Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Gesellschaftliche Gegenmacht entwickeln, ‚Normalität’ durchbrechen!

Ein Beitrag zur Debatte in WASG und Linkspartei über Regierungsbeteiligungen


Auf dem zurückliegenden Bundesparteitag der Linkspartei.PDS hat Gregor Gysi verkündet, die Regierungsbeteiligung in Berlin habe die PDS in der Bundesrepublik „normalisiert“, sie werde wie eine normale Partei kritisiert. Nachdem die DDR-Bürger mit Begrüßungsgeld und Bananen empfangen wurden, wähnt sich jetzt auch Gysi 16 Jahre später in der bundesdeutschen Normalität angekommen. Doch was heißt das konkret?

Schaut man sich die Regierungsbeteiligung in Berlin an, so sind massive Kürzungen im Sozial-, Jugend-, Bildungs- und Kulturbereich, Privatisierungen im öffentlichen Sektor und der Ausstieg aus dem kommunalen Arbeitgeberverband scheinbar normal. Man will „Schlimmeres verhindern“ und glaubt sich vom „Sparzwang“ bedroht. Dies entspricht der herrschenden Politik in der BRD, die durch vermeintliche Sachzwänge und internationale Verpflichtungen begründet, warum der Sozialstaat weiter abgebaut werden und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die logische Kon-sequenz sein muß. Dabei hat sich die PDS dadurch hervorgetan, daß sie zeitgleich den Neoliberalismus kritisiert und so gerade für die Betroffenen das Bild eines doppelzüngigen Politikstils bietet. De facto hat die PDS in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung eine neoliberale Politik getragen, die die Glaubwürdigkeit linker Politik nicht nur in Berlin sondern bundesweit erschüttert hat.

Mit kritischem Blick könnte man zu der Einsicht gelangen, daß Regierungsbeteiligungen dort politisch unverantwortlich sind, wo ein Kompromiß zwischen einer generellen Ablehnung des Sozial-abbaus und der Umsetzung der Agenda 2010 gefunden werden soll. So ein Deal kann nur nachteilig sein, da man zwar im Vergleich mit Parteien, die den Sozialabbau aus Überzeugung vornehmen, vermeintlich Schlimmeres verhindert, aber dies unter Preisgabe eigener Glaubwürdigkeit. Die Exekution von Hartz IV und anderem in Berlin erinnert fatal an die Grünen, die auch so manches mit Bauchschmerzen mitgetragen haben und schließlich an einem Punkt gelandet sind, an dem sie all ihre Prinzipien über Bord geworfen hatten.

Von den Befürwortern der Regierungsbeteiligung wird dieser Drahtseilakt immer wieder damit begründet, man müsse politische Verantwortung übernehmen, müsse sich dem Wählerwillen stellen. Dabei reduziert sich Verantwortung auf den bloßen Kampf um parlamentarische Macht.

Vernachlässigt wird, daß die Verhältnisse im parlamentarischen System Bestandteil und Ausdruck von Auseinandersetzungen sozialer Klassen um ökonomische und kulturelle Herrschaft sind: Was wir seit dem Wegfall des Staatssozialismus erleben, ist die Aufkündigung des sozialstaatlichen Klassenkompromisses der siebziger Jahre. Ohne das Hindernis einer Systemalternative – und seit 1998 un-terstützt durch die Sozialdemokratie, die die Gewerkschaften im Zaum hält – werden Errungen-schaften, die bis ins 19. Jahrhundert hineinreichen, von Wirtschaft und Politik im Eiltempo zurückgedrängt. Verbrämt wird die Radikalisierung kapitalistischer Vergesellschaftung mit der Ideologie des Neoliberalismus, der mit der Aufforderung „Mehr Freiheit wagen“ die Freiheit des Marktes und die ständige und uneingeschränkte Verfügbarkeit des Einzelnen für die Profitmaximierungsmaschi-nerie meint.

Seit einigen Jahren verstärkt sich die Kritik an dieser Politik, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens der wirtschaftlichen Verwertbarkeit unterwerfen will. Die globalisierungskritische Bewegung ist dafür international ein Zeichen, in Deutschland war 2004 durch Proteste gegen Hartz IV geprägt, die sich unter anderem in der Massendemonstration am 3. April und den Montagsdemonstrationen äußerten. Die Entstehung der WASG, die sich in Teilen auch aus Kritik an den Regierungsbeteiligungen der PDS gegründet hat, ist Bestandteil und Ausdruck dieses Protestes. Damit erwächst gerade der WASG die Aufgabe, Sprachrohr für die zu sein, die sich der neoliberalen Durchdringung unserer Gesellschaft widersetzen und für eine sozial gerechte Gesellschaft streiten.

Die Proteste aber auch die zunehmende Dreistigkeit großer Unternehmer, die für bessere Börsenno-tierungen Massenentlassungen propagieren, haben die Verteilungsfrage wieder auf die Agenda der Politik gesetzt. Daß immer mehr Kinder in Deutschland in Armut leben, in unserem Bildungssys-tem die größte soziale Auslese unter den Industriestaaten stattfindet und Renten, Löhne und Vollzeitarbeitsplätze weiter sinken, nehmen immer weniger Menschen als notwendigen Prozeß gesell-schaftlicher Normalisierung hin. Allerdings ist meist nicht politisches Engagement sondern Resignation die Reaktion auf die Verkommenheit dieser Zustände.

Anstatt über Regierungsbeteiligung zu schwadronieren, sollte sich die WASG Gedanken darüber machen, wie man diese Menschen erreicht, sprich wie man konkrete Aufklärung betreibt mit dem Ziel diese Verhältnisse zu verändern. Dabei ist in dieser Situation politisch verantwortliches Handeln, sich nicht auf den Einzug in die Parlamente zu fixieren, sondern am Aufbau einer gesellschaftlichen Gegenmacht mitzuwirken, die erst die Basis dafür liefert, ein parlamentarisches Gegenpro-gramm zu realisieren. Dann braucht man auch nicht mehr zur SPD zu schielen, sondern kann selbstbewußt eigene Politik betreiben, denn entweder die SPD verändert sich oder sie wird ange-sichts des außerparlamentarischen Drucks bedeutungslos. Höchst unverantwortlich sind in dieser Situation jedoch Regierungsbeteiligungen, bei denen man sich schon in den Koalitionsverträgen den Sachzwängen unterwerfen muß und keinen grundlegenden Politikwechsel erreichen kann.

Im Programm der WASG ist dies bereits reflektiert. Dort steht: „An einer Regierung in Land oder Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt.“ Für Berlin kann man angesichts der Politik der letzten Jahre sagen, daß dies nicht der Fall ist. Bewegt sich die Berliner Linkspartei.PDS nicht grundlegend – als Beispiele wären die Rücknahme der Privatisierungen, der Risikoabschirmung für die Bankengesell-schaft und der Wiedereintritt in den kommunalen Arbeitgeberverband zu nennen –, wäre ein ge-meinsamer Antritt von WASG und Linkspartei ein Verrat an unseren eigenen Grundsätzen und den Menschen für die und mit denen wir Politik machen wollen. In diesem Sinne sollte Druck aufgebaut werden, der auch die innerparteiliche Opposition, die die Regierungsbeteiligung ablehnt, stärkt. Nur so können wir den Menschen und unseren Bündnispartnern vermitteln, daß wir tatsächlich eine fundamentale Alternative zum Mainstream der politischen Klasse darstellen.

Die Debatte über Regierungsbeteiligungen wird sicher weiter geführt werden. Das Anliegen der kritischen Kräfte im Linksbündnis sollte aber sein, sie inhaltlich zu füllen. Zum einen ist dabei das Verhältnis von parlamentarischer Arbeit und außerparlamentarischer Bewegung zu diskutieren, zum anderen die gesellschaftliche Perspektive, an der jeder einzelne Reformschritt gemessen werden sollte. Letzteres ist zumindest in der WASG kaum geschehen, was auch daran liegt, daß die Strö-mungen bunt zusammengewürfelt sind und nur darin einig, daß es eine irgendwie geartete Alternative zur augenblicklichen Misere geben muß. Dabei reichen die Vorstellungen vom Sozialstaat der Siebziger bis hin zu staatssozialistischen Konzeptionen. Diese Diskussion wäre ohne den Zwang zu führen, den einzig wahren Weg zu einer sozial gerechten Gesellschaft zu finden. Allein die Diskussion über gesellschaftliche Zielvorstellungen mag helfen, die in Einzelfeldern vertretenen Positio-nen transparenter und damit nachvollziehbarer zu machen.

Wenn es uns gelingt, trotz aller Anfechtungen klare politische Forderungen zu entwickeln und nachvollziehbar zu vermitteln, werden wir langfristig mehr Erfolg haben, als wenn wir die Regie-rungsfähigkeit und die Akzeptanz der Medien in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Anstatt uns daran zu orientieren, was als ‚normal’ erachtet wird, aber immer doch den aktuellen Stand der sozialen Herrschaftsverhältnisse darstellt, sollten wir die Politik infragestellen, die uns weismachen will, daß es keine Alternative zur gegenwärtigen Gesellschaft gibt. Dann kommen wir vielleicht nicht in diesen Verhältnissen an, verändern sie aber hin auf unser grundlegendes Ziel: Eine Welt, in der die soziale Gerechtigkeit und das friedliche Zusammenleben der Menschen Maßstab politischen Handelns ist.

Lorenz Gösta Beutin

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