Die Nachricht.
Die Große Koalition des Neoliberalismus
Die öffentlichen und sozialen Kassen der Bundesrepublik befinden sich in einem desaströsen Zustand. Logischerweise kann daher eine Regierungskoalition, die eine rigorose Spar- und Konsolidierungspolitik in das Zentrum stellt, auf eine Anfangsympathie rechnen.
Freilich muss jeder Versuch der Sanierung der öffentlichen Haushalte und sozialer Sicherungssysteme die Ursachen dieser Fehlentwicklung treffen. Für die Entwicklung in Deutschland lassen sich drei Hauptfaktoren benennen
· Chronisch abgeschwächte Wirtschaftswachstum, also keineswegs nur eine
Konjunkturelle Fehlentwicklung;
· Eine hartnäckig verfolgte Steuersenkungspolitik; d.h. über Entlastung der Unternehmen und der höheren Einkommen einerseits und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes andererseits (inklusive Lohnzurückhaltung und Absenkung der Beiträge für soziale Sicherheit) sollten Investitionen begünstigt und vor allem die Binnenkonjunktur belebt werden;
· Ein dramatischer Rückgang bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen; allein im Jahr 2005 um ca. 400 000; vor allem die Sozialbeiträge aus diesen Lohnverhältnissen speisen die Sozialkassen;
Bilanziert man die wichtigen Programmpunkte der sich abzeichnenden >großen Koalition<, so stellt man eine Radikalisierung der in den letzten Jahren betriebene Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik fest.
Die Sozialdemokratie hat ihre inhaltliche Ausrichtung im Bundestagswahlkampf erneut Lügen gestraft:
· das Regierungsprogramm der großen Koalition wird eine verschärfte Fassung der Agenda 2010 sein:
· Der Kündigungsschutz soll weiter gelockert werden;
· die Sozialtransfers für die Langzeitarbeitslosen sollen um 4 Mrd. gekürzt werden;
· die Lebensarbeitszeit wird verlängert;
· die steuerliche Belastung für die Lohnabhängig wird erhöht.
· Bei der Bundesagentur für Arbeit wird der Sparkurs nochmals verschärft, obwohl angesichts der hohen Arbeitslosigkeit die Fort- und Weiterbildungsangebote eine zukunftsorientierte Politik wären.
Über diese politische Konzeption ist schon vor den Zeiten der >Agenda 2010< geurteilt worden: „Es sei noch nicht genug reformiert worden, sagen die Verfechter der seit zwanzig Jahren tonangebenden Richtung. Deutschland sei erstarrt und verkrustet, es gäbe ein hartnäckiges Strukturproblem...Weiter reformieren und entstaatlichen, den Arbeitsmarkt flexibler machen, die sozialen Sicherungssysteme weiter privatisieren, die gesamte Reformagenda konsequent abarbeiten“(Flassbeck/Müller).
Diese Politik wird scheitern!
Diese Politik wird - wie alle vorangegangen Ansätze – scheitern. Mit dieser Sparpolitik wird die soziale Ungerechtigkeit verschärft, die soziale Spaltung verschärft und - wegen wachsender sozio-ökonomischer Fehlentwicklung – neuer Spar – und Konsolidierungsdruck erzeugt. Die politischen Stimmen, die einen radikalen Kurs- und Politikachsel fordern, sind trotz des herausragenden Wahlergebnisses von Linkspartei und WASG bescheiden. Gleichwohl wird die große Koalition mit einer Version der „Agenda 2010-plus“ eine fragile politische Konstellation sein.
Wichtige Bereiche wie die Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung und des Gesundheitsbereiches bleiben in der Koalitionsvereinbarung ausgeklammert, weil die Sozialdemokratie einen Systemwechsel zur Gesundheits- oder Kopfprämie wohl weder innerparteilich noch unter ihren WählerInnen durchsetzen könnte. Wir sollten uns von den Beteuerungen, die Koalition sei auf vier Jahre anglegt, nicht einlullen lassen. Diese Koalition verfolgt eine neoliberale Gesellschaftspolitik und sie ist – trotz breiter parlamentarischer Basis – genauso angreifbar und fragil wie das Projekt der rot-grünen Regierung.
Und wieder tönen die Ideologen des Neoliberalismus: Der Sachverständigenrat fordert in seinem jüngsten Gutachten - >die Chance nutzen – Reformen mutig voranbringen < - eine noch radikaler Umverteilungs- und Deregulierungspolitik. Zwar seien mit den Hartz-Gesetzen, dem GKV-Modernisierungsgesetz, dem RV-Nachhaltiggesetz, dem Alterseinkünftegesetz oder den einzelnen Stufen der Einkommenssteuerreform bereits eine beachtliche Strecke des Reformweges zurückgelegt.“ Aber die Sozialeinkommen müssten noch weiter abgesenkt und der Niedriglohnbereich ausgebaut werden.
Die Verfechter die neoliberalen Umbaupolitik werden unbeschadet der praktischen Ergebnisse ihrer Politik den Marsch in die gesellschaftspolitische Sackgasse fortsetzen. Ein radikaler Kurs- und Politikwechsel wird in dem Maße einflussreich, indem über die Bündelung der Proteste ein breites gesellschaftliches Bündnis entsteht.
Joachim Bischoff
Björn Radke