Der Fall AEG – ein Lehrstück
von Heinz Bierbaum
Nach sechseinhalb Wochen Streik endete der Kampf um das Nürnberger AEG Hausgerätewerk, der bundes- und europaweit Beachtung gefunden hatte. Das vorrangige Streikziel, der Erhalt des Betriebes und der Arbeitsplätze, wurde nicht erreicht. Das Werk wird geschlossen, die Produktion von Waschmaschinen und Geschirrspülern nach Italien und Polen verlagert. Damit verliert die ohnehin vom industriellen Niedergang gebeutelte Region Nürnberg weitere 1.750 industrielle Arbeitsplätze. Allerdings erhalten die Beschäftigten wesentlich verbesserte Abfindungen, was ohne den Arbeitskampf nicht erreicht worden wäre. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass über 80% der Streikenden dem Kompromiss zustimmten. Euphorie kam dennoch nicht auf. Dem entspricht die nüchterne Einschätzung von IG Metall und Betriebsrat, die übereinstimmend die Vereinbarung als akzeptabel beurteilen, zugleich aber eingestehen, dass der Erhalt der Arbeitsplätze nicht erreicht wurde. Besonders bemerkenswert ist, dass der Streik in der langen Zeit nicht einmal abbröckelte. Trotz aller Einschüchterungsversuche stand die Streikfront bis zum letzten Tag.
Der Streik war die letzte Etappe einer länger währenden Auseinandersetzung um den Erhalt des zum schwedischen Electrolux Konzern gehörenden AEG Hausgerätewerkes in Nürnberg. Bereits vor über zwei Jahren hatte das Electrolux-Management versucht, erhebliche Kosteneinsparungen durch Ausweitung der Arbeitszeit auf 40 Stunden mit dem Argument durchzusetzen, dass man andernfalls gezwungen sei, das Werk zu schließen und die Produktion zu verlagern. Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall erarbeiteten ein alternatives Konzept, das ebenfalls Einsparungen in Millionenhöhe vorsah, aber ohne Arbeitszeitverlängerung auskam. Das Management lehnte ab – man wollte unbedingt die 40-Stunden-Woche. Dies zeigt, dass es nicht nur um die in den Vordergrund geschobene Kosteneinsparung, sondern auch immer um politische Ziele der Kapitalseite ging, für deren Durchsetzung man bei einer stark unter Preisdruck stehenden Branche wie der »Weißen Ware« günstige Bedingungen sah. Der damalige Konflikt endete damit, dass man zunächst von den Möglichkeiten des Beschäftigungssicherungstarifvertrags Gebrauch machte und für alle die Arbeitszeit mit Lohneinbußen heruntersetzte, dafür aber für ein Jahr alle Arbeitsplätze sichern konnte. Damit war die eigentliche Auseinandersetzung jedoch nur hinausgeschoben.
Das »Aus« für das Nürnberger Werk, dem Stammwerk der AEG Hausgeräte, war im Grunde schon in jener Sitzung des Aufsichtsrats vorprogrammiert, auf der beschlossen worden war, in Polen neue Produktionsstätten zu errichten. Allerdings war dies noch mit der Absicht einer Marktausweitung begründet worden. Man sah in Mittel- und Osteuropa neue zusätzliche Absatzmöglichkeiten. Nur ein Jahr später wurden die Absatzprognosen jedoch drastisch reduziert – mit der Folge, dass aus der Expansionsstrategie eine Verlagerungsstrategie wurde. Die Nürnberger Produktion sollte in einer Art Ringtausch zunächst zum großen Teil nach Italien und Produktion von dort nach Polen verlagert werden.
Die beabsichtigte Schließung des Nürnberger Werkes wurde von Electrolux damit begründet, dass die Nürnberger Produktion zu teuer sei, und dass man bei jedem Gerät drauflegen müsse. Diese Begründung ist eindeutig falsch. Die Nürnberger Produktion insgesamt war nie defizitär, auch wenn sie den Renditeerwartungen des Konzerns nicht entsprochen haben mag. In Nürnberg konnte und könnte weiterhin mit Gewinn produziert werden. Zudem gab es eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten, die hätten realisiert werden können. IG Metall und Betriebsrat haben darüber hinaus weitere, bis an die Grenze des Vertretbaren gehende Einsparungspotenziale angeboten, wobei selbst eine Halbierung der Belegschaft akzeptiert worden wäre. Alles das hat letztlich nichts genutzt.
Electrolux bestand auf der Schließung, wobei man sich noch nicht einmal die Mühe machte, sich mit den Alternativvorschlägen ernsthaft auseinander zu setzen. Hintergrund ist eine Strategie der unbedingten Kostenführerschaft, die auf Preiswettbewerb und Produktion in Niedriglohn-Ländern setzt. Nur damit – so glaubt man – kann man den Renditeansprüchen der Anteilseigner entsprechen. Diese sehen in Electrolux eine Finanzanlage, die sich lohnen muss. An Produktion und Wertschöpfung war und ist man nur davon abgeleitet interessiert.
Zweifellos ist die Hausgerätebranche in keiner einfachen Situation. Es herrscht erheblicher Preisdruck, verstärkt durch die Discounter und die »Geiz ist geil-Mentalität« der Verbraucher. Auf der anderen Seite ist die Situation in der Branche aber auch nicht dramatisch schlecht. Westeuropa ist ein nach wie vor sehr wichtiger Markt. Und es lässt sich auch in der Bundesrepublik Deutschland durchaus profitabel produzieren. Zur Schließung in Nürnberg gab es durchaus auch betriebswirtschaftlich eine Alternative. Allerdings hätte es dazu einer differenzierteren Marktstrategie, einer Pflege der Marke AEG – und nicht deren Demontage, wie von Electrolux betrieben – und auch mehr Innovationsanstrengungen bedurft. Doch die am Shareholder value orientierte Strategie von Electrolux stand dem entgegen.
Der Fall AEG macht zum wiederholten Male deutlich, dass zur Sicherung von Standorten und Arbeitsplätzen eine veränderte Unternehmenspolitik erforderlich ist, die das Unternehmen als Wertschöpfungsprozess sieht und damit auch die Arbeit als Quelle von Wert und nicht nur als Kostenfaktor begreift, den es zu minimieren gilt. Natürlich ist auch eine derartige Unternehmenspolitik dem Profit verpflichtet und stellt keineswegs eine Garantie für Standorte und Arbeitsplätze dar. Im Rahmen einer nachhaltig angelegten, damit auf die Entwicklung der vorhandenen Potenziale setzenden Politik stellt sich jedoch die Standortfrage qualitativ anders als bei einer reinen Kostensenkungsstrategie. Standortentscheidungen würden sich mehr an Entwicklungsmöglichkeiten als an kurzfristigen Kostenüberlegungen ausrichten.
Der Fall AEG macht darüber hinaus aber auch die Defizite einer Politik deutlich, die nur allzu willfährig dem neoliberalen Credo folgt, wonach der Standort Deutschland zu teuer sei und der Wettbewerb über die Senkung der Kosten, vor allem der Lohnkosten gewonnen werden müsse. Diese grundfalsche Ausrichtung wird den Standortbedingungen in einem entwickelten industriellen Land nicht gerecht und verstellt den Blick auf die eigentlichen Wettbewerbsstärken und Entwicklungsmöglichkeiten. So wurde gerade auch im Falle AEG sehr schnell von der verantwortlichen Politik die Electrolux-Argumentation von den angeblich nicht wettbewerbsfähigen Kosten übernommen und etwa auch der IG Metall vorgeworfen, zu sehr auf ihren Positionen, sprich Tarifvertrag, zu beharren. Als ob dies etwas genützt hätte. Anstatt die falschen neoliberalen Parolen nachzuplappern, müsste politisch gestaltend eingegriffen werden. Es bedarf eines grundsätzlichen politischen Klimawechsels mit der Orientierung an den gesellschaftlichen Bedarfen.
So bravourös der mehrwöchige Streik der AEG-Belegschaft in Nürnberg auch war, so werden doch an der Auseinandersetzung auch einige gewerkschaftspolitische Defizite deutlich. Nach wie vor tut sich die IG Metall mit Standortfragen außerordentlich schwer. Zwar gab es gerade im Bereich der »Weißen Ware« erhebliche Anstrengungen für eine koordinierte Branchenstrategie, doch erwies sich diese immer wieder als brüchig. Und der Streik kam im Grunde zu spät: als das »Aus« praktisch fest stand. Insofern standen faktisch die Bedingungen der Schließung und nicht die Schließung selbst im Vordergrund. Dies hängt damit zusammen, dass es erst einer tariflichen Forderung – der des Sozialtarifvertrags – bedurfte, um überhaupt streiken zu können. Während der laufenden betrieblichen Auseinandersetzung sind Arbeitskampfmaßnahmen nicht möglich. Trotz dieser rechtlichen Restriktion sollte gewerkschaftspolitisch darüber nachgedacht werden, wie die Auseinandersetzung zu einem Zeitpunkt zugespitzt werden kann, der im Kern des Entscheidungsprozesses liegt.
Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft die europäische Ebene. Seitens der IG Metall und des Gesamtbetriebsrats war man sich von Anfang an im Klaren, dass die Auseinandersetzung um die AEG in Nürnberg eine europäische Dimension hatte. So hat man sich – sehr zum Missfallen des lokalen Managements – relativ früh mit den italienischen Gewerkschaften auf eine gemeinsame Linie zu verständigen versucht, verfügt doch Electrolux über einen Schwerpunkt in Italien. Immer wieder gab es Versuche, die deutschen und italienischen Werke gegeneinander auszuspielen. Trotz aller Konkurrenz war es möglich, sich auf gemeinsame Grundpositionen zu verständigen und auch gemeinsame, d.h. zeitgleiche Aktionen durchzuführen. Auf europäischer Ebene gelang dies nur unzureichend. Die Verständigung innerhalb des Europäischen Betriebsrats von Electrolux war mehr als schwierig, da die schwedischen Gewerkschaftsvertreter stark blockierten. Der Europäische Metallarbeiterbund (EMB) richtete eine Koordinationsgruppe ein und versuchte den Konflikt auf die europäische Ebene zu heben. Trotz aller anzuerkennenden Bemühungen gelang dies nur sehr begrenzt. Zu wirklich gemeinsamen europaweiten Aktionen kam es nicht.
Hier zeigt sich, dass die europäische gewerkschaftliche Dimension noch zu schwach ist und Partikularinteressen letztlich dominieren. Auch auf diesem Gebiet macht die Auseinandersetzung um die AEG wiederholt deutlich, dass es vermehrter Anstrengungen bedarf, um die Gewerkschaften auf der europäischen Ebene handlungsfähig zu machen. Ein wichtiges Element können dabei die Europäischen Betriebsräte sein, wenn sie gewerkschaftspolitisch gestärkt werden.