Die Nachricht.
Zuspitzung in Frankreich
Mit der Order, die besetzten Schulen wieder für den Unterricht zugänglich zu machen, eskaliert die Regierung de Villepin erneut den sozialen Konflikt über die Abschaffung des Kündigungsschutzes.
Erneut waren zwischen einer und drei Millionen Menschen am Aktionstag dem Aufruf der Gewerkschaften gefolgt, um sich dafür einzusetzen, dass ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber nicht weiter geschwächt wird. Obwohl die französischen Gewerkschaften nur 8% der Arbeitnehmer organisieren, haben sie ihre Mobilisierungsfähigkeit erneut unter Beweis gestellt und die Zahl der Teilnehmenden um ein Drittel steigern können. Die Gewerkschaften haben ein Kernthema der Gestaltung der sozialen Beziehungen aufgegriffen, das die Regierung im Eilverfahren ohne parlamentarische Anhörungen und Aussprachen durchziehen wollte.
Die Regierung in Frankreich spricht davon, dass man mit Ultimaten die "Demokratie" nicht erpressen könne und setzt die Schulleiter unter Druck, jetzt die Polizei anzufordern und eskaliert die Auseinandersetzung erneut.
In Frankreich lehnen 60% der Bevölkerung die Pläne für die Neueinstellungsverträge ab, aber weniger als 50% glauben, dass de Villepin sie zurückzieht. In den Gesprächen mit den Schülervertretern zeigte sich der Ministerpräsident kompromissbereit, aber gegenüber den Gewerkschaftsspitzen weigerte er sich kategorisch, das Gesetz zurückzunehmen und ohne Vorbedingungen zu verhandeln.
In Deutschland wird die Entwicklung in Frankreich ganz unterschiedlich betrachtet: so tauchen bei den Warnstreiks der IG Metall in der Metall- und Elektroindustrie erste Plakate mit der Parole "Es reicht!!!! Die Franzosen zeigen uns den Weg" auf. Umgekehrt hat die Große Koalition die Beschneidung des Kündigungsschutzes (Ausweitung der Probezeit auf zwei Jahre) fest im Koalitionsvertrag. Ob die Tatsache, dass die Kanzlerin nach Intervention des Arbeitsministers nun Forderungen nach einer weitergehenden Verschlechterung oder gar Abschaffung des Kündigungsschutzes seitens Michael Glos und Laurenz Meyer vorerst zurückgewiesen hat, einer Sorge über die französische Entwicklung entspringt, lassen wir einmal dahingestellt.
In Frankreich jedenfalls sind noch 119 Gymnasien besetzt und rund 319 im Schulbetrieb gestört (knapp ein Zehntel aller Schulen). An diesen soll jetzt ein Exempel statuiert werden, damit die Jugend des Landes lernt, was ihre Regierung von ihrer Zukunft hält. Selbst der Vorsitzende der CFDT Cherèque will in dieser Lage nicht länger den "Feuerwehrmann" spielen.
Der Verfassungsrat, den die Sozialisten angerufen haben, wird nun über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes zu befinden haben. Es steht eine weitere Eskalation zu befürchten, da dieses Gremium die Aufhebung des Kündigungsschutzes in den ersten zwei Jahren für Arbeitnehmer von Kleinbetrieben unter 20 Beschäftigten befürwortet und der Regierung das Recht zugestanden hat, für Gruppen in besonders schwieriger Lage ungleiche Rechtstatbestände zuzulassen.