Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Den Atomausstieg beschleunigen anstatt ihn abzubrechen

Zur gemeinsamen Erklärung von Verdi und IGBCE und den Energiekonzernen

Laut einer aktuellen Emnid-Umfrage sind 75 Prozent der Bevölkerung für den unumkehrbaren Ausstieg aus der Atomenergie. Man könnte meinen, diese Mehrheit – die in Deutschland ungefähr seit dreißig Jahren zwischen 65 und 90 Prozent schwankt, je nach Aktualität und Hitzigkeit der öffentlichen Debatte – ist ausreichende Grundlage für eine klare Politik der raschen Beendigung der Nutzung der Atomenergie zur Energieerzeugung. Gäbe es in Deutschland das Recht auf einen verbindlichen Volksentscheid, so wäre schon vor einem Vierteljahrhundert das in jeder Hinsicht unverantwortliche Abenteuer Atomstrom beerdigt worden, wie in anderen Ländern geschehen, die dadurch keinerlei Rückschritt in ihrer technischen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Entwicklung hinnehmen mussten.

 

Stattdessen hat sich in der Bundesrepublik die Regierungspolitik immer einem mächtigen Kartell aus den großen Energiekonzernen, der Kraftwerksindustrie und auch militärpolitischen Strategen unterworfen, das um jeden Preis eine Weiterentwicklung und Forschung sowie industrielle Nutzung der Atomenergie sicherstellen wollte. Es ist nicht nur wie heute der Iran, der aus einer Mischung von falscher Energiepolitik und militärisch-industriellen Machtphantasien auf seiner Atomtechnologie beharrt. Die entscheidenden Kräfte in Deutschland seit den fünfziger Jahren waren und sind recht ähnlich orientiert. Leider haben sich auch immer wieder – vor allem dann, wenn der öffentliche Druck gegen die Atomenergie nachließ – der DGB oder die Einzelgewerkschaften mit hanebüchenen und rein ideologischen Erklärungen ihrer Spitzengremien diesem Kartell angeschlossen, obwohl fast alle Gewerkschaftstage seit den achtziger Jahren eindeutige Beschlüsse gegen den weiteren Weg in den Atomstaat gefasst haben.

 

Dass sich die Vorstände der IG Bergbau, Chemie, Energie und Ver.di jetzt zusammen mit den vier Atomkraftwerke betreibenden Konzernen EnBW-AG, E.ON-AG, RWE AG und Vattenfall Europe AG in einer gemeinsamen Erklärung zu Wort melden, ist deshalb nicht ganz so überraschend. Ein gemeinsames Interesse zwischen diesen beiden Gruppen besteht dadurch allerdings immer noch nicht. Die unterzeichnenden Gewerkschafter machen sich leider zu einem Büttel enger Unternehmerinteressen, die im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung, zur Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder und auch zur Mehrheit der Beschäftigten in den betroffenen Betrieben stehen.

 

Die gemeinsame Erklärung ist eine reine Kampfschrift der Arbeitgeberseite, um auf die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD Einfluss zu nehmen. Sie zielt ausdrücklich auf den Themenkomplex, wo schon im Wahlkampf, noch mehr aber sofort nach Kenntnis des Wahlergebnisses, eine Schwachstelle bei der SPD vermutet wurde. Die wird nach sieben Jahren „Rot-Grün“ nach wie vor verdächtigt, bei den angeblich industriefeindlichen „grünen“ Themen einzuknicken. Die rot-grüne Regierung hat in der Bilanz der Arbeitgeber – im Gegensatz zu einigen Fensterreden – fast alles richtig gemacht: Privatisierung der öffentlichen Dienste, Senkung der Löhne und Gehälter, Militarisierung der Außenpolitik, Kostensenkung bei den Sozialleistungen und Einschränkung der Arbeitnehmerrechte. Einzig in der Umwelt- und Energiepolitik mussten einige Kröten geschluckt werden: Ökosteuer, Atomausstieg, Förderung der regenerativen Energie, Dosenpfand und restriktiver Einstieg in die Zertifikats-Wirtschaft mit CO-2-Emissionsrechten. Jürgen Trittin war aus der Perspektive, was von „Rot-Grün“ bei den WählerInnen mal erwartet und was zum kleinen Teil noch in der Koalitionsplattform vereinbart wurde, der erfolgreichste Minister in den sieben Jahren. Deshalb hat ihn die Bild-Zeitung ja auch so geliebt und die SPD-Riege hat neidisch geguckt.

 

Der Bundesverband der deutschen Industrie hat fast zeitgleich mit der „Gemeinsamen Erklärung“ einen Text mit „energiepolitischen Kernforderungen an die 16. Legislaturperiode“ vorgelegt, der noch deutlicher die Forderungen unterstreicht: keine weitere Besteuerung der Energie und weitere Ausnahmen für Energiegroßverbraucher, längere Laufzeit der Atomkraftwerke, Wiederaufnahme der Untersuchungen in Gorleben und Schacht Konrad für ein Atommülllager, Begrenzung der Einspeisungsverpflichtung für erneuerbare Energie gemäß „europäischer Vorgaben“ und die Aufweichung der sowieso schon bescheidenen Emissionen reduzierenden Wirkung der Co-2-Zertifikate, indem sie billiger oder gar kostenlos und zahlreicher zugeteilt werden.

 

Die Kampfschrift der Energiekonzerne mit der Unterschrift von IG-BCE und Verdi klagt über hohe Energiepreise. Dabei sind sie es, die diese Preise hochtreiben und seit Jahren davon profitieren. Sie haben auf ihre spezielle Weise die von den Unternehmern immer so hoch gepriesene und geforderte Liberalisierung der Strommärkte verzögert und eingeschränkt, um so lange wie möglich ihre Monopolextraprofite zu sichern, sie verteidigen hartnäckig die angeblich unantastbare Koppelung der Gas- an die Ölpreise, und sie verlangen schamlos einen staatlichen Ausgleich, wenn sie industriellen Großkunden einen Sondertarif für Energie einräumen.

 

Der von der rot-grünen Regierung mit den Energiekonzernen ausgehandelte „Konsens zum Atomausstieg“ kannte im Grund nur einen Gewinner: die Betreiber der Atomanlagen. Nicht eine Anlage wird abgeschaltet, ohne dass die Energiewirtschaft es nicht aus ökonomischen Gründen auch will. Die Laufzeiten der Anlagen sind jetzt schon fast beliebig zu verlängern, weil alle Produktionszeiten miteinander verrechnet werden können. Die Atomwirtschaft hat ein simples Finanzinteresse: sie möchte auch noch die letzten, alten und besonders gefährlichen Anlagen, die betriebswirtschaftlich schon lange abgeschrieben sind, so lange wie möglich laufen lassen, weil jede Kilowattstunde reiner Gewinn ist. Das Atomausstiegsgesetz befreite die Anlagenbetreiber von einer effektiven Haftung bei Großunfällen, es sicherte Steuerfreiheit für die gewaltigen Rücklagen der Konzerne zu, die für ein Atommülllager gedacht sind, aber beliebig für Finanzgeschäfte benutzt werden können und es sicherte die weitere Forschung sowie Absicherung von Atomkraftexporten zu. Dass die Unternehmen jetzt dennoch zum Marsch blasen, soll lediglich die letzten Barrieren schleifen, die einer Wiederaufnahme von neuen atomaren Kraftwerksbauten – auf Basis des ohne Unterbrechung weiter entwickelten europäischen Druckwasserreaktors EPR – und einem Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen ohne große Verrechnereien der Gesamtproduktion entgegen stehen.

 
Die WASG ist gegen die Nutzung der Atomenergie, ob militärisch oder zivil. Viele ihrer Mitglieder arbeiten in der Umweltbewegung oder setzen sich dafür ein, dass auch die Gewerkschaften eine konsequente Haltung gegen die Atomanlagen einnimmt.

 

Warum sind wir gegen Atomenergie?

- sie ist unbestritten eine permanente Gefahr für die Menschen. Sowohl die Niedrigstrahlungsbelastung im Dauerbetrieb als auch die stete Gefahr großer und größter Unfälle ist nicht hinnehmbar

- sie erzeugt mit dem radioaktiven Abfall ein Problem, das die Menschheit für zehntausende von Jahren bindet. Für den atomaren Müll ist noch nirgendwo in der Welt eine technisch befriedigende Lösung gefunden worden, dennoch wird permanent neuer Atommüll produziert.

- Atomkraftwerke sind beispielhaft für die Sackgasse einer nur von privaten Unternehmensinteressen geleiteten Energiepolitik. Die Konzentration auf gigantische Großkraftwerke ist selbst bei allerbester heutiger Technik ein "thermodynamischer overkill" und eine gleichzeitig verschwenderische wie unsichere Form der Energieversorgung

- Die Atomenergie erfordert eine dauernde gewaltige "Sicherheits"- und Überwachungskultur, sowohl um den Betrieb zu gewährleisten, um Katastrophenpläne minimal einsatzfähig zu halten und letztlich natürlich auch um Sabotage, Terror und Kriegseinsätze gegen Atomkraftwerke zu minimieren.

- die "friedliche Nutzung" der Atomenergie ist von einer militärischen nicht zu trennen, wie zahllose Beispiele aus der jüngsten Geschichte beweisen. Damit sind die Atomenergie und die ungleiche Verfügungsmacht darüber einerseits eine Verfestigung der gegenwärtigen weltweiten Machtkartelle und militärischen Großmächte, andererseits auch Bedrohung durch atomare Aufrüstung neuer Mächte.

- Die Atomenergie ist selbst nach Bekunden ihrer Betreiber nur eine "Übergangsenergie". Die weltweiten Uranvorräte sind bei heutigem Verbrauch in weniger als 70 Jahren aufgebraucht, künstliche Spaltstoffe, wie Plutonium, verlängern diese Frist nicht (siehe das Ende der "Schnellen Brüter"-Technologie) und erhöhen zudem das Gefahrenpotenzial immens.

Für eine solche unvernünftige und zeitlich begrenzt nutzbare Energie den gigantischen Preis der oben beschriebenen Gefahren zu bezahlen ist politischer Irrsinn.

 Das Argument, man benötige die Atomenergie, um heute den CO-2-Ausstoß und die Klimabeeinträchtigung zu mindern, ist nicht stichhaltig. Die Atomenergie bindet gewaltige Mengen Kapital (die im Übrigen seit Anbeginn nur deshalb betriebswirtschaftlich lohnend eingesetzt wurden, weil sie staatlich und halbstaatlich kontinuierlich subventioniert von den wirklichen Folgekosten befreit wurden). Die werden von der Entwicklung wirklicher dauerhafter und ökologisch verträglicher Energiegewinnung abgezogen. Allein durch ein mit dem Geld der Atomenergie finanziertes Energieeinsparungsprogramm könnten heute sämtliche Atomkraftwerke in kürzester Zeit ersatzlos eingespart werden.

 
Und schließlich:

trotz Dauerberieselung durch der Atomenergie ergebener Medien ist heute immer noch die Mehrheit der Menschen gegen den Ausbau der Atomenergie. Fast 80 Prozent der Menschen wollen keine Atomanlage in ihrer Nähe. Die WASG wäre schlecht beraten, Politik gegen die Mehrheit der Menschen machen zu wollen.

 
Deshalb sind wir

- für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie

- für eine Erweiterung des Atomwaffensperrvertrages, der auch die Atommächte verbindlich zu Stopp der Atompolitik und Abrüstung zwingt

- für die Förderung von dauerhaften Energien wie Sonne, Wind, Wasser

- für ein (im übrigen auch Beschäftigung schaffendes) Energiesparprogramm, das weiter reicht als die kargen Programme des Herrn Trittin

- für die Konversion der Produktion in den der Atomindustrie zuarbeitenden Betrieben unter Beschäftigungsgarantie und Weiterbildungsprogrammen für die Belegschaften

- für eine langfristige Entwicklung von kleinräumiger, verlustarmer und dezentraler Energieversorgung

- für die Rückführung aller energieintensiven Produktionslinien (z.B. radikale Einsparung von Aluminium)

- für eine Umorientierung des Verkehrssektors auf kollektive und umweltverträgliche Beförderungssysteme

- für die Auflösung der Lobbyistenvereine für die Atomindustrie

Die WASG fordert alle auf, sich an den Protesten gegen die neue Offensive der Energiekonzerne und gegen die Hilfsdienste von IG-BCE und Verdi zu beteiligen. Als Mindestforderungen muss auch von der neuen Regierung garantiert werden, dass

 1. die Restlaufzeiten nicht verlängert und keine Restlaufzeiten anderer Anlagen auf die AKWs Biblis A und B, Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 übertragen werden. Stattdessen braucht es einen raschen Ausstieg aus der Atomkraft. Atomausstieg heißt Abschalten.

2. der Stopp der Erkundungsarbeiten im Gorlebener Salzstock weiter bestehen bleibt. Dieser und der Schacht Konrad müssen als völlig ungeeignete Endlageroptionen verworfen werden.

3. Atomtechnologie nicht wieder Exportgut wird.

4. die zukunftsweisende Förderung von Alternativen durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) fortgesetzt und weiterentwickelt wird.

 

Thies Gleiss
(Umweltpolitischer Sprecher des Bundesvorstandes der WASG)

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