Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Linke Mehrheit?

von Michael Schlecht

"Es gibt eine linke Mehrheit nach dem 18. September 2005", so eine verbreitete Vorstellung in der Linken. Diese Mehrheit gibt es bestenfalls rechnerisch, aber nicht politisch. "Wir haben keine linke Mehrheit im Bundestag. ... Es gibt nur eine Linke ..., das sind wir!" So Oskar Lafontaine auf dem Dresdner Parteitag.

Nach der Wahl war die Freude über die 8,7 Prozent riesengroß. Gewerkschaftsmitglieder hatten die Linkspartei mit fast zwölf Prozent und Arbeitslose mit fast 25 Prozent gewählt. Aber weshalb wählten Gewerkschaftsmitglieder mit fast 50 Prozent und Arbeitslose mit einem Drittel die SPD? Weshalb gaben Gewerkschaftsmitglieder und Arbeitslose mit jeweils rund 20 Prozent der CDU/CSU ihre Stimme?

Die überwältigende Mehrheit der Wähler und Wählerinnen haben Parteien gewählt, die für Hartz IV und weitere Verschlechterungen stehen. Auch diejenigen, die ihre Stimme der SPD gegeben haben, sind einer Partei gefolgt, die die Fortsetzung der Agenda-Politik auf ihre Fahnen geschrieben hat. Dies war die zentrale, immer wieder herausgestellte Botschaft der SPD im Wahlkampf. Nein, wir dürfen uns nichts vormachen: Die neoliberale Hegemonie besteht weiterhin. Oskar Lafontaine griff dies auf seiner Parteitagsrede auf.

Der Werkelalltag verdreht die Köpfe

Reihenweise setzen Unternehmer Belegschaften unter Druck. In den letzten zehn Jahren in zunehmendem Maße. Arbeitsplätze sind bedroht. Zum Teil drohen tausende von Entlassungen. Häufig geht es im Zeichen von Shareholder-Value um die kurzfristige Steigerung der Rendite. Viele, vor allem mittlere und kleinere Unternehmen schreiben jedoch tatsächlich rote Zahlen.

Aus der betrieblichen Sicht scheinen zu hohe Kosten die Ursache. Also werden Kostensenkungsprogramme aufgelegt. Meistens geht es um Senkungen der Arbeitskosten. Zähneknirschend werden diese von Belegschaft und Gewerkschaft mit getragen um Arbeitsplätze zu retten. Scheinbar ein Erfolg, der gleichwohl Opfer gekostet hat.

Ob die wirtschaftlichen Schwierigkeiten tatsächlich Resultat eines betrieblichen Kostenproblems waren, wird nicht hinterfragt. Ist nicht eher die allgemeine Schwäche der Binnennachfrage zum Verhängnis geworden? Der einzelne Unternehmer kann damit allein deshalb schon wenig anfangen da er auf die gesellschaftliche Nachfrage keinen Einfluss. Aber sehr wohl auf die betrieblichen Kosten.

In Wirklichkeit liegt bei den meisten Unternehmen mit roten Zahlen die Ursache für die Probleme in der Nachfrageschwäche. Gleichwohl erscheinen sie als betriebswirtschaftliches Kostenproblem.

Mit der erzwungenen betrieblichen Kostensenkung wird volkswirtschaftlich genau das Falsche getan: Die Nachfrage wird weiter geschwächt. Für den Moment können im jeweiligen Unternehmen die Probleme gelöst werden. Jedoch wird der Konkurrenzbetrieb gezwungen, ebenfalls die Kosten zu senken. Über kurz oder lang wird der Wettbewerbsvorteil wieder eingeebnet.

Wir befinden uns in einem teuflischen Kreislauf der beständigen weiteren Schwächung der Nachfrage. Ein teuflischer Kreislauf, in dem auch Gewerkschaften gefangen sind. Wenn Belegschaften mit Arbeitsplatzverlust bedroht werden, ist dem Druck – genauer der Erpressung – nach betrieblicher Kostensenkung kaum zu entkommen.

Eine zweite Tücke liegt aber in der Auswirkung auf die Köpfe: Wenn in einer betrieblichen Krise Arbeitsplätze durch Kostensenkung gerettet wurden: Was lernt der Einzelne daraus? Lohnverzicht sichert Arbeitsplätze! Keine Formel umschreibt prägnanter die neoliberale Botschaft. Sie wird gelernt im ganz normalen Werkelalltag. Sie wird vor allem gelernt als Selbstverständlichkeit. Bitter, aber so selbstverständlich wie jeder als kleines Kind gelernt hat, dass wir der Schwerkraft der Erde ausgesetzt sind. Die neoliberale Botschaft wurde unbewusst zum Element des Alltagsverstandes.

Aufgrund dieser Verdrehungen im Alltagsbewusstsein können die Medien überhaupt erst ihre Wirksamkeit erlangen. Wenn ein Wickert in den Tagesthemen wie selbstverständlich darüber räsoniert, dass Lohnverzicht Arbeitsplätze sichere, dann erscheint das vielen eingängig, weil ihnen die Melodie ihres Alltagslebens vorgespielt wird. Wenn ein Müntefering zum wiederholten Male herunterbetet, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der "Lohnnebenkosten" vorangebracht wird, dann scheint das stimmig, weil es anknüpft an eigenen Erfahrungen. Das viele so zu Claqueuren des Sozialabbaus werden, tritt in den Hintergrund.

Die Vorstellung, "wir" seien nicht wettbewerbsfähig, "wir" seien zu teuer, ist weit verbreitet. Im Alltagsverstand ist dies vorherrschend, da der Werkelalltag der Menschen ihnen dies scheinbar zeigt. Niemand verzichtet gerne. Aber wenn es nun einmal scheinbare Sachzwänge gibt – dann ist derjenige modern und zukunftsgewandt, der die scheinbaren Realitäten und politischen Konsequenzen anerkennt. Die Zustimmung zur Agenda-Politik ist dann für viele naheliegend.

Politik gegen neoliberale Hegemonie

Gleichwohl: Die neoliberale Hegemonie ist brüchig. Viele Menschen erleben, dass ihnen seit zehn oder noch mehr Jahren Opfer abverlangt werden. Viele erwarten schon gar keine Wende zum Besseren mehr, viele wären schon froh, wenn es nicht beständig weiter abwärts ginge. Doch das Gegenteil ist der Fall. Viele haben mehrfach ein "betriebliches Bündnis" erlebt. Jedes Mal in der Hoffnung, dass man jetzt in Ruhe arbeiten und leben könne. Immer wieder eine neuerliche zerstobene Illusion. Mittlerweile ist die Angst vor der Zukunft zum gesellschaftlichen Massenphänomen geworden. Und die Reichen werden immer reicher.

Auf der einen Seite also die scheinbaren, aus betrieblicher Sicht sich ergebenden Sachzwänge. Auf der anderen Seite drängt sich über die Jahre auf, dass da irgendetwas nicht stimmt. Widersprüchliche Sichtweisen, Konfusionen breiten sich aus. Kein Wunder. Viele Menschen fühlen sich immer mehr zwischen verschiedenen Sichtweisen hin- und hergerissen. Verzweifelung, Resignation und Rebellion sowie Radikalisierung liegen dicht beieinander.

Kluge Politik muss diese widersprüchliche Gemengelage aufgreifen. Die Seiten im Alltagsleben müssen bekräftigt werden, die aufklärerisch, demystifierend sind. Bekräftigen, dass die beständige Wiederholung betrieblicher Erpressungen zeigt, dass Lohnverzicht keine Arbeitsplätze rettet. Oder zeigen, wie sich "betriebliche Bündnisse" in "unserem" Betrieb im Nachbarbetrieb auswirken. "Kostensenkungsprogramme", zu denen wir genötigt werden, sollten in ihrer volkswirtschaftlichen Brisanz dargestellt werden.

Antikrisenprogramm

Auf der politischen Ebene muss die Linke eine überzeugende Alternative bieten. Mit einem Antikrisenprogramm muss an der Unzufriedenheit und Orientierungssuche vieler Menschen angeknüpft werden. Nicht betriebliche Lohnkostensenkung und staatliche Strangulierungsprogramme sind richtig, sondern im Gegenteil die Stärkung der Binnennachfrage. Deshalb muss dies im Zentrum einer Antikrisenpolitik stehen.

Die Linke muss sich für höhere Löhne stark machen. Hierzu gehört die Stärkung der Tarifautonomie. Wichtiger Bestandteil eines Antikrisenprogramms sind mehr öffentliche Zukunftsinvestitionen. Die WASG schlägt ein zusätzliches Volumen von 40 Milliarden Euro vor. Die eine Hälfte für Erziehung und Bildung, damit die Benachteiligung vieler Kinder ein Ende hat. Die andere Hälfte sollte in ein – vor allem kommunales –Investitionsprogramm fließen, damit Straßen, Brücken und vieles andere mehr wieder saniert werden können. Fast eine Million Arbeitsplätze könnten so entstehen.

Auch wenn dies nicht alle Probleme löst: Wäre das nicht ein wichtiger Impuls, der Hoffnung gibt und der Angst, der Verunsicherung vieler Beschäftigter begegnet? So könnte auch mehr Widerstandskraft im Betrieb gewonnen werden. So würde sich vor allem zeigen, dass durch zusätzliche Nachfrage Arbeitsplätze entstehen. Ein Gegengift für das Alltagsbewusstsein, das häufig der neoliberalen Infektion ausgesetzt ist. Bereits die plastische Propagierung eines derartigen Antikrisenprogramms kann heilsame Wirkung entfalten. Es zeigt sich, dass eine andere Welt möglich ist. Jenseits der häufig bitteren betrieblichen Realitäten, die soviel Kopfverdrehendes haben.

Regierungsfantasien?

Bei aller teilweisen Brüchigkeit ist die neoliberale Hegemonie, die Unterstützung der Agenda-Politik komplex und tiefgehend. Dass die SPD sich von dieser politischen Linie mehrheitlich löst, unterstellt weitreichende Veränderungen im gesellschaftlichen Bewusstsein. Erst wenn durch Erfahrungen und durch Veränderung alltäglicher Sichtweisen die neoliberale Hegemonie viel brüchiger wird als heute, besteht die Chance für nachhaltige Veränderungen. Die Linke muss auf absehbare Zeit vor allem durch Begleitung sozialer Konflikte und eigene, vorwärtsweisende Programmatik die Auflösung neoliberaler Bewusstseinsformen befördern. Harte politische Arbeit liegt vor uns.

Dabei ist vollkommen klar: Das perspektivische Ziel für die Linke ist in maßgeblicher Weise Regierungsverantwortung zu erlangen. Nur so werden wir nachhaltige gesellschaftliche Umgestaltungen im Interesse der Menschen durchsetzen können. Auf Bundesebene wird dies voraussichtlich nur in Gestalt einer Koalition möglich sein. Diese müsste ein wirkliches Antikrisenprogramm zum Ziel haben. Wenn zum Beispiel die Bereitschaft bestünde, Hartz IV zurückzudrehen, wenn Lohnerhöhungen befördert werden könnten, wenn ein gewichtiges Zukunftsinvestitionsprogramm, finanziert unter anderem durch eine Vermögensteuer und der Verzicht auf Auslandseinsätze der Bundeswehr in einem Koalitionsvertrag stehen würde, wenn also eine wirkliche politische Wende möglich wäre, ja wer würde zögern die historische Chance zu ergreifen? Aber das ist alles in überschaubarer Zeit kaum vorstellbar. Deshalb sind Debatten über eine Regierungsbeteiligung der Linken auf Bundesebene vorerst Fantasien und Träumereien, die wenig orientierend wirken und eher ablenken bei der Bekämpfung neoliberaler Hegemonie.

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