»Gelebter Antikommunismus« oder politische Alternative zum Neoliberalismus
Joachim Bischoff
Björn Radke
»Wenn die SPD auf Schröder Kurs bleibt und die ›Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit‹ bei den nächsten Wahlen antritt, dann werden sich Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitglieder entscheiden müssen, ob sie ihrer Organisation oder ihrer Überzeugung treu bleiben wollen. Die Wahlalternative vertritt nämlich in der Wirtschaft- und Sozialpolitik ein Programm, das sich nicht nur mit der langjährigen SPD-Programmatik, sondern auch über weite Strecken wörtlich mit den Vorschlägen der deutschen Gewerkschaften deckt (...) Spätestens nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, im Mai 2005, muss die Entscheidung fallen. (...) Wenn die Schröder/Müntefering- SPD den Bundestageswahlkampf mit dem zündenden Motto ›Wählt uns, die anderen sind noch schlimmer‹ führen will, dann wäre es doch besser für unsere Demokratie, wenn eine neue Partei antritt, die einen grundsätzlichen Politikwechsel will.«
Mit dieser Aussage hatte Oskar Lafontaine in seinem neuen Buch in der deutschen Linken aufhorchen lassen. Die Spekulationen um einen möglichen Übertritt zur WASG haben kurzzeitig den Blick für die neue politische Situation verstellt.
Raus aus dem politischen Ghetto
Die Idee eines radikalen Kurswechsels und für eine politische Alternative für Deutschland gewinnt an Dynamik. Nach und nach treten Personen des politischen Lebens mit einer Abrechnung des vorherrschenden Neoliberalismus der deutschen Eliten an die Öffentlichkeit . Nach Heiner Geißlers »Wutanfall« erschien die »Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft« des Oskar Lafontaine. Heribert Prantl, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, kommt in seinem neuen Buch zu dem Schluss, dass die Verhältnisse in der Berliner Republik einer scharfen, radikalen Kritik unterworfen werden müssen. Gemeinsam ist all diesen Kritikern, dass die PDS als möglicher Kristallisationspunkt des Widerstandspotentials für die gesamtdeutsche Gesellschaft und als Katalysator für eine Öffnung der politischen Kräfteverhältnisse nicht in Frage kommt.
Die PDS wollte den politischen Raum links von der Sozialdemokratie besetzen, ist aber durch das Auftreten einer neuen Linkspartei – der WASG – in ihren Ansprüchen auch praktisch beschnitten worden. Unbestreitbar ist mit der Existenz zweiter Linksparteien zugleich ein Problem aufgeworfen: Kann die politische Linke im Kampf gegen den Neoliberalismus aus dem Ghetto herausfinden?
Alle, die sich mit der gesellschaftlichen Realität und der Existenz zweier Linksparteien auseinandersetzen, befürworten für die Bundestagswahlen 2006, dass die Linke ihre Potentiale bündelt, aber auch die vorhandenen Unterschiede respektiert. Die verbreitete These lautet: Beide Parteien, WASG und PDS, hätten bei allen Unterschieden einen großen Vorrat an Gemeinsamkeiten und bringen unterschiedliche, durch die jeweils andere Partei nicht ersetzbare Vorteile für die Formierung einer linken politischen Alternative in Deutschland ein. Also könnte man zusammen weiterkommen.
Zu den strittigen Fragen gehört, ob die WASG eine Antwort auf das Scheitern der PDS in den alten Bundesländern ist, oder ob ihr Auftreten noch auf tiefergehende Strukturveränderungen im politischen System wie auch in der Zivilgesellschaft zurückzuführen ist. Diese Debatte wird mehr oder minder offen in jeder politischen Formation geführt.
WASG als »gelebter Antikommunismus«?
Der Wahlkampfleiter der PDS, Bodo Ramelow, versucht, die politisch-kulturellen Unterschiede innerhalb der Linken in den Vordergrund zu rücken. Sein Argument wenige Tage vor den Landtagswahlen in NRW: »Die Wahlalternative ist im Westen entstanden. Ich kenne viele der dort Agierenden gut aus meiner früheren Zeit, das sind alles ehrenwerte Gewerkschafter, die aber immer SPDler waren und offenkundig jetzt den linken Flügel der SPD außerhalb der Partei neu organisieren wollen. Die tun sich eher schwer mit uns. Ich nehme die WASG als einen Gemischtwarenladen wahr, zumal in NRW. Einer der Gründe, warum ich glaube, dass Oskar Lafontaine zögert, dem WASG-Werben nachzugeben. Andererseits bleibt das Problem, dass wir als PDS nicht der geborene Gesprächspartner für Gewerkschafter sind.« Immerhin ist diese Einsicht, dass die PDS ein Problem mit den Gewerkschaften hat und darüber hinaus mit anderen Organisationen des Widerstands gegen die neoliberale Systemveränderung, ein Schritt zur Anerkennung der Realität.
Die Frage nach den Gründen für die politisch-kulturelle Distanz beantwortet Ramelow allerdings mit einer Anleihe aus der überheblichen Position der Avantgarde: »Das erkläre ich mit dem tiefsitzenden Antikommunismus hier zu Lande.« Insofern hält der PDS-Wahlkampfleiter nichts von den Überlegungen für ein gemeinsames Agieren zu den Bundestagswahlen. »Es gibt mehrere Vorschläge und ehrenwerte Denkpapiere. Aber mit Verlaub, die haben leider alle ein Problem: Sie geben keine Antwort auf die Frage, wie der gelebte Antikommunismus in Deutschland ausgeschaltet werden kann. Und auf die WASG zuzugehen und zu sagen, lasst uns mal einen Deal machen, ihr im Westen, wir im Osten, das ist mit mir nicht zu machen. Damit würde ich die PDS im Westen preisgeben. Wir haben allein im Westen so viel Mitglieder wie die WASG bundesweit. Ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Mein Ziel ist es, engagierte Kräfte zu bündeln, ihnen in Vorbereitung auf die Bundestagswahl das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein.«
Das Argument vom tiefsitzenden Antikommunismus stammt – mit Verlaub – aus der Mottenkiste. Es hatte schon zu Zeiten der Systemkonkurrenz keinen Erklärungswert. 15 Jahre nach den Bankrotts der staatsozialistischen Gesellschaften ist dieses Argument nicht tragfähiger. Die berechtigte Kritik an der so genannten realsozialistischen Gesellschaftskonzeption kann mit der Formel einen »gelebten Antikommunismus« nicht weggewischt werden.
Alles klar in der PDS?
Auch der Spitzenpolitiker der PDS Gregor Gysi hat sich in die Debatte um die Führungsrolle der PDS im Spektrum links von der SPD eingemischt. Gysi sieht im Widerspruch zu Ramelow den Aufbau seiner Partei im Westen als gescheitert an: »Ich mache mir keine Illusionen mehr: Absehbar werden wir im Westen keine ausreichende Bedeutung haben. Für die PDS sind die Zeiten immer schwierig. Sie ist immer noch nicht im Westen angekommen. Wir bräuchten dort vier, fünf Prozent, um gegen den Neoliberalismus wirklich etwas erreichen zu können«. Wohl sei die PDS offen für Leute wie Oskar Lafontaine und Ottmar Schreiner, auch für Aktivisten der WASG. »Doch solche Linken im Westen haben der PDS gegenüber Hemmungen.« Lafontaine und die anderen dächten, dass sie eine Vergangenheit und Kultur erbten, die nicht ihre eigene ist. Noch immer wirke die PDS »im Westen eher wie eine ausländische Partei«. Damit ist ein gewichtiges Argument gegen einen gesamtdeutschen Alleinvertretungsanspruch der PDS auf Seiten der Linken vorgebracht. Es macht zugleich deutlich, wie schwierig die künftigen politischen Verständigungsprozesse im oppositionellen Lager sein werden..
André Brie (ehemaliger Wahlkampfleiter der PDS) plädiert trotz der gravierenden politisch-kulturellen Differenzen für ein breites politisches Bündnis gegen alle Versionen des Neoliberalismus. Seine Kernthese: Angesichts der unübersehbaren Folgen der neoliberalen Politik für die Arbeits- und Lebensverhältnisse eines Großteils der BürgerInnen und der zunehmenden Zerstörung demokratisch-rechstaatlicher Kultur in unserem Land habe die Linke keine Recht mehr auf Misserfolg. »Knapp anderthalb Jahrzehnte später ist von der einstigen Bonner Republik (dem ›rheinischen Kapitalismus‹ und der militärischen Zurückhaltung der bundesdeutschen Politik) nicht mehr viel übrig. Wir haben tatsächlich eine grundsätzlich andere Republik, eine andere Gesellschaft.«
Wie kann die politische Linke auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss gewinnen? Zunächst ist sicher weithin unstrittig: Es gilt die Realitäten anzuerkennen. Ob es uns gefällt oder nicht: »Es gibt in Deutschland keinen Platz für zwei linke Parteien, die beide die Fünf-Prozent-Hürde bei Bundestagswahlen überwinden könnten. Abstrakt gesehen ist die Vertretungslücke links von der SPD inzwischen zwar wesentlich größer und dürfte bei mindestens zehn bis 15 Prozent der Wahlberechtigten liegen. Doch erstens wird eine Konkurrenzkandidatur nicht einmal ein Nullsummenspiel, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit potenzielle Wählerinnen und Wähler beider Parteien demotivieren. Zweitens ist die Mehrheit dieses Potenzials unter den Nichtwählerinnen und Nichtwählern zu finden, die zu erreichen eine längerfristige politische, geistige und kulturelle Aufgabe ist. Die PDS war 2004 erstmalig, aber auf niedrigem Niveau, in der Lage, Wählerinnen und Wähler aus traditionell sozialdemokratischem Milieus zu erreichen. Bis 2006 wird sich trotz dieser Bewegung nichts Grundsätzliches an der strukturellen Schwäche der PDS in den alten Bundesländern ändern lassen. Über die realen Chancen der WASG kann gegenwärtig überhaupt nichts Seriöses gesagt werden. Erst die NRW-Wahl kann erste Anhaltspunkte bringen.«
Drei Stellungnahmen aus der PDS, die unterschiedlicher nicht sein können und nach einer Klärung verlangen. Während Gysi die Partei im Westen gescheitert sieht, will Ramelow die PDS als gesamtdeutsche Partei in den Bundestag führen. Vor dem Hintergrund der realen Verhältnisse, wie André Brie sie beschreibt, sicherlich ein ehrgeiziges, wenn auch – mit Verlaub - kein realistisches Projekt.
Für einen Politikwechsel ohne Alleinvertretungsanspruch
Wenn Ramelow mit seinem faktischen Alleinvertretungsanspruch dabei auf die Themen Sozialstaat, Steuergerechtigkeit und Arbeitslosigkeit verweist, dann wäre es interessant zu wissen, was denn die Besonderheiten der PDS-Vorschläge bezogen auf das sind, was ansonsten in den oppositionellen Bündnissen vertreten wird. Vor allem wäre es nützlich zu wissen, was sich hinter der abgrenzenden Behauptung verbirgt, dass die WASG nur Konzepte aus der gewerkschaftlichen Denkschule der 1970er Jahre vertritt. »Gelebter Antikommunismus« und »gewerkschaftliche Denkschule« erscheinen uns als bloß oberflächliche Abgrenzung, bei denen Ramelow die Begründung schuldig bleibt.
Ramelow greift dabei auf das verbreitete Vorurteil zurück, die Wahlalternative käme über altbackene Vorstellungen zum Sozialstaat nicht hinaus. In der Tat ist der Sozialstaat für das Denken und die politische Programmatik der Wahlalternative zentral. Häufig werden wir mit der Kritik konfrontiert, wir wollten zurück zu den 1970er Jahren, als der Ausbau des Sozialstaates durch beschleunigtes Wirtschaftswachstum als Klassenkompromiss verabredet werden konnte. Diese Kritik geht an unserer Programmatik und unseren konkreten politischen Vorschlägen vorbei.
Die WASG beharrt auf den Grundsätzen des Sozialstaates, so wie er in unserer Verfassung festgeschrieben ist. Damit wenden wir uns nicht gegen Reformen. Im Gegenteil: Der Sozialstaat ist eine wesentliche zivilisatorische Errungenschaft. Den Sozialstaat sichern heißt, ihn umfassender zu machen und auf neue Entwicklungen abzustimmen. Besonders die vielfältigen Formen, in denen heute gearbeitet wird, verlangen eine sachgerechte Anpassung der sozialen Absicherung. Diese Veränderungen sind das Ergebnis der technischen Entwicklung und der veränderten Wirtschaftsstrukturen, der sozialen Umbrüche, der veränderten Familienstrukturen und der neuen Rolle der Frau.
Diese Entwicklungen erfordern Veränderungen in der Organisation der Arbeit, ohne das Ziel der Vollbeschäftigung aufzugeben. Sie erfordern überdies Reformen der sozialen Sicherungssysteme, die einen umfassenden Schutz aller Mitglieder der Gesellschaft vor den sozialen Risiken und die Sicherung des Lebensstandards gewährleisten. Wir wollen die soziale Sicherung dadurch stärken, dass alle Bevölkerungsgruppen und alle Einkommen in eine solidarische und paritätisch finanzierte Bürger- oder Volksversicherung einbezogen werden.
Die WASG hat sich als wählbare Alternative formiert. Eine Alternative, die eine gemeinsame Opposition gegen den Neoliberalismus befördern soll. Eine Alternative gegen die perspektivlose Flucht in Wahlenthaltung oder aktive Wahlverweigerung. Die WASG will ihren Beitrag leisten zur Öffnung der politischen Kräfteverhältnisse, zur Erneuerung der politischen Kultur, zur Aufwertung von politischem Engagement in diesem Lande.
Deshalb will sie deutlich machen: Es gibt realisierbare Alternativen zum entfesselten Kapitalismus. Wir werden uns auch mit den Argumenten der PDS auseinandersetzen und gehen davon aus, das der PDS-Wahlleiter künftig mehr zu bieten hat, als Vorurteile und Abgrenzungsrhetorik.