Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Die gesellschaftliche Mehrheit ist noch lange nicht gewonnen

Eine Replik auf den ND-Artikel vom 3. Dezember 2005 von Kerstin Kaiser, Wulf Gallert und Stefan Liebich ("Veränderung beginnt mit Opposition, hört damit aber lange nicht auf")

 

von Christine Buchholz, Antje Brose, Nele Hirsch und Felix Pithan*

 

In einigen Nachbetrachtungen zur Bundestagswahl wird nicht nur der Wahlerfolg der Linkspartei.PDS hervorgehoben, sondern das Erreichen einer rechnerischen "linken Mehrheit" von 51 Prozent - der Summe der Stimmanteile von SPD, der Linken und den Grünen. Aus dieser Feststellung wird dann die Forderung abgeleitet, in den nächsten vier Jahren müsse aus der rechnerischen eine regierungsfähige Mehrheit aufgebaut werden.

 

Dabei scheinen die Vertreterinnen und Vertreter dieser These eines zu übersehen: Es gibt für dieses Bündnis keine gemeinsame politische Basis. Sowohl die SPD als auch die Grünen haben Hartz IV, deutsche Kriegseinsätzen und mehrfachen Senkungen des Spitzensteuersatzes nicht nur beschlossen, sondern diese Politik - trotz aller sozialer Rhetorik - auch im Wahlkampf verteidigt.

 

Dass dennoch so viele Menschen rot-grün-schwarz-gelb ihre Stimme gegeben haben liegt daran, dass die tief greifende neoliberale Umstrukturierung gesellschaftlicher Verhältnisse nicht einfach auf einer Reihe von mehr oder weniger zufälliger Wahlsiegen wirtschaftsliberaler Kräfte beruht, sondern auf einer umfassenden gesellschaftlichen Vorherrschaft neoliberaler Ideologie. Diese Ideologie wirkt wegen des enormen Druck des Kapitals und wegen einer großen Verunsicherung in der Bevölkerung, die durch die Massenarbeitslosigkeit verstärkt wird.

 

Aber die neoliberale Ideologie ist nicht ungebrochen. Wie das Nein beim französischen Verfassungsreferendum oder die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV zeigen, ist diese in den letzten Jahren ins Wanken geraten. Auch der Wahlerfolg der Linkspartei begründet sich zu großen Teilen im Wunsch, der vermeintlichen Alternativlosigkeit der neoliberalen Politik die Stirn zu bieten.

 

Mit dem Wahlerfolg ist aber noch keineswegs eine Hegemonie zugunsten einer alternativen Politik der Umverteilung von oben nach unten erreicht. Die Prämisse der Linken in der Bundesrepublik muss in den nächsten Jahren daher der Kampf um eben diese gesellschaftliche Hegemonie sein. Die linke Opposition im Bundestag sollte in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen.

 

Dabei können die Erfahrungen der Französischen Kommunistischen Partei eine Lehre sein: Ihr Mitregieren in den neunziger Jahren hat trotz einiger erfolgreicher Projekte wie der 35-Stunden Woche keinen tief greifenden Politikwechsel herbeigeführt und endete 2002 mit katastrophalen Wahlniederlagen - zeitgleich zu spektakulären Erfolgen der extremen Rechten.

 

Aus diesen Erfahrungen klug geworden suchte die Partei in den letzten Jahren verstärkt die Kooperation mit sozialen Bewegungen und den offenen Dialog mit der Bevölkerung. So konnte sie mit dazu beizutragen, beim Referendum über die EU-Verfassung gegen Sozialdemokraten, Grüne, Konservative und Liberale sowie gegen die einhellige veröffentlichte Meinung eine effektive politische Mehrheit an die Urnen zu bringen.

 

Dieses Beispiel zeigt: Die Herrschaft des Neoliberalismus kann nicht durch einen Koalitionsvertrag, sondern nur durch mühevolle politische Arbeit für ein alternatives Projekt auf der Straße, in Kommunen, Betrieben und Gewerkschaften und durch eine enge Kooperation mit der außerparlamentarischen Opposition beendet werden. In diese Richtung muss auch in der Bundesrepublik weiter gedacht werden, anstatt sich auf den Eintritt in eine Rosa-Rot-Grüne Bundesregierung 2009 vorzubereiten.

 

Wer im Interesse der Betroffenen kleinere Verbesserungen erreichen will und deshalb für eine schnelle Regierungsbeteiligung eintritt, muss sich klar machen, dass er damit häufig mehr schadet als nutzt. Verschiedene Untersuchungen über das Experiment rot-roter Landesregierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern argumentieren überzeugend, dass diese Regierungsbeteiligungen nicht Schlimmeres verhindert, dafür aber den außerparlamentarischen Widerstand geschwächt haben. In engem Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Kräften kann dagegen auch eine Oppositionskraft die Regierungsparteien unter Zugzwang bringen und konkrete Verbesserungen erreichen. Anders als in einer Regierungskoalition, in der zumindest angesichts der aktuellen Parteienkonstellation und der politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen unzählige Kompromisse geschlossen werden müssen, bleibt sie durch solch ein Agieren für die gesellschaftlichen Kräfte ein ernstzunehmender Bündnispartner im Parlament. Nur auf dieser Grundlage kann eine strategische Allianz zwischen Parlament und außerparlamentarischer Bewegung aufgebaut werden.

 

Mit der Einrichtung einer Kontaktstelle zur außerparlamentarischen Bewegung durch die Fraktion im Bundestag ist dazu ein erster Schritt getan: Die Kontaktstelle soll dazu beitragen, eine systematische, kontinuierliche und aktionsbezogene Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften zu sichern.

 

Konkrete Ansätze für gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit braucht man nicht lange zu suchen: Bei der Mobilisierung gegen die so genannte Bolkestein-Richtlinie zum Dienstleistungsmarkt in der EU können wir die konkrete Kritik am Neoliberalismus hervorragend mit unseren Forderungen für ein soziales Europa verbinden. Mit attac und Teilen der Gewerkschaften stehen potentielle Bündnispartner schon mitten in der Auseinandersetzung. Schließen wir uns ihnen an - nicht nur mit Solidaritätsbekundungen, sondern kraftvoller Mobilisierung.

 

Um wirkliche politische Mehrheiten für einen Politikwechsel in Deutschland zu erreichen und die Voraussetzung dafür zu schaffen, unsere politischen Forderungen durchzusetzen, sollten wir alles tun, den Aufbau einer starken außerparlamentarischen Bewegung gegen den drohenden rot-schwarzen Kahlschlag zu fördern. Eine konsequente Oppositionspolitik im Parlament kann dafür einen wichtigen Beitrag leisten. Für das Frühjahr sind Aktionen der sozialen Bewegungen geplant. Wir sollten unsere Energie darauf verwenden diese zu stärken, anstatt Rechenspielchen für eine zukünftige Regierungskoalition zu beitreiben, für die es keine politische Grundlage gibt.

 

*Felix Pithan ist aktiv im Jugendverband [`solid], Antje Brose ist Mitglied im Parteivorstand der Linkspartei.PDS, Christine Buchholz ist Mitglied im Bundesvorstand der WASG und Nele Hirsch ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag.

 

Quelle: ND von Freitag, den 09.12.2005

 

Christine Buchholz

0178/3150968

DieLinke.PDS

G8-Gipfel

DIE LINKE

Mindestlohnkampagne

Mindestlohnkampagne

Nachdenkseiten

Initiative Mindestlohn

Rosa-Luxemburg-Stiftung

Linksnet

Zeitschrift Sozialismus

Tacheles e.V.