Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Verantwortungsvoll mit dem Berlin-Problem umgehen!

Berlin ist Hauptstadt - für die Idee einer linken Partei in der Bundesrepublik ist Berlin gegenwärtig der Nabel der Welt. Dies hat zwei Ursachen: Erstens berühren die Konflikte der Wahlalternative und der Linkspartei.PDS den Parteibildungsprozess. Zweitens behandeln sie unser Grundverständnis zur Frage der Regierungsbeteiligungen: Eine Partei wirkt im parlamentarischen System, soziale Bewegungen wirken auf der Strasse. Es ist gut, wenn sie sich dort begegnen. Es ist noch besser, wenn Grenzen verschwimmen. Aber Parteien und Bewegungen können sich niemals ersetzen.

Beide Parteien verstehen sich als Reformlinke, nicht als Regierungs- oder Oppositionslinke. Eine Partei ist eine wichtige Ressource sozialer Bewegungen, der Verlust des Fraktionsstatus der PDS und die folgende Tabuisierung friedlicher, demokratischer, wirtschafts- und sozialpolitischer Wege aus der neoliberalen Sackgasse haben dies belegt. Regieren ohne die öffentliche Meinung bedeutet aber machtlos an der Macht sein. Die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften sind die einzige Lobby, die wir haben. Wir sollten und müssen sie nutzen.

Die Neoliberalen verstehen es, mit jeder Reform weitere Sachzwänge zu schaffen und Begehrlichkeiten zu wecken: Arbeitgeber etwa fordern die Ausweitung von 1-Euro-Jobs auf die Privatwirtschaft, da die Konkurrenz durch eben diese Jobs zu stark sei. Privatisierungen sind das Ergebnis weiterer Sparanstrengungen, da das Wachstum mangels Konjunkturpolitik ausbleibt.

Selten aber bezieht sich ein linker Senator auf den Druck der Straße, um seine Spielräume zu erweitern. Was wäre wohl im Lande los, hätte die SPD gesagt: "Wir würden ja gerne eine andere Politik machen, aber die Exportindustrie und die konservative Presse sitzen uns im Nacken." Das wäre ehrlich und würde die Menschen vielleicht mobilisieren.

Die Berliner Verhältnisse dürfen nicht einfach wie von Rot-Grün auf ein "Vermittlungsproblem" reduziert werden. Die Menschen haben reale Probleme. Wir müssen uns als Linke mit unseren Lobbies den Ball zuspielen. Dazu gehört, dass jeder seinen Platz auf dem Spielfeld kennt. Dies ist die Grundlage der folgenden Überlegungen.

Berliner Verantwortung

  1. Die Menschen gehen davon aus, dass unsere gemeinsame Partei faktisch bereits existiert. Das Projekt einer gemeinsamen Linkspartei ist Voraussetzung für eine erfolgreiche linke Bewegung, es darf nicht gefährdet werden. Eine Linkspartei aus Wahlalternative, PDS, Gewerkschaftsaktiven, Akteuren sozialer Bewegungen und weiteren Personen, die sich für fortschrittliche Politik engagieren möchten, ist erforderlich, um das Vertrauen der Menschen und ihre Hoffnungen auf bessere Verhältnisse zu erfüllen.
  2. Eine konkurrierende Kandidatur zwischen der Wahlalternative und der Linkspartei in Berlin ist absolut zu vermeiden, denn sie wäre der drohende Anfang vom Ende einer vereinten Linken. Die Berliner Parteien sind die Landesverbände unserer Parteien, und sie tragen daher auch Verantwortung für unsere Parteien.
  3. Ein "Weiter so!" in Berlin ist unmöglich. Alles andere ist das Gegenteil von Realpolitik. Berlin ist ohne nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Schaden nicht aus eigener Kraft zu sanieren. Der wissensintensive Strukturwandel zu Dienstleistungen ist auf Grundlage einer schwachen Industrie- und Einkommensposition blockiert. Die bundespolitische Verantwortung muss stärker eingefordert werden, so wie es Gregor Gysi mit der Hauptstadtdebatte versucht hat. Es reicht nicht, Vorleistungen zu erbringen, ohne den Beitrag des Bundes einzufordern. Eine intelligente Berliner Linke muss dies begreifen und darf nicht technokratisch agieren.
  4. Die Spielräume für einen gezielten öffentlichen Konflikt mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hätten stärker genutzt werden müssen. Die Bafin hat in jahrelanger Kenntnis der Berliner Bankenverhältnisse plötzlich dem neuen Senat ein Ultimatum zur Risikoabschirmung gestellt und damit eine nachhaltige Vermögenssicherung gesunder Unternehmensteile auf Grundlage einer eingehenden Prüfung verhindert.
  5. Berlin befindet sich bis zu einer nachhaltigen Anerkennung der Notlage durch die Bundesregierung in einer dramatischen Haushaltssituation. Die Situation gegen Ende 2001 war Folgende: Der Schuldenstand betrug 39,8 Mrd. €, mehr als 2,2 Mrd. € waren für Zinsen aufzuwenden. Es konnten nur 65% der Einnahmen aus Steuern inkl. Länderfinanzausgleich gewonnen werden - der Rest kam aus Kreditaufnahme, die 5 Mrd. € betrug.
  6. Die relevanten Steuergesetze werden auf Bundesebene gemacht. Keine Seite hat bisher ausreichende Antworten auf dieses Problem gegeben. Es ist die Aufgabe der Berliner Parteien, auf hohem intellektuellem Niveau gemeinsame Anstrengungen zu entwickeln.
  7. Eine Koalitionsaussage der Berliner Linkspartei zugunsten der SPD ist zu vermeiden. Am Anfang einer verantwortungsvollen Berliner Bilanz müssen die Aktiva und Passiva benannt und nicht die Verhältnisse beschönigt werden. Insbesondere die Haltung der Berliner SPD-PDS-Regierung zu öffentlichen Tarifverträgen, zu Privatisierungen, zur Politik der "kurzfristigen Haushaltskonsolidierung" und zu Leistungskürzungen muss auf alternative Politikoptionen hin überprüft werden. Wir müssen des weiteren prüfen, ob die Berliner Linkspartei.PDS selbst angesichts der schwierigen Bedingungen unter ihren Möglichkeiten geblieben ist.
  8. Die Widersprüche der Berliner Situation und die Bedeutung für unser bundespolitisches Projekt stellen die höchsten Anforderungen an den Erfolg und die Glaubwürdigkeit von Regierungsbeteiligungen. Eine ernsthafte Beschäftigung mit den vorhandenen Spielräumen erfordert, dass sich die Mitglieder der beiden Parteien in einem organisierten Dialog verständigen. Unsere beiden Parteien können bei der Absicherung einer fairen, gleichberechtigten und institutionalisierten Debatte den Berliner Akteuren zur Seite stehen.

Diese Debatte sollte folgende Aspekte beinhalten:

Berliner Widersprüche

Wir müssen erkennen, dass die Berliner Widersprüche bzw. die Berliner Bauchschmerzen die realen Verhältnisse abbilden und nicht das Projekt des politischen Gegners sind. Es macht daher keinen Sinn, uns gegenseitig Verrat vorzuwerfen.

Berliner Glaubwürdigkeit

Einige prinzipielle Gegner einer Berliner Regierungsbeteiligung argumentieren, dass das Regieren in Berlin unter den gegebenen Verhältnissen unglaubwürdig sei, da es die Teilnahme am Sozialabbau erfordere. Diese Argumentation ist nicht besonders stichhaltig. Wenn die Berliner Verhältnisse Sozialabbau erzwingen, gäbe es kein Recht, Sozialabbau zu kritisieren. Wäre die Linkspartei nicht an der Regierung beteiligt, gäbe es eine andere Koalition, die ebenfalls Soziallabbau betriebe. Die linke Enthaltsamkeit würde Sozialabbau nicht verhindern und befände sich daher auf demselben moralischen Level wie eine Regierungsbeteiligung. "Ich wasche meine Hände in Unschuld" ist keine wahrhaftige Parole.

Gleichwohl ist aber die langfristige Beschädigung unseres Rufes abzuwägen. Wenn etwa durch die Berliner Verhältnisse der Zuspruch auf Bundesebene massiv leidet, leidet darunter der Einfluss bzw. die reale Macht einer bundesweiten Linkspartei. Ebenso kann eine dauerhafte Enthaltung von der Regierungsverantwortung Glaubwürdigkeitsprobleme verursachen.

Berliner Spielräume

Es ist der Eindruck entstanden, Spielräume seien von der Berliner Regierung nicht hinreichend genutzt worden. Dies betrifft insbesondere

  1. Fragen des kommunalen Flächentarifvertrags und die Möglichkeiten zur Einigung mit ver.di;
  2. die Möglichkeiten, die Überführung der öffentlichen Berliner Wasserwerke in eine private Rechtsform mit weniger öffentlicher Kontrolle zu verhindern;
  3. die Strafverfolgung (ggf. mit Unterstützung föderaler Staatsanwälte) bzw. Beteiligung der Profiteure an den Verlusten der Berliner Bankgesellschaft;
  4. den Kampf zur Vermeidung von Leistungskürzungen und Gebührenerhöhungen;
  5. die Möglichkeit, die Berliner Koalition auf Enthaltung im Bundesrat zu verpflichten;
  6. den Faktor, dass zu wenig durch intelligenten Protest, öffentliche Inszenierung, Forderungen und Muskelspiel dafür gesorgt wurde, auf Bundesebene für eine andere Steuerpolitik zu werben.

Die Berliner Regierung weist auf diesen Feldern Defizite auf, Defizite, die genauso wie die Erfolge, etwa die Verhinderung von Studiengebühren, anzusprechen sind. Dass es Defizite gab, ist aber kein Argument gegen regionale Regierungsbeteiligung an sich. Wer sich an der Regierung beteiligt, muss den Nachweis antreten, dass sich die Lebenslage gerade der sozial Schwächeren durch diese Politik nachhaltig besser entwickelt hat, als es ohne die Regierungsbeteiligung der Fall gewesen wäre. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, muss die Linke die Konsequenzen ziehen und Koalitionen aufkündigen. Kann der Nachweis erbracht werden, ist eine Regierungsbeteiligung sinnvoll.

Berlin ist eine Stadt in Deutschland

Die wichtigsten Instrumente für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, für die Sicherung ausreichender öffentlicher Finanzierungsmittel, für die Stabilisierung der Systeme der sozialen Sicherung etc. befinden sich fast ausschließlich auf der Ebene des Bundes. Deutschland bewegt sich trotz konjunktureller Erholung im nächsten Jahr auf eine Deflation zu. Wir sollten die Maßstäbe und Prioritäten im Auge haben, wenn wir über Berlin diskutieren. Berlin ist eine Stadt in Deutschland - die Hauptstadt zugegeben. Umso mehr sollten wir nicht provinziell streiten. Es geht um linke Politik auf Bundesebene, um eine starke Linke in der bedeutendsten Volkswirtschaft Europas. Es geht angesichts der schlimmen Entwicklungen der letzten Jahre darum, wieder eine öffentliche Gegenmacht zur "TINA-Politik" zu etablieren.

Fazit

Wenn es uns gelingt, diese Debatte zu führen, dann haben sich die Verletzungen und die Konflikte der vergangenen Jahre und Monate gelohnt. Für Berlin und für dieses Land. Wir brauchen eine Hauptstadtlinke, keine Provinzlinke. Eine Linke, die erkennt, dass ein Gespenst umgeht in Deutschland: Das Gespenst einer vereinten Linkspartei. Warum sollten wir es vertreiben, bevor es sich richtig gezeigt hat.

Axel Troost

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