Die Nachricht.
Urabstimmung und Parteibildung
Die Parteimitglieder über bundesweite Urabstimmungen in politische Entscheidungen einzubeziehen, ist in der deutschen Parteienlandschaft nicht üblich. Hin- und Wieder dürfen die Mitglieder bei der Personalauswahl mitwirken. Die Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit –die Wahlalternative geht hier einen anderen Weg.
Schon das zweite Mal hat die Partei zu einer Urabstimmung aufgerufen. Es geht um das Schlüsselproblem der Entwicklung einer neuen Partei der Linken.
Von den 11800 aufgerufenen Mitgliedern der WASG haben 57 Prozent an der schriftlichen Urabstimmung teilgenommen. Diese Wahlbeteiligung kann sich im Vergleich zur Praxis der anderen politischen Parteien durchaus sehen lassen. Gleichwohl überwiegt bei den PolitikerInnen und FunktionsträgerInnen in der Wahlalternative eine kritische Sicht auf das Ergebnis. Mit einer deutlich höheren Wahlbeteiligung wäre auch die Überzeugungskraft der Abstimmung gestiegen. Die Wahlbeteiligung wird vom Bundesvorstand als enttäuschend bewertet.
78 Prozent der Parteimitglieder, die sich beteiligt haben, haben mit JA gestimmt. Geht man von der wünschbaren Vorstellung einer Beteiligung aller Mitglieder aus, dann haben sich 45 Prozent der Mitglieder für den Parteibildungsprozess mit der Linkspartei ausgesprochen. Dies ist mit Sicherheit ein beachtliches Votum für die Fortsetzung des Kurses, mit dem aus Linkspartei und WASG am Ende von weiteren 12 Monaten die Basis für eine neue politische Formation entstehen soll.
Ein Blick in die aktuelle Presselandschaft zeigt allerdings eine doppelbödige Argumentation: bei den letzten Landtags- und Kommunalwahlen ist die Beteiligung drastisch gesunken. Niedrige Wahlbeteiligung, so pflegen uns die Fachleute in allen Medien zu erklären, bedeute lediglich eine Normalisierung, eine Anpassung an westliche Demokratiestandards, gewissermaßen die Abkehr von der alten, überkommenen obrigkeitsstaatlichen Gesinnung der Deutschen. Im Gegensatz zu der Normalisierung in Sachsen-Anhalt oder Hessen wird aber eine Wahlbeteiligung von 57 % aller Parteimitglieder in der WASG als Ausdruck einer wenig attraktiven politischen Kultur gewertet.
Allerdings ist das Mittel einer Mitgliederurabstimmung kein Universalrezept, mit dem sämtliche Konflikte und kritischen Debattenpunkte um den Parteibildungsprozess herum lösen zu können.
Was für eine Partei brauchen wir?
Im Herbst 2005 haben 4, 1 Millionen WählerInnen eine starke Fraktion der Linken in den Bundestag gewählt. Weil eine parlamentarische Fraktion ohne parteipolitischen Unterbau nur einen eingeschränkten Sinn macht, hatten sich die PDS und die Wahlalternative Arbeit dazu verpflichtet einen neuen parteipolitischen Unterbau bis zum Jahr 2007 zu entwickeln.
Die wahlpolitische Aufbruchstimmung machte rasch einer politischen Routine und einer unter Linken nicht unbekannten nervigen Streitkultur Platz. Der Parteibildungsprozess auf der politischen Linken jenseits der Sozialdemokratie ist unter den verschiedenen Strömungen und Tendenzen umstritten. Ein Teil der Aktiven pocht auf eine antikapitalistische Grundausstattung der neuen Partei und favorisiert folglich einen Bruch mit den gesellschaftlichen Institutionen.
Andere wären schon mit einer praktisch wirksamen reformpolitischen Option innerhalb des real-existierenden Kapitalismus zufrieden. Denn die politische Praxis des entfesselten Kapitalismus wirft für den Großteil der unteren sozialen Schichten erhebliche Probleme auf. Die Rente mit 67 ist faktisch eine weitere Form der Kürzung der Altersrenten, weil schon heute der Großteil der BürgerInnen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Daneben sind Arbeitszeitverkürzungen, Kürzung der Einkommen, Einschränkungen beim Kündigungsschutz und erhöhte Sozialabgaben bei verringerten Leistungen zu verdauen. Der Alltag des entfesselten Kapitalismus schlägt sich in wachsenden sozialen Konflikten nieder. Die Streikbewegungen in Öffentlichem Dienst sowie Metall- und Elektroindustrie spiegeln den Abwehrkampf von Beschäftigten und Gewerkschaften gegen den Generalangriff der Arbeitgeber auf Entgelt- und Arbeitszeitstandards in der Bundesrepublik. Auch sie hätten zur Stärkung ihrer Position eine gemeinsame starke linke Partei bitter nötig.
Vor diesem Hintergrund werfen die inhaltliche Ausrichtung und das Selbstverständnis einer neuen politischen Linken viele Probleme auf und insofern ist für reichlich Stoff zur Auseinandersetzung gesorgt. In diesen Zusammenhang ist das Projekt Mitgliederurabstimmung innerhalb der WASG einzuordnen. Diese Abstimmung unter allen Mitgliedern hat die Grundrichtung geklärt: eine Mehrheit der Parteimitglieder will an dem Zusammengehen mit der Linkspartei. PDS festhalten. Aber ein Mitgliedervotum ersetzt keinen Parteitag und keine Verhandlungen mit der Linkspartei.
Die Mitglieder wollen – in einem überschaubaren Zeitrahmen – die neue gesamtdeutsche Partei der Linken, aber sie wollen diese nicht zu allen Bedingungen. Und noch erweckt die Linkspartei.PDS den Eindruck, sie habe mit dem Wechsel in der politischen Bezeichnung alle Probleme gelöst. Es geht aber um weit mehr als den Parteinamen – wenn eine starke moderne Linke entstehen soll, die allen Varianten neoliberaler Politik entschiedene Opposition garantiert, dann muss dem Namenswechsel auch eine Veränderung der politische Praxis und eine neue Organisation folgen.
Noch viele offene Fragen ...
Für den vor uns liegenden Weg zu einer starken Linken sind aber noch viele offene Fragen zu klären. Viele Mitglieder sind durch die Politik der Linkspartei irritiert, und daher skeptisch gegenüber weiteren Kooperationsschritten. Dieses schlägt sich – so unsere Interpretation - in der hohen Zahl der Mitglieder nieder, die ihr Wahlrecht nicht wahrgenommen haben.
Unter den Mitgliedern muss noch intensiver und deutlicher für das Projekt einer starken linken Kraft in Deutschland geworben werden. Gemeinsam müssen die verschiedenen Formen und Ergebnisse politischer Kooperationen zwischen WASG und Linkspartei ausgewertet und weiterentwickelt werden.
Es müssen u.a. Kriterien und exemplarische Regelungen entworfen werden, wie auf Kreis- und Landesebene die bisherige gemeinsame politische Praxis beider Parteien in eine dauerhafte Verabredung mit Übergangsbestimmungen über gleichberechtigte Beteiligungen und Minderheitenrechte einmünden können.
Der bevorstehende Parteitag kann zu einer weiteren Klärung beitragen und die nächsten Schritte hin zur Schaffung einer neuen gemeinsamen linken Formation einleiten.
3.4. 2006