Neue Linke und Regierungsbeteiligung
Die Linke wird mit ihrer alternativen Politik in Zeiten des Neoliberalismus immer auf mehr oder minder heruntergewirtschaftete Gemeinwesen treffen. Viele linke Kritiker des Neoliberalismus verweigern deshalb die Übernahme politischer Verantwortung.
Für wenige Monate vor und nach der Bundestagswahl erwies sich die neue Linke als Hoffnungsträger. Mit der abgesprochenen Kandidatur und der Zusage, nach den Wahlen eine gemeinsame politische Organisation der sozialistisch-demokratischen Linken anzustreben, schien die politische Rechthaberei und die Tendenz zur Spaltung in kleine Richtungsgruppen überwunden. Angesichts des neoliberalen Systemwechsels in Richtung eines entfesselten Kapitalismus erklärten die Linkspartei.PDS und die Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit, dass die politischen Kontroversen um die möglichen und realisierbaren Alternativen gegen die neoliberale Gegenreform in einer gemeinsamen, pluralistischen Partei ausgetragen und entschieden werden sollten.
Seit wenigen Wochen schiebt sich jedoch erneut Trennendes in den Vordergrund und die Medien greifen begierig die Möglichkeit des politischen Scheiterns auf. Die Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin und die kommunale Regierungsverantwortung in einigen Städten Ostdeutschlands geben Anlass zu heftigem Streit. Es geht um die Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften, Wasserwerken und Krankenversorgung; aber auch Einkommenskürzungen, Arbeitszeitverlängerungen der öffentlichen Beschäftigten und Entlassungen führen zu Protesten – nicht nur der zuständigen Gewerkschaften.
Innerhalb der WASG wird gefordert, die Kooperation mit der Linkspartei zu beenden bzw. den Prozess der Formierung einer umfassenden politischen Organisation der Linken solange auszusetzen, bis die Regierungsbeteiligungen beendet werden. Kennzeichen der Linken müsse die prinzipielle Gegnerschaft zum Neoliberalismus sein; neoliberale Politik könne nicht durch kleine Verbesserungen akzeptabel werden, da sie in ihrer Substanz sozial ungerecht und gesamtwirtschaftlich unvernünftig ist. Die Linke in Deutschland stehe vor der Herausforderung, durch konsequente Opposition die Vorherrschaft des Neoliberalismus zu überwinden.
Unstrittig ist: Die Haushaltsituation in den Kommunen, Ländern und Stadtstaaten – insbesondere in Berlin – ist desaströs. Die Regierungskoalitionen unter Beteiligung der Linkspartei haben eine Reihe von Entscheidungen (Tarife in öffentlichen Dienst, Sanierung der Bankgesellschaft, Personalabbau im öffentlichen Sektor, Neuorganisation des Gesundheitswesens etc.) getroffen, die zurecht Kritik und Protest hervorrufen. Bislang haben die Landesorganisationen der Linkspartei.PDS, die an den Regierungen beteiligt sind, nicht deutlich gemacht, in welche Zukunftskonzeption oder Stadtentwicklung ihre Konsolidierungs- und Sparpolitik einzuordnen ist. Mehr noch: Es gibt PolitikerInnen der Linkspartei.PDS, die sich offensiv für die weitere Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie einsetzen, weil nur so bis zu den nächsten Bundestagswahlen eine möglicherweise entscheidende Änderung des politisch-gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zu erreichen sei.
Die Hegemonie nicht den Neoliberalen überlassen!
Die Linke wird mit ihrer alternativen Politik in Zeiten des Neoliberalismus immer auf mehr oder minder heruntergewirtschaftete Gemeinwesen treffen. Viele linke Kritiker des Neoliberalismus verweigern deshalb die Übernahme politischer Verantwortung. Wir sagen: Es macht keinen politischen Sinn, auf absehbare Zeit die Aufgaben des Regierens auf kommunaler, auf Landes- und Bundesebene immer nur den neoliberalen Parteien zu überlassen. Dafür werden wir nicht gewählt. Eine solche Haltung ist zwar in ihrem Fudamentalismus klar, aber - aus unserer Sicht - gleichwohl unpolitisch. Es wird unterstellt, dass man unter solchen Rahmenbedingungen nur neoliberale Politik machen könne.
Dagegen setzen wir: Es gibt Alternativen nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern und Kommunen. Die Handlungsspielräume sind enger, weil z.B. die Steuereinnahmen auf diesen Ebenen nicht verändert werden können und weil Bundesgesetze zu respektieren sind. Verweigert die Linke hier jedoch die Verantwortung, wird das in der Bevölkerung den falschen Eindruck verstärken, dass es zur neoliberalen Politik konkret eben doch keine Alternativen gibt.
Deshalb muss sich die Neue Linke für eine ungeschminkte Bilanz der Regierungspolitik unter Beteiligung der Linkspartei.PDS einsetzen. Es muss darüber geredet werden, welche Gründe beispielsweise für die Privatisierungspolitik vorlagen. Es geht um eine nüchterne Überprüfung der Unterstützungsangebote für die Ausgegrenzten und Armen wie z.B. das Sozialticket oder den verbilligten Zugang zu kulturellen Institutionen.
Wer sich an der Regierung beteiligt, muss den Nachweis antreten, dass sich die Lebenslage gerade der sozial Schwächeren durch diese Politik positiv entwickelt hat. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, muss die Linke die Konsequenzen ziehen und sich aus Koalitionen zurückziehen.
Zur politischen Kommunikation gehört, dass wir den Zusammenhang zur Gestaltungsebene der Bundespolitik deutlich machen müssen. Wir beanspruchen, realisierbare Alternativen zur Stagnations- und Deflationspolitik anzubieten. Wir können und müssen daher zeigen, dass eine Reorganisation der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung verbesserte Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für die nachgeordneten Bundesländer und Regionen eröffnet.
Schlussfolgerung aus unserer Sicht: Es gibt durchaus begründete Argumente für die Position, dass die Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin unzureichende Ergebnisse erzielt hat. In Sachen Privatisierung, Einhaltung von Tarifverträgen und Gestaltung sozialer Mindeststandards sind gravierende Fehlentscheidungen zu verzeichnen. Aber diese Kritik ist aus unserer Sicht kein prinzipielles Argument gegen Regierungsbeteiligung auf kommunaler und Länderebene.
Die Linke muss bereit sein, in schwierigen Zeiten Verantwortung zu übernehmen. Und sie muss diese Aufgabe übernehmen, selbst wenn dies zu Protesten und Kritik in den eigenen Reihen führt. Aber unter diesen Bedingungen muss man sich der Kritik stellen und die politische Kommunikation offensiv führen. Das ist vielfach nicht erfolgt.
Daraus folgt: Wir sollten den Blick in die Zukunft richten und uns darüber verständigen, was in den nächsten Jahren in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und anderswo zu geschehen hat. Wir wenden uns strikt dagegen, die Kritik an der Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS zu benutzen, um die Anstrengungen zur Schaffung einer gemeinsamen politischen Organisation der neuen Linken einzustellen.
Den Parteibildungsprozess vorantreiben
Das Ergebnis der Bundestagswahlen ist die Aufforderung, die Bildung einer gemeinsamen Organisation der politischen Linken konsequent voranzutreiben. Sie ist die Perspektive und der Rahmen, in dem die weiteren Auseinandersetzungen auch um die Frage der Konditionen alternativer Regierungspolitik stattzufinden haben. Es muss künftig möglich sein, - wie heute in der Linkspartei - dass eine Minderheit das konkrete Regierungsprojekt ablehnt und durch innerparteiliche Auseinandersetzung eine entsprechende politische Veränderung herbeizuführen sucht.
In den letzten Jahren registrieren wir in den kapitalistischen Metropolen wachsende Widerstandsaktionen gegen die weitere Verschlechterung sozialer Standards, die über gewerkschaftliche Proteste der Betroffenen hinaus gehen. In diesen gebündelten Massenaktionen geht es um Kündigungsschutz, die Altersrenten, die Sozialtransfers im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut. Es gibt Proteste gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und Benachteiligung. Gegen die politische Umsetzung der Utopie des Neoliberalismus, die auf eine radikale Transformation der Lohnabhängigen in »Arbeitskraftunternehmer« und damit eine kapitalistische Form der Aufhebung von Lohnarbeit und Kapital zielt, gibt es breiten Widerstand auch von AkteurInnen, die nicht der Bewegung der Lohnabhängigen zuzuordnen sind.
In einer reifen kapitalistischen Ökonomie, die geprägt ist von vielfältigen Formen der Selbsttätigkeit, Zonen von Prekarität und Ausgrenzung großer gesellschaftlicher Gruppen, rückt die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ins Zentrum der öffentlichen Diskussion.
Eine sozial gerechte Veränderung der Verteilungsverhältnisse muss einhergehen mit einer Ausweitung von sozialen Bürgerrechten. Die sozialen Bürgerrechte müssen integraler Bestandteil eines neuen Systems gesamtgesellschaftlicher Regulierung sein, die freilich auch eine entsprechende Kontrolle und Steuerung der europäischen wie internationalen Wirtschaftsräume und Institutionen einschließt.
Wir brauchen die Bündelung all dieser Kräfte. Wir müssen versuchen, die verschiedenen oppositionellen Strömungen in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis gegen den neoliberalen Gesellschaftsumbau zusammen zu bringen.
Wir brauchen eine Linke, die sich nicht zufrieden gibt mit einem einmaligen Erfolg von 8,7 Prozent bei Bundestagswahlen, sondern die weiß, dass das eine Verpflichtung ist, eine Neugründung der Linken auf allen Ebenen vorzunehmen. Wir müssen den Parteibildungsprozess der neuen Linken vorantreiben. Die politische Bündelung ist eine wichtige Bedingung für die Formierung eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses gegen den Neoliberalismus.
Die Kritik an einer gemeinsamen, pluralistischen Linkspartei hat vielfach den Hintergrund, dass es grundlegende politisch-ideologische Vorbehalte gegen »Links« oder gegen einen vermeintlichen Verzicht auf die Idee des »demokratischen Sozialismus« gibt, also einer Politik, die über die kapitalistische Gesellschaftsordnung hinausgreift.
Umgekehrt gibt es aber eine breite Unterstützung für einen politischen Umgruppierungsprozess in Richtung einer »Neuen Linken«. Viele Bürgerinnen und Bürger unterstellen bereits, dass diese gemeinsame Partei existiert. Sie hätten wenig Verständnis für eine politische Blockade. Wenn die Linke sich erneut in ideologische Strömungen aufsplittert, ist sie wirkungslos. Gerade in der Ära des Neoliberalismus wird die neue Linke gebraucht: zur Organisation des Widerstandes im und außerhalb des Parlaments. Deshalb wollen wir mit vielen anderen die politische Formation der neuen Linken schaffen.
Wir werden uns um möglichst breite Zustimmung und Unterstützung für diese politische Option bemühen. Aber wir werden uns nicht von prinzipiellen Gegnern der Kooperation und des Zusammengehens der linken Kräfte und Strömungen aufhalten lassen.
Joachim Bischoff
Björn Radke
7. Dezember 2005