Linke Regierungsbeteiligungen - Fragen und Antworten zu einer Debatte
In den Diskussionen um die Gestalt einer neuen Linkspartei hat sich die Frage von Regierungsbeteiligungen rasch zu einem zentralen Konfliktpunkt entwickelt. Für eine sachliche Entscheidung ist es nötig, zunächst einige Fakten in Erinnerung zu rufen.
- Die WASG hat sich als deutlich oppositionelle Kraft gegründet. Dies hatte aber nichts mit einer prinzipiellen Kritik am bürgerlichen Staat zu tun, sondern mit einer relativ realistischen Einschätzung der politischen Situation: Gegenüber der großen Koalition für die Agenda 2010 gab es keine andere Option. Eine weitergehende Debatte über die Regierungsbeteiligungen auf Bundesebene folgte jedoch nicht. Einzelne Vorstöße im Bundestagswahlkampf waren offensichtlich ohne jeden Bezug auf die Realität. Die laufenden Debatten zur Landesebene beziehen sich jeweils auf die existierenden PDS-Beteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Insgesamt ist die Frage nicht ausdiskutiert. Die Berufung auf einzelne Passagen im Parteiprogramm ersetzt eine aktuelle Antwort nicht.
- Für die PDS waren Regierungsbeteiligungen insofern ein prinzipielles Problem, als sie von der Mitgestaltung des Kapitalismus ferngehalten wurde. Nur in Rußland und der Tschechischen Republik gab es vergleichbare Entwicklungen. In allen anderen Ostblockländern war die führenden Rolle der ehemaligen Staatspartei auch bei der Einführung von Marktwirtschaft und Ausbeutung unverzichtbar. Dabei diskutierte man nicht über "Beteiligungen" an Regierungen: Die Erben der Politbürokratie wurden selbstverständlich Regierungschefs und Staatsoberhäupter, die ihre Länder mit aller Konsequenz in die EU und in die NATO führten. In den Diskussionen um die Gestalt einer neuen Linkspartei hat sich die Frage von Regierungsbeteiligungen rasch zu einem zentralen Konfliktpunkt entwickelt. Für eine sachliche Entscheidung ist es nötig, zunächst einige Fakten in Erinnerung zu rufen.
Dagegen war und ist für die PDS nur die Landesebene von mehr als propagandistischem Interesse. Der Griff nach den Sternen im mißglückten Bundestagswahlkampf 2002 mit dem nachfolgenden Katzenjammer steht Spekulationen über die Bundespolitik ebenso entgegen, wie die monolithische Geschlossenheit der SPD in den Fragen der Agenda 2010. - Die Debatte über Regierungsbeteiligungen der künftigen Linkspartei in der Bundesrepublik ist insofern realistisch, als sie für die Linke die Rolle eines Juniorpartners, eines Mehrheitsbeschaffers in irgendwelchen Kompromißkonstellationen vorsieht.
Um nun beim Streben nach Einfluß nicht alle "roten Linien" zu überschreiten, hat eine Diskussion über Essentials eingesetzt, eine Verständigung über solche Bedingungen, an die unsere Unterstützung von Regierungen im Bund und im Land geknüpft werden soll. Einerseits handelt es sich dabei um recht weitgehende, aber auch allgemeine Formulierungen - Stichwort "grundlegender Politikwechsel" - andererseits um sehr konkrete Forderungen, z.B. den alte Forderungskatalog der Berliner Sozialproteste, den sich die Berliner WASG zu eigen gemacht hat:
- Rücknahme des Risikoabschirmungsgesetzes für die Bankgesellschaft
- Rücknahme der Kürzungen im Bildungsbereich (Unis, Kitas, Schulen)
- Rücknahme der Kürzungen im Sozialbereich (Sozialticket, Blindengeld, Telebus, Jugendhilfe)
- Keine Privatisierung bei der öffentlichen Daseinsfürsorge (Krankenhäuser, BVG, Wohnungsbaugesellschaften, Sparkasse)
- Rückkauf der Berliner Wasserbetriebe
- Stopp des Stellenabbaus im öffentlichen Dienst. Rückkehr in den kommunalen Arbeitgeberverband
- Keine Zwangsumzüge für die ALG II-EmpfängerInnen, Verzicht des Landes Berlin auf die Einrichtung von "1-Euro-Jobs", Verwendung der Mittel hieraus für die Einrichtung eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors
- Ein Konjunkturprogramm für Berlin zur Schaffung von Arbeitsplätzen
Das Problem ist aber nicht, eine mehr oder weniger richtige Liste von Forderungen aufzustellen. In Frage steht die politische Funktion solcher Essentials. Wenn die Möglichkeit politischen Einflusses besteht, sollte man sich über die Halbwertszeit von Schwüren auf Parteiprogramme und Kernforderunge keine Illusionen machen - selbst wenn die gewählten Vertreter guten Willens sind. Peter von Oertzen hat dieses Problem sozialdemokratisch zurückhaltend wie realistisch beschrieben: »Ohne Unterstützung durch gesellschaftlichen Druck, durch Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, aus kritischen Teilen der Kirchen und Verbänden lässt das Kapital die Linken im Parlament am ausgestreckten Arm verhungern.«
Für Vertreter in Regierungen gilt das gleiche in verschärfter Form. Es geht also um mehr als nur ein richtiges Programm. Die erste Forderung geht an uns: die Bildung handlungsfähiger Gruppen, in denen die Einzelnen nicht eingereiht werden, sondern zusammenarbeiten können. Es geht um politische und soziale Organisationen, in denen die Erfahrungen ermüdender Konkurrenz und alltäglichen Klassenkampfes verarbeitet werden können.
Solche Organisationen können allerdings nur bestehen, wo es gemeinsame politische Ziele gibt, die der Schärfe der Konflikte angemessen sind. Im Märchen heißt es, wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben. Wenn wir die Vorstellung vom "Teufel" als ein Bild für sehr irdische Mächte auffassen, läßt sich dieser Hinweis auf unsere Verhältnisse anwenden: So lange Löffel, dass sich mit ihnen gefahrlos am Tisch des Kapitals speisen ließe, haben die Reformpolitiker aller Richtungen noch nicht erfunden.
Zur Verantwortung linker Politik gehört dabei, daß nicht Lösungskompetenz vorgespiegelt wird, wo kapitalistische Verhältnisse eine politische Lösung gar nicht zu lassen. Eine Übernahme von »Regierungsverantwortung«, wo ein tatsächlicher Einfluß auf die Entwicklung gar nicht besteht, ist in höchstem Maße verantwortungslos. Denn auf diesem Wege wird die Suche nach wirklichen Lösungen blockiert und die Verarmung nicht gemildert, sondern nur regierbar gemacht.
Die Kraft eines ehrlichen und solidarischen »Nein«, die eine gesellschaftliche Auseinandersetzung erzwingt, ist dagegen verantwortlich und konstruktiv. Die Betroffenen erwarten von uns doch keine Wunder, sondern reale Unterstützung in ihren Auseinandersetzungen. Natürlich wollen wir nicht auf Einfluß und Macht verzichten, um unsere Ziele durchzusetzen. Doch dafür brauchen wir eine aktive gesellschaftliche Mehrheit. Für eine Verwaltung des status quo, für eine Politik des "noch kleineren Übels" mögen Wählerstimmen ausreichen - eine solidarische, d.h. radikale Reformpolitik muß größere Widerstände überwinden. In der Bildung einer solchen Mehrheit haben linke Oppositionsfraktionen eine wichtige Funktion. Sie können:
- parlamentarische Vorgänge wie Gesetzesinitiativen und Haushaltsentwürfe durch unsere Medien (Zeitung, Flugblätter, Rundbriefe, Internet) und in die Öffentlichkeit kommunizieren. Dazu gehört die unmittelbare Kooperation mit BetroffenenvertreterInnen. Sie können die, für viele Menschen wenig verständlichen, parlamentarischen Vorgänge popularisieren, also verständlicher, durchschaubar machen;
- soziale Initiativen, Verbände oder Gewerkschaften stärker an den parlamentarischen Konflikten zu beteiligen. Eine oppositionelle Abgeordnetenhausfraktion kann Sprachrohr für außerparlamentarische Forderungen werden, diese Forderungen auf die parlamentarische Bühne heben und damit Öffentlichkeit für die Menschen herstellen, denen sonst nicht zugehört wird. Parlamentarischer und außerparlamentarischer Druck werden dadurch gebündelt und wechselseitig verstärkt.
- sozialen Initiativen in Form eine Infrastruktur für ihre politische Arbeit zur Verfügung zu stellen, ohne diese für die Parteiarbeit zu instrumentalisieren: Veranstaltungsräume, Büros, direkte finanzielle Hilfen, Beratung.
Wenn wir diese Hausaufgaben gemacht haben, kann man über weiteres reden. Noch werden die außerparlamentarischen Bewegungen durch den Abgang geschulter AktivistInnen in Parteigründung und Parlament eher geschwächt. Für eine freie, gemeinsame Willensbildung muß man einen erheblichen Aufwand treiben: Zeit, Freiräume im nicht nur übertragenen Sinne.
Nur im Rahmen eines breiten solidarischen Aufbruchs wäre eine Regierungsverantwortung mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Linken vereinbar. Wir müssen daran arbeiten, daß ein solcher Aufschwung möglich wird. Gesellschaftliche Kontrolle öffentlicher und privater Macht braucht aber starke Organisationen der Betroffenen. Ohne ihre Unterstützung ist das Programm einer neuen großen Linken leer. Ohne ihre Kontrolle und ihre Ideen ist die Linke blind.
Berlin, 20. Jan. ‘06
Für eine Neue Linke (Wasserfraktion), Berlin
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