Eckpunkte für eine solidarische Kranken- und Pflegeversicherung
Von Inge Höger (WASG-Bundesarbeitskreis GeSoPol)
Ein Konzept für eine solidarische Kranken- und Pflegeversicherung muss die Gesundheitsversorgung im Interesse der Versicherten neu gestalten und die finanzielle Situation stabilisieren. Eine einheitliche Kranken- und Pflegeversicherung ist notwendig und sinnvoll, um das Teilkaskoprinzip in der Pflege und den Verschiebebahnhof zwischen Kranken- und Pflegeversicherung zu überwinden. Um Zuständigkeitsgerangel weiter zu verringern, sollten auch die medizinischen Leistungen der Rentenversicherung komplett von einer Krankenkasse für alle und alles übernommen werden. Dies ermöglicht eine deutliche Vereinfachung der Zuständigkeiten und Bürokratieabbau.
Jede Einwohnerin und jeder Einwohner ist kranken- und pflegeversichert.
Um dieses Ziel zu erreichen, wird die gesetzliche Krankenversicherung in eine Pflichtversicherung für alle Einwohnerinnen und Einwohner umgewandelt. Selbständige, Beamtinnen und Beamte ebenso wie Abgeordnete und FreiberuflerInnen werden nach und nach in die solidarische Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen.
Nur so kann die Realisierung des Solidargedankens gesichert werden. Auch die Besserverdienenden und bisher in der PKV Versicherten müssen in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen, um die Lasten gerechter zu verteilen. Private Kassen können Zusatzleistungen anbieten.
Alle Einkommensarten werden in die Beitragsbemessung einbezogen. Die Beiträge steigen analog zum Einkommen.
Dazu dienen folgende Maßnahmen:
Neben Einkommen aus unselbständiger Arbeit sind dann auch Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung ebenso wie sonstige Einkommen (z.B. Abgeordnetenbezüge) heranzuziehen.
Es gibt keine Grenze der Solidarität, ab der nicht mehr der gleiche Prozentsatz in die Versicherung eingezahlt wird. Die Aufhebung der heutigen Beitragsbemessungsgrenze erfolgt in mittels eines Stufenplans. In einem ersten Schritt wird sie auf das Niveau in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung angehoben.
Bis zur endgültigen Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze werden Zins- und Mieteinkommen nur oberhalb eines monatlichen Freibetrages in einer zweiten Einkommenssäule für Beiträge herangezogen.
Oberhalb einer Bagatellgrenze sind alle Einkommen sozialversicherungspflichtig (Aufhebung der Mini- und Midijobs).
Die Einnahmebasis der Kranken- und Pflegeversicherung muss erweitert werden. Alle sollen den gleichen Prozentsatz ihres Einkommens einzahlen.
Die paritätische Finanzierung wird wieder hergestellt und durch eine ergänzende Wertschöpfungsabgabe erneuert!
Um bei Einbeziehung weiterer Einkommen auf Seiten der Versicherten das Prinzip der Parität aufrecht zu erhalten, ist ein zusätzlicher Arbeitgeberbeitrag zu erheben. Dieses kann in Form einer Wertschöpfungsabgabe geschehen.
Der Sonderbeitrag für das Krankengeld und den Zahnersatz von 0,9 % für die Versicherten wird zurückgenommen.
Parität ist Ausfluss des Verfassungsgrundsatzes von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Wenn auf Seiten der Versicherten Mehreinnahmen durch die Beitragserhebung auf alle Einkommen Mehreinnahmen erzielt werden, muss es zur Erhaltung der Parität eine zusätzliche Arbeitgeberabgabe geben, die sich an der betrieblichen Bruttowertschöpfung orientiert sollte.
Die solidarische Kranken- und Pflegeversicherung muss wieder von Versicherten und Unternehmen gemeinsam finanziert werden.
Es gilt das Individualprinzip. Nicht erwerbstätige Personen ohne eigene Einkünfte sind beitragsfrei versichert.
Kinder und Menschen ohne eigenes Einkommen müssen durch die Solidargemeinschaft der Versicherten unterstützt werden. Gleichzeitig sind überholte Abhängigkeiten von Ehe- bzw. LebenspartnerInnen und Kindern zu beseitigen. Dem entspricht das Konzept der WASG mit einer Individualabsicherung in allen Sozialsystemen. Jedes Kind soll mit der Geburt eine eigene Versicherungsnummer bekommen, jeder Mensch individuell kranken- und pflegeversichert sein. Niemand wird aufgrund fehlender Arbeit bzw. Einkommens aus der Solidargemeinschaft ausgeschlossen. Beiträge werden aufgrund der Leistungsfähigkeit erhoben. Wer kein Einkommen hat, ist beitragsfrei versichert.
Die Verbreiterung der Einnahmebasis wird für Leistungsverbesserungen und Prävention benutzt.
In einem ersten Schritt sind alle Leistungsausgrenzungen, Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen zurückzunehmen.
In den letzten Jahrzehnten jagte ein Kostendämpfungsgesetz das andere, mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz wurden weitere Regelleistungen gestrichen bzw. eingeschränkt und Zuzahlungen erweitert. Die einseitige Belastung der Kranken sprengt den Solidargedanken und erhöht das Versorgungsrisiko insbesondere für Einkommensschwache. Deshalb sind nicht nur die Eigenbeteiligungen zurückzunehmen, sondern der Leistungskatalog muss alle medizinisch notwendigen Leistungen umfassen und er ist um Alternative Heilmethoden, Prävention und Gesundheitsförderung zu erweitern. Investitionen in Prävention und Gesundheitsförderung werden langfristig zu Kostensenkungen führen. Die Ausgaben für Arzneimittel sind durch eine Positivliste zu begrenzen.
Gesundheit ist keine Ware. Ziel ist eine einheitliche gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung für alle!
Statt Wettbewerb zwischen den Krankenkassen ist die Schaffung einer Kasse für alle sinnvoll. 1
Die Konkurrenz zwischen Krankenkassen um junge, gesunde, gut verdienende Versicherte ist absurd. Sie macht niemanden gesund und verhindert eine gute Versorgung insbesondere chronisch Kranker. Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens durch Einführung des Wettbewerbs sowohl zwischen Krankenkassen als auch zwischen Krankenhäusern und anderen Leistungserbringern wird abgelehnt.
Statt Marketing-, Verwaltungs- und Wettbewerbskosten im Kampf um Versicherte und Marktanteile und eines komplizierten Systems des Risikostrukturausgleiches können dann alle Einnahmen den Versicherten zu Gute kommen.
Als Übergangslösung ist ein finanzieller Ausgleich zwischen den Kassen notwendig, um Risikoselektion zu vermeiden.
Kostenredzierung durch direkte Leistungserbringung
Die solidarische Kranken- und Pflegeversicherung soll eigene Versorgungseinrichtungen (Arztpraxen, Gesundheitszentren, ambulante Pflegedienste, Apotheken, Zahnlabors) betreiben. Die Versicherten bekommen alles Geeignete aus einer Hand. Vorsorge, Versorgung, Nachsorge werden von der Kasse angeboten. Auch Forschung wird unabhängig von der Pharma- und sonstigen Industrie betreiben.
Ärzte unterliegen keiner Budgetierung, sondern sind bei der Kasse angestellt. Beim Einkauf von Medikamenten kann die eine Kasse gegenüber der Pharmaindustrie Rabatte durchsetzen und eigene Apotheken mit Angestellten können kostengünstig arbeiten.
Dadurch, dass die Kranken- und Pflegeversicherung selbst auf dem Gesundheitsmarkt aktiv wird, ist eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung möglich. Als Nebeneffekt würden viele neue Arbeitsplätze entstehen, die zu einer weiteren Stabilisierung der Sozialversicherungen beitragen werden.
Zukunftsfähigkeit der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung in der EU
Durch die Umwidmung der gesetzlichen Krankenkassen in eine solidarische Kranken- und Pflegeversicherung können auch europäische Bestrebungen, staatliches Handeln zu deregulieren und Märkte für private Versicherungen zu öffnen, im Gesundheitswesen verhindert werden.
Ein auf den Prinzipen der Solidargemeinschaft aufgebautes Kranken- und Pflegeversicherungssystem, das sich aktiv am Gesundheitsmarkt beteiligt, ist zukunftsfähig.
1 Minderheitenvotum von Bernd Heithausen aus NRW gegen eine Kasse für alle.
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