, dass es nicht die Naturgewalten sind, die für diese Katastrophe verantwortlich sind.
Hurrikans und ihr Verlauf sind von allen Naturkatastrophen am besten vorherzusagen. Gleichzeitig ist die Entstehungsgeschichte von Wirbelstürmen sehr präzise erforscht. So ist es heute keine Spekulation mehr, dass die kontinuierliche Erwärmung der Meere in Folge von künstlich erzeugtem CO-2-Austoß zu häufigeren und heftigeren Wirbelstürmen führt. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Hurrikan Katrina die Vereinigten Staaten trifft, die seit Jahren eine konsequente Klimaschutzpolitik blockieren und sich noch nicht einmal bereit erklärt haben, das überaus bescheidene Kyoto-Protokoll zur Eindämmung der CO-2-Emissionen zu unterschreiben. Ebenso war es ausgerechnet der Gouverneur von Mississippi, Barbour, der im Dienste der Öl- und Kohleindustrie zu den Lobbyisten gehörte, die Präsident Bush zu dieser Haltung ermunterten.
Die wirkliche Katastrophe in Folge des Hurrikans Katrina ist ein Ergebnis der sozialen Verhältnisse in den USA.
Mit den Wirbelstürmen und Fluten zu leben ist heute möglich, selbst mit Großstädten in Küstennähe. Aber seit Jahren wird der Küstenschutz in Louisiana und Mississippi vernachlässigt. Deichbauprogramme wurden von der Bush-Regierung Jahr für Jahr gekappt. Statt für Küstenschutz gibt die US-Regierung Milliarden für den so genannten „Heimatschutz“, das heißt Maßnahmen gegen den „Terror“ und für ihre Kriegszüge im Irak, Afghanistan und anderswo aus.
Im Juni 2004 schrieb Walter Maestri ein Verantwortlicher für Katastrophenschutz aus Louisiana in einer lokalen Zeitung: „Es sieht so aus, dass das Geld in den Haushalt für Heimatschutz und in den Krieg im Irak geflossen ist, und das ist wohl der Preis den wir dafür zahlen müssen. Keiner hier ist glücklich darüber, dass die Dämme nicht fertig gestellt werden können, und tun alles, um klar zu machen, dass dies für uns eine Frage der Sicherheit ist.“
Das Ingenieurcorps der US-Armee hatte für den Hurrikan-Schutz in der Region von New Orleans 2004 11 Million $ beantragt und gerade mal 5,5 Million $ Dollar erhalten. Für 2005 wurden 22,5 Million $ beantragt und gerade mal 5,7 Million bewilligt. Für 2005 schlug die Bush-Administration einen Betrag von 2,9 Million $ vor.
Dem stehen Ausgaben von 250 Milliarden $ für den Irakkrieg. Monatlich werden 5,4 Milliarden für den Krieg ausgegeben.
Für den Krieg, der mit der Lüge von irakischen Massenvernichtungswaffen begann, bezahlen die Armen US-Amerikaner besonders – als Soldaten und als Hurrikan-Opfer.
Wären die unmittelbaren Folgen des Hurrikans mit relativ bescheidenen Mitteln schon zu verhindern gewesen, zu denen die US-Regierung aber nicht bereit war, so werfen die furchtbaren mittelbaren Folgen in den Tagen nach dem Sturm ein noch viel grelleres Licht auf die brutale Wirklichkeit in dem Musterland des Neoliberalismus.
Die brutalen Folgen des Neoliberalismus: „Hilf Dir selbst“
Seit jetzt schon Jahrzehnten werden die US-amerikanischen Großstädte von einer gnadenlosen Polarisierung in Arm und Reich geprägt. Im Zuge dessen wird die städtische Infrastruktur komplett an diese neuen Verhältnisse angepasst. Die reichen und noch halbreichen Mittelschichten verlassen die Städte, bauen ihren eigenen Wohnorte oder sie igeln sich in den besten Wohnlagen der Städte ein. Insbesondere New Orleans ist davon betroffen. Hier leben mehr AfroamerikanerInnen und andere Nicht-Weiße und mehr Arme als in jeder anderen Großstadt, vor allem in tief liegenden Stadtgebieten. Seit mehreren Regierungsperioden werden die Programme zur Entwicklung der städtischen Infrastruktur immer mehr gekürzt. Allein für Polizei und Justiz zum Schutz der privilegierten Quartiere oder auch nur zur Vertreibung von Unerwünschten werden die Ausgaben regelmäßig erhöht.
Der neoliberale Schlachtruf „survival of the fittest“ ist in New Orleans wie in anderen US-amerikanischen Großstädten buchstäbliche Realität. Soziale Sicherungssysteme sind Privatangelegenheit und wer nicht zahlen kann, hat weder Kranken- noch Rentenversicherung, lebt von prekären Jobs oder eben durch kriminelle Bereicherungen.
Als einzige Methode der Krisenbekämpfung nach den Hurrikan-Warnungen wurde deshalb auch nur die Losung ausgegeben: Hilf dir selbst. Wer kein Auto hatte, wer kein Rückzugsquartier im Hinterland oder vermögende Freunde und Verwandte hatte musste in der Stadt bleiben. Als Alternative wurden die Überschwemmungsopfer in Großstadien zusammengepfercht, ohne ausreichend Wasser, Lebensmittel und hygienische Versorgung.
Die Regierungspolitik konzentrierte sich fast nur darauf, immer mehr Sicherheitskräfte und Soldaten zu entsenden, um dem rasch verhängten Kriegrecht Genüge zu tun. Die Opfer wurden zu Tätern verwandelt und eine öffentliche Demagogie gegen die Plünderer und Armen begann.
Nicht wenige Beobachter konstatieren erschüttert, dass hier die Stadt New Orleans geopfert wurde. Ihre Erschütterung mischt sich mit der Legitimatiationskrise der Bush-Regierung infolge des Irak-Desasters. So schreibt eine Kommentatorin der New York Times:
„Als unserer Präsident und Vizepräsident hastig unsere Verbündeten und unseren Respekt für das Internationale Recht abschüttelten, um einen Krieg zu entfesseln, der auf Lügen aufgebaut war, als sie Folter duldeten, haben sie den Glauben der Welt in amerikanische Werte erschüttert.
Als sie sich solange taub gestellt haben gegenüber dem schrecklichen Elend und den Hilferufen der Opfer in New Orleans – die meisten von ihren arm und schwarz, wie die die gestern hinter der Absperrung feststeckten als 700 Gäste und Angestellte des Hyatt Hotels als erste mit Bussen rausgefahren wurden – haben sie den Glauben aller Amerikaner in amerikanische Ideale erschüttert. Und haben uns beschämt.“ (Maureen Dowd, NYT, 3.9.2005)
Aus der Krise werden nur die Reichen als Gewinner hervorgehen. Sie planen schon jetzt ihr neues New Orleans. Hunderttausende Vertriebene, die weder Eigentumstitel noch Versicherungen besitzen bleiben vertrieben und können sehen, wo sie unterkommen.
Im Kontrast zu der Arroganz der Macht steht das Mitgefühl der amerikanischen Bürgerinnen und Bürger. Unzählige und fast übermenschliche Aktionen der gegenseitigen Hilfe und elementarer Solidarität der Opfer untereinander wurden. Überlagert werden sie allerdings von brutalen Kämpfen um die letzten verbliebenen Ressourcen.
Aber auch hier zeigt sich die tiefe rassistische Spaltung, die es immer noch in den USA gibt. Der schwarze Rapper Kanye West brachte es auf einem Benefizkonzert auf den Punkt: „Ich hasse die Art und Weise, wie sie uns in den Medien zeigen. Wenn man eine schwarze Familie sieht, heißt es, sie plündert. Wenn man eine weiße Familie sieht, heißt es, sie ist auf der Suche nach Essen.“
Die Organisationen der AfroamerikanerInnen organisieren bereits ihre berechtigten Proteste und nicht wenige hoffen, dass Katrina wenigstens eine positive Folge hat: einen neuen Aufschwung der Bürgerrechtsbewegung. Auch die Antikriegsbewegung, die ihren schon lange vor der Katastrophe geplanten Protesttag am 24.9. vorbereitet sieht sich in ihren Forderungen nach Truppenrückzug und einem Ende der aggressiven Außenpolitik um jeden Preis bestätigt.
Der Neoliberalismus führt in die Sackgasse
Auch in Deutschland haben die Energiekonzerne gerade in diesen Wahlkampftagen die Gunst der Stunde genutzt, um nicht nur eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken zu fordern, sondern vor allem eine Übernahme der US-amerikanischen Klimapolitik durch die Bundesregierung und eine Beendigung der Kyoto-Abkommen.
Wir wissen auch, dass die neoliberale Verwandlung insbesondere des städtischen Lebens, die Verrohung der Zivilisation, der soziale Auslesekampf und die Polarisierung von Arm und Reich, von Besitzenden und Besitzlosen sich immer mehr dem US-amerikanischen Vorbild anpasst.
Mit der neoliberalen Offensive wird auch bei uns das Streben nach militärischer Macht vorangetrieben, das auch immer von den einfachen Menschen bezahlt wird.
Gut zwanzig Jahre neoliberale Politik hat aber ein anderes Deutschland geschaffen, dass immer schlechter in der Lage sein wird, auf zukünftige Katastrophen zu reagieren.
Gründe genug, sich auf allen Ebenen für eine neue Politik und eine solidarische Gesellschaftsordnung einzusetzen.
Thies Gleiss, Christine Buchholz
05.09.2005