Die Nachricht.
Interview: "Redlicher Journalismus ist etwas anderes"
Wir wollten wissen, wie ein Journalist die Medienberichterstattung über das Linksbündnis sieht. Günter Frech hat in seinem journalistischen Leben sowohl für bürgerliche Medien wie für die Gewerkschaftspresse, für Basismedien und für linke Zeitungen gearbeitet.
FRAGE: Hat der Wahnsinn Methode - so wie die Medien über das Linksbündnis und besonders über Oskar Lafontaine berichten?
GÜNTER FRECH: Die Art der Berichterstattung in den meisten Medien erstaunt mich nicht. Und doch macht sie mich sehr zornig. Was ich zurzeit beobachte, erinnert in Teilen sehr an die Springer-Kampagne gegen die Studentenbewegung Ende der Sechziger Jahre. Die damalige junge Generation hat die herrschende Politik in Frage gestellt; die Herrschenden fühlten sich in ihrer Ruhe gestört und via Springer-Presse wurde zurückgeschlagen. Auch die RAF- Sympathisanten -Hysterie Mitte der Siebziger erfüllte ihren Zweck. Und obwohl bei jeder Tarifrunde seit 40 Jahren der Untergang des Abendlandes ausgerufen wird, erstaunte mich die Wucht der Hetze vor zwei Jahren, als Gewerkschaften als Blockierer, Neinsager und Plage beschimpft wurden.
Jetzt ist es das Linksbündnis und sein Führungspersonal, auf das sich die meisten Medien eingeschossen haben. Doch wie die Medien berichten, macht aus ihrer Sicht Sinn: würden sie zugeben, dass Lafontaine und die Linkspartei in einigen Punkten Recht hat, müssten sie ja ihre eigene Position hinterfragen. Zudem sind Medien keine Wohlfahrtsveranstaltungen, sondern Wirtschaftsunternehmen. Die wollen Profit machen und das tun sie, indem sie berichten, wie noch mehr Profit möglich ist.
FRAGE: Das heißt doch, dass gar nicht objektiv berichtet wird?
GF: Ach, da trägt mein Berufsstand etwas vor sich her, was es so nicht gibt. Jede Journalistin und jeder Journalist bewertet Zusammenhänge im günstigsten Fall mit seinem eigenen Kopf. Und alles was durch meinen Kopf geht, spucke ich mit dieser Bewertung doch wieder aus. Dann kommt es auch noch auf die eigene Haltung an, die Journalisten zum Objekt der Berichterstattung haben. Ein wirtschaftsfreundlicher Kollege bewertet Aussagen vom DGB-Chef Michael Sommer anders als ich. Ich achte darauf, ob er offensive Interessenpolitik betreibt. Tut er dies, bewerte ich es positiv, bremst er, wie beispielsweise bei den Hartz IV-Protesten, hinterfrage ich das.
FRAGE: Warum funktioniert das bei deinen Kollegen nicht?
GF: Die Aufklärer und Mahner unter den Journalisten sind nicht ausgestorben. Vor einigen Monaten hat Arno Luick im STERN einen wunderbaren Kommentar zum entfesselten Kapitalismus und seinen Helfern geschrieben. Auch DIE ZEIT oder einige überregionale Tageszeitungen und auch Regionalzeitungen glänzen mitunter mit guten Reportagen und hinterfragen das politische und ökonomische Geschehen. Im neoliberalen Mainstream geht das manchmal unter. Ich beobachte mit Sorge, dass nur noch wenige Kolleginnen und Kollegen die Sozialstaatlichkeit unseres Grundgesetzes verinnerlicht haben. Leider sind viele Journalisten von den Rezepten der Neoliberalen überzeugt. Sie bekommen das ja seit 23 Jahren vorgebetet.
Gerade die Wirtschaftsjournalisten haben in der Regel Betriebswirtschaft studiert und mit dieser Sicht bewerten sie auch volkswirtschaftliche Zusammenhänge. Dabei vergessen sie, dass man einen Staat nicht wie eine Schraubenfabrik führen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass Journalisten eher individualistisch und weniger in kollektiven Zusammenhängen denken. Selbstverständlich gibt es die Ausnahme von der Regel und die differenzierte Sichtweise sollte vor unlauteren Verallgemeinerungen schützen. Unter den heute 35-jährigen Medienmenschen stelle ich fest, dass ihnen historisches Bewusstsein fehlt. Bei Kohls Amtsantritt waren die 12 Jahre jung. Die erlebten nur Kohl und eine dilettantische Rot-Grüne Regierung. Dann wurde ihnen erzählt, wir Achtundsechziger seien sowieso an allem schuld. Auf dem politischen Feld wird eben gerne mit Feindbildern gearbeitet. Irgendwer muss immer an irgend etwas schuld sein. Und warum sollen junge Journalisten anders ticken als der alte Günter Grass? Der findet Hatz IV doch auch gut und macht für Schröder Wahlkampf.
FRAGE: Wie kommt es nun, dass das Linksbündnis hauptsächlich niedergeschrieben wird?
GF: Würden sie anders schreiben, müssten sie ihre eigenen Vorurteile hinterfragen. Das Pflegen von Vorurteilen befreit mitunter von der Last des eigenen Nachdenkens. Wenn ständig behauptet wird, Lafontaine habe die Brocken hingeworfen, wird das verinnerlicht. Ich kann mich noch sehr genau an ein Interview erinnern, das der frühere Monitor-Chef Klaus Bednarz im Tage des Lafontaine-Rücktritts mit Horst-Eberhard Richter führte. Der Psychoanalytiker und Friedensaktivist legte sehr dezidiert dar, warum Lafontaine zurücktreten musste. Würde dieses Interview heute nachgedruckt, hätten wir eine andere Debatte. Ich kenne aktuell nur zwei Statements, die Lafontaine einigermaßen gerecht werden: das erste stammt vom ehemaligen NRW-Regierungssprecher Wolfgang Lieb und ist unter www.nachdenkseiten.de nachzulesen und das zweite ist ein Interview, dass die Süddeutsche Zeitung mit Friedhelm Hengsbach führte, das leider nur im Internet veröffentlicht wurde.
FRAGE: Auffallend ist doch, dass selbst linksliberale Zeitungen wie "taz" oder "Frankfurter Rundschau" nicht gerade fair mit uns umgehen.
GF: Diese beiden Zeitungen haben doch das so genannte "Rot-Grüne Projekt" hochgeschrieben. In ihren Augen und vom Selbstverständnis der publizistischen Ausrichtung war das redlich, sie haben nur vergessen, dass Rot-Grün ein Zweckbündnis und keine Liebensheirat ist. Und jetzt kommt Ihr von Links und macht dieses schöne Projekt kaputt. Da wäre ich auch sauer. Im Ernst: auch wenn es in "taz" und "FR" viel Häme gibt, es gab auch Beiträge, die waren hilfreich. Nicht nur in diesen beiden Zeitungen. Auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gab es neben grottenschlechten und von Vorurteilen nur so strotzenden Beiträge auch einige sehenswerte.
Beispielsweise war das "Duell" zwischen Friedrich Merz und Oskar Lafontaine bei Sabine Christiansen super! Die beiden haben die Moderatorin überflüssig gemacht und sich ohne zu diffamieren fair gestritten. Voller Freude rufe ich da "es geht doch!" Wenn ich mich mit Kollegen unterhalte, sage ihn ihnen, ihr müsst das "Links-Dings" ja nicht lieben, ich erwarte aber Redlichkeit, Neugierde und faire Berichterstattung. Weil viele Kollegen das nicht erfüllen, klären sie auch nicht auf, sondern tun das, was gerade modern ist: sie jagen Politiker, um sie abzuschießen und Lafontaine wollen sie am Boden sehen. Nicht nur weil Lafontaine ein Attentat überstand - aber auch darum -, verhalten sich diese Kollegen schäbig. Ich finde, WASG und Linkspartei sollten das Gespräch mit gewerkschaftlich organisierten Journalisten suchen, mit ihnen über ihre Arbeit reden und mit ihnen vereinbaren, gemeinsam die Wahlberichterstattung auszuwerten.
Das Gespräch führte: Murat Cakir