Korruption der Sprache, Verfall der Sitten und eine wählbare Alternative
Anmerkungen zur "Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft" von Oskar Lafontaine
"Die notwendige Kursänderung der deutschen Politik setzt eine neue Wertorientierung, eine andere Sprache und eine Wirtschaftspolitik voraus. Der Neoliberalismus hat über viele Jahre ein ausreichendes Wachstum unserer Wirtschaft und damit einen Abbau der Arbeitslosigkeit verhindert."(290)
In seiner Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft entwickelt Lafontaine ein Alternativprogramm für Deutschland, indem weitgehend die politischen Positionen der Gegner und Kritiker des Neoliberalismus zusammengefasst sind.
Bemerkenswert an der Argumentation ist, das Lafontaine sich nicht nur auf eine alternative Agenda in den wichtigsten Politikfeldern (Wirtschaft, Arbeit, Sozialstaat, Außenpolitik etc.) konzentriert, sondern die Forderung nach einer ideellen Neuorientierung konkretisiert: "Eine Erneuerung der Politik setzt eine andere Sprache, eine neue Begrifflichkeit im Sinne der Aufklärung und eine andere geistige Orientierung voraus." (121) Die gesellschaftliche und politische Öffentlichkeit sei noch von der neoliberalen Sprache geprägt, in der die Zusammenhänge und Hintergründe gesellschaftlicher Konflikt verschleiert und versteckt werden. Die Aufklärung über die Täuschungs- und Verschleierungsmanöver ist für Lafontaine eine zentrale Herausforderung, wenn eine nachhaltige Veränderung der politischen Wertorientierungen und eine andere Entwicklungsrichtung in Politik und Gesellschaft durchgesetzt werden soll . "Nach zwanzig Jahren hat die neoliberale Revolution Deutschland völlig verändert. Auch die Sprache ist eine andere geworden. Sie hat das Denken in völlig neue Bahnen gelenkt. Aus diesem Grunde ist heute eine Revision erforderlich." (139)
Diese These von einer neoliberalen Revolution, die die Gesellschaft und das gesellschaftliche Denken umgestülpt hat, mag auf den ersten Blick überraschen. Bei einer "Revolution" assoziieren viele eine Situation wie in Portugal oder Chile in den siebziger Jahren. Gemeint ist, dass sich in Deutschland wie in anderen hochentwickelten Ländern seit den achtziger Jahren eine stille oder passive Revolution vollzogen habe, deren praktische Auswirkungen oder Konsequenzen im gesellschaftlichen Denken erst spät mehr und mehr sichtbar werden.
Auf jeden Fall ist es so, dass die Linke ihre kulturelle Hegemonie längst verloren hat und wir einen umfassenden Aufbruch anstreben müssen, durch den die "neoliberalen Falschwörter" beiseite geräumt werden und eine neue geistig-kulturelle Orientierung wiederum Platz erhält.
Eine Antwort, wie denn der Vorherrschaft der neoliberalen Sprach- und Denkweise beizukommen sei, hat Lafontaine auch nicht anzubieten. Richtig ist sicher die grobe Orientierung, dass die in der Gesellschaft vorhandenen Interessengegensätze wiederum deutlich ausgesprochen werden müssen. Lafontaine betont: das vorliegende Buch solle diejenigen in Deutschland unterstützen, die sich mit der derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Unterstützung nicht abfinden wollen. Es gilt der kapitalistischen Welt, die vom Shareholder Value beherrscht wird, Mitmenschlichkeit und eine emanzipatorische, soziale Gesellschaftsgestaltung abzufordern.
Wir stimmen in den konkreten Programmpunkten für eine alternative ökonomische, soziale und politisch-kulturelle Entwicklung, wie sie Lafontaine entwickelt,vielem zu, setzen aber einige Akzente anders und wollen davon einige Aspekte vertiefen.
1. "Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind der Meinung, die Mehrheit derjenigen, die Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe bekommen, könnte sehr wohl arbeiten, wolle es aber nicht. Das ist ein Erfolg der neoliberalen "Aufklärung" (29)
In der Tat reicht es nicht aus, alternative politische Forderungen aufzulisten und in eine stimmige Konzeption einzubinden , wenn man einen grundlegenden Kurswechsel in der Politik erreichen will. Es ist wirkliche Aufklärung über Sachverhalte und Vorurteile im Alltagsbewusstsein angesagt. Darüber hinaus geht es um die Vernetzung und Bündelung all jener sozialen Schichten, die von der neoliberalen Politik direkt negativ betroffen sind oder aus anderen Gründen deren geistig-kulturelle Wertorientierung ablehnen. Die Entwicklung einer emanzipatorischen geistigen Orientierung auf dem Niveau des 21. Jahrhunderts bleibt eine wichtige Herausforderung.
Es ist einfach festzustellen, dass die utopischen Oasen ausgetrocknet sind, und sich daher eine Wüste von Banalität und Ratlosigkeit breit gemacht hat. Schwieriger ist es indessen, neue weitreichende gemeinsame Ziel-setzungen zu verankern. Zunächst aber müssen die vielfach vorhandenen Vorurteile aufgelöst werden. Über diese Aufklärung kann es eine Ausweitung zu programmatischen Alternativen geben - etwa zu Hartz IV. "Das soziale Netz, das diejenigen auffängt, die kein oder ein nur geringes Einkommen haben und ohne Vermögen sind, ist die Sozialhilfe (...) Wer Sozialhilfe bezieht, kann in Deutschland ein bescheidenes Leben führen"(260) ,was heißt, dass die Sozialhilfe reformiert werden muss, etwa entlang der Vorschläge des paritätischen Wohlfahrtsverbandes (Anhebung der Sätze, Verbesserung der Einmalhilfen etc.). "Die Arbeitnehmer wollen in keinerlei Hinsicht eine Vermengung des Sozialhilfensystems mit der Sozial-versicherung.(...) Aus diesem Grund war es ein Kardinalfehler, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzulegen."(261)
Es geht aber nicht nur um konkrete Reformschritte, die die neoliberale Umverteilungsaktion zurückdrängen, sondern es geht um gesellschaftspolitische Perspektiven. Der Umverteilungsprozess von unten nach oben wird immer stärker, weil von einer wirklichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer, einen Gegengewicht der Gewerkschaften keine Rede mehr sein kann. "Demokratie verlangt nicht den Abbau, sondern den Ausbau und die Weiterentwicklung der Mitbestimmung."(159)
2. Von dieser neoliberalen Bewusstseinsverfälschung oder -trübung sind auch Gewerkschaften oder die Sozialdemokratie nicht ausgenommen. "Die SPD-Wähler erleben eine völlig verwandelte Partei, die ihnen erklärt, alles, was sie ihnen bisher erzählt habe, sei falsch. Die vorher heftig bekämpften Vorstellungen der bürgerlichen Parteien wären nun doch richtig."(32) Es geht aber nicht nur um die Wähler, sondern gerade auch um die Mitglieder der Sozialdemokratie. "Bis zum Jahr 1998 wäre es beispielsweise unvorstellbar gewesen, dass ein SPD-Parteitag die Agenda 2010 gebilligt hätte. Die Kürzung des Arbeitslosengeldes, die Streichung der Arbeitslosenhilfe, der Abbau des Kündigungsschutzes und die Aufhebung der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung sind uralte Ladenhüter der Unternehmerverbände. Generationen von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern haben diese Vorschläge bekämpft, weil sie der Idee der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet waren und die Interessen der Arbeitnehmer vertraten." (71)
Lafontaine wirft - teils rücksichtslos gegen sich selbst (weil er "in früheren Jahren diesen Tarnbegriffen selbst auf den Leim gegangenen bin"((61)) - die wichtigen Fragen auf, wie z.B. "es zu einer solchen Veränderung des politischen Denkens kommen konnte."(46) Seine Antworten sind - wenigstens für uns - nicht gleichermaßen überzeugend wie die aufge-worfenen Fragen. "Fakt ist: Die Wähler sind resigniert und bleiben zu Hause, und viele Mitglieder geben auf und treten aus der Partei aus. Der Mitgliederschwund gleicht der Entwicklung in Großbritannien."(122) Diese Tendenz zur Resignation schwächt den Widerstand. Individualisierung der Krisenbetroffenheit, Enteignung von Sprache und Symbolen und mehr noch, eine weitgehende Geschichtsvergessenheit, schließlich auch die massiven Fehlentwicklungen und Deformationen emanzipatorischer Politik, die von den Linken selbst zu verantworten sind - all dies sind wichtige Aspekte.
Richtig ist sicherlich auch: "Wenn die SPD die Welt nicht mit den Augen der Leidenden und Entrechteten betrachtet, dann verliert sie auf Dauer ihr Gedächtnis und ihre Moral." (123) D.h. auch innerhalb der Sozialdemokratie hat sich seit Jahren eine Verschiebung der sozialen Zusammensetzung und der Wertorientierungen vollzogen. Die Gefahr war lange gesehen: Wehner "drängte auf die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) ..Das Gegenstück in der CDU/CSU ist die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) Beide Arbeitsgemeinschaften konnten die Wandlung ihrer Parteien zu Erfüllungsgehilfen der Wirtschaftsverbände nicht mehr verhindern. Heute sind alle Parteien nicht kommunistisch, sondern kapitalistisch unterwandert."(168)
Die Ausrichtung der Parteien auf das neoliberale Denken wird verständlicher, wenn wir den Strukturwandel der Öffentlichkeit (der Medien), die wachsende Abhängigkeit von Parteien von Spenden aus der Wirtschaft, aber auch die Korrumpierung der Abgeordneten und Funktionäre (Nebenjobs) im Zusammenspiel wahrnehmen. Nicht zuletzt ist der massive Einfluss der neoliberalen Think Tanks (z.B. Initiative soziale Marktwirtschaft) mit hier beträchtlichen Ressourcen zu sehen. Die Schlussfolgerung aus der stillen oder passiven Revolution und der damit zusammenhängenden Transformation der Parteien, wie der Sozialdemokratie, sind eindeutig: "Wenn eine von Sozialdemokraten geführte Regierung den marktbedingten Umverteilungsprozess von unten nach oben noch weiter verstärkt, dann muss ein wirklicher Sozialdemokrat sich gegen die Regierung stellen.
Indem sie Lohnkürzungen befürwortet und den sozial Schwächeren in die Taschen greift, macht die Regierung das krasse Gegenteil dessen, was die Aufgabe sozialdemokratischer Politik im Zeitalter der Globalisierung wäre."(165)
Gleichwohl bleibt als zu lösende Aufgabe, den Transformationsprozess der europäischen Sozialdemokratie genauer zu beleuchten. Zumal Giddens, einer der Theoretiker des neoliberalen Projektes vom "Dritten Weg", diesen Transformationsprozess positiv wertet: "Niemand, der sich dem Konzept des Dritten Wegs verbunden fühlt, unterschätzt die politischen Gegensätze der vergangenen 20 Jahre. In der Gesellschaft haben wir jede Menge Spaltungen und Zersplitterung. Und es gibt keinen automatischen gesellschaftlichen Konsens. Sehr wohl aber muss man die zusammenbringen, die die Sozial-demokratie wegen ihre Versuchs wählen sollen, in der Politik soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Effektivität zu verbinden. (...) New Labour hat einen beträchtlichen öffentlichen Stimmungsumschwung erreicht. Die britische Gesellschaft ist sozialdemokratischer geworden. Eine thatcher-istische Position wird nur von etwa 25 Prozent vertreten."(Mitbestimmung, 3,2005, 51)
Damit ist das Problem einer sozialdemokratischen Variante des Neoliberalismus benannt. Wir würden nicht bestreiten, dass die Politik von New Labour eine sozialverträglichere Umverteilungspolitik von unten nach oben darstellt. Die harte Variante des Neoliberalismus nimmt für die Gesellschaftspolitik zum Vorteil der wohlhabenden Eliten auch die Zerstörung von sozialen Rechten und der demokratischen Willensbildung in Kauf. Aber auch für die gemäßigte, gleichsam humanere sozial-demokratische Version des Neoliberalismus gilt, dass ihre Politik die überlieferten Strukturen sozialer Sicherheit zerstört, die ökonomische Labilität der Gesellschaften erhöht und im Endeffekt die soziale oder Klassen-spaltung zwischen Arbeit und Kapital vertieft. Der Widerspruch der Politik des Dritten Weges wird gerade für Großbritannien klar formuliert.
Positiv urteilt Jürgen Kröning, der Korrespondent der "Zeit" in Großbritannien: "Mit den Mitteln der "Marktsozialdemokratie" hat die Labour Party im Kampf gegen die Armut in den vergangenen acht Jahren etliche klassisch sozialdemokratische Ziele erreicht. Labour entpuppt sich als ein neuer Typus, der vielleicht am besten mit dem Begriff "Marktsozialdemokratie" zu beschreiben ist. Eine gewisse Härte - tough love - gehört stets dazu, ob im Umgang mit Obdachlosen, Sozialhilfeempfängern oder Arbeitslosen. Die "alte Linke" hat sich hieran seit Beginn der Ägide Blair immer gerieben. Sie bezweifelt auch heute noch, dass Sozialbetrug ein wirklich nennenswertes Problem darstellt."(Berliner Republik 2, 2205, 22)
Wenn diese positive Wertung Bestand hat, dann steht die eigentliche Krise der neoliberalisierten Sozialdemokratie noch bevor: "Entweder die Labour-Regierung geht weiter auf dem Pfad der Umverteilung , um einen höheren Grad sozialer Gerechtigkeit zu erreichen. Das könnte dazu führen, dass sie die Fähigkeit verliert, eine Mehrheit unter Einschluss der breiten Mittel-schichten zu gewinnen (...) Oder Labour gibt zu erkennen, dass sich der weitere Zuwachs an sozialer Gerechtigkeit und die damit erforderliche Umverteilung nicht realisieren lassen."(ebda.)
Im negativen Urteil wird betont, dass bei der klassenübergreifenden Allianz von Kapital und Arbeit in der Politik von New Labour eben die Lohnab-hängigen und die subalternen Schichten auf der Strecke geblieben seien. "Auch in Großbritannien hat sich der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößert. (...) Zwar habe (...) sich die Zahl der Armen verringert (ebenso habe sich der Gesundheitszustand der Briten insgesamt verbessert und die Lebenserwartung weiter erhöht) ,aber die Vermögensverteilung sei in diesen Jahren noch ungleicher geworden. Der Anteil der reichsten zehn Prozent der Briten am Gesamtvermögen sei von 47 auf 54 Prozent gestiegen."/ (Bartels Berliner Republik 2,2005, 60) Während der ersten sechs Jahre der 1997 angetretenen Regierung habe sich das Gesamtvermögen der 600 000 Schwerreichen auf 1,1, Milliarden Euro verdoppelt"( SZ 5./6.3.2005)
Wir haben mithin zwei Deutungen des Transformationsprozesses der europäischen Sozialdemokratie. These eins: die modernisierte Sozialdemokratie habe durch eine Kombination von Effizienz und sozialer Gerechtigkeit eine klassenübergreifende Politik erreicht und mit der Marktsozialdemokratie sei die Zahl und bestimmte Erscheinungsformen der Armut zurückgedrängt worden. These zwei: die Sozialdemokratie sei schleichend neoliberalisiert worden. Die SPD-Elite (Führungsschicht und Mandatsträger) hätten die neoliberale Politik übernommen, während große Teile der Mitgliedschaft und wichtige Wählersegmente auf der ideologischen Position einer sozialstaatlichen Partei verharrten; dieser Widerspruch entwickele sich durch massive Mitgliederverluste und Wahlenthaltung zu einer Gefährdung des demokratischen Systems. Wir werden diese Kontroverse aufzulösen haben.
3. Der Druck auf die Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen und eben keine relevanten Vermögenseinnahmen haben, hat verschiedene Dimensionen. Zum einen wird die akkumulierte oder vergegenständlichte Arbeit (als Kapital) immer wichtiger gegenüber der lebendigen Arbeit. Die Eigentümer beanspruchen daher den Löwenanteil des Ertrages aus diesem Wertschöpfungsprozess, soweit sie nicht durch die organisierten Lohnabhängigen zu anderen Kompromissen gezwungen oder durch gesetzliche Regulation beschränkt werden. "Nur eine gerechte Entlohnung der Arbeit führt zu Wachstum und Beschäftigung"(58). Dieselben Verbandsvertreter und Politiker, die den Lohnabhängigen Lohnzurückhaltung predigen, haben keine Skrupel die durchschnittliche Eigenkapitalrendite von 15 % zu verteidigen und ihre Steigerung auf über 20 % in Aussicht zu stellen. Die Konsequenz: die Kapitalseite verdoppelt in 4-5 Jahren ihren Wert, soweit er nicht konsumiert wird, während die Lohnabhängigen Verluste ihres Lebensstandards hinnehmen sollen. Außerdem : "Sie müssen die Anteile der Lohnnebenkosten übernehmen, die die Unternehmer nicht mehr zahlen wollen, und die Löhne werden nicht mehr erhöht , sondern kürzt."(60) Diese Entwicklungen führen zur sozialen Spaltung und weil diese Politik für die Reichen immer als unveränderbar erscheint, registrieren wir wachsende Demokratiedefizite. "Mit dem Beginn der sechziger Jahre änderten langsam aber stetig die Produktionsbedingungen und die Verteilungsstrukturen der Bundesrepublik. .Die Mechanismen, mit denen de Sozialstaat für eine gerechtere Verteilung sorgte wurden Schritt für Schritt zurückgedrängt. An ihre Stelle trat eine Art Marktfundamentalismus, der die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung wieder deutlich verstärkte...Diese Entwicklung bleibt nicht folgenlos. Sie gefährdet unsere Demokratie."(12)
Richtig ist aber auch: dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung von einer wohlhabenden Minderheit nachhaltig auf der Nase herumtanzen lässt. "die Empörung des Volkes schwillt bei politischen und gesellschaftlichen Skandalen schnell an und ebenso rasch wieder ab. Mangelnde Verläss-lichkeit und Beständigkeit sind nicht nur der selbst ernannten deutschen Eliten, sondern auch charakteristisch für die Stimmung des Volkes. "(8) Diese Verlässlichkeit ist nur durch organisierten Protest dauerhaft zu entwickeln, wie gleichermaßen auch die Aufklärung über die neoliberale Ideologie den Zusammenschluss und ein arbeitsteiliges Vorgehen der Kritiker unterstellt. Es sind uns aber - siehe oben - eben auch der Großteil unserer Organisationen - Gewerkschaften, Parteien, Bildungs- und Kulturvereinigungen - wenn nicht enteignet, so doch mindestens ideologisch neutralisiert worden. Es ist daher schwierig, mit radikalem Neubeginnen sogleich die unverfälschte Sprache des vorhandenen Interessen- oder Klassengegensatzes undogmatisch wieder zugewinnen, als auch die unbedingte Verlässlichkeit und Verbindlichkeit innerhalb einer pluralistischen Opposition zu entwickeln.
Und dennoch: Die Idee eines radikalen Kurswechsel und eine politische Alternative für Deutschland gewinnt an Dynamik. "Wenn die SPD auf Schröder Kurs bleibt und die "Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit" bei den nächsten Wahlen antritt, dann werden sich Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitglieder entscheiden müssen, ob sie ihrer Organisation oder ihrer Überzeugung treu bleiben wollen. Die Wahlalternative vertritt nämlich in der Wirtschaft- und Sozialpolitik ein Programm, das sich nicht nur mit der langjährigen SPD-Programmatik, sondern auch über weite Strecken wörtlich mit den Vorschlägen der deutschen Gewerkschaften deckt (...) Spätestens nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, im Mai 2005, muss die Entscheidung fallen. (...) Wenn die Schröder/Müntefering- SPD den Bundestageswahlkampf mit dem zündenden Motto "Wählt uns, die anderen sind noch schlimmer" führen will, dann wäre es doch besser für unsere Demokratie, wenn eine neue Partei antritt, die einen grundsätzlichen Politikwechsel will." (166)
Nach und nach treten Personen des politischen Lebens mit einer Abrechnung des vorherrschenden Neoliberalismus der deutschen Eliten an die Öffentlichkeit . Nach Heiner Geißlers "Wutanfall" nun die "Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft" des Oskar Lafontaine. Er fragt nach einer "neuen Partei im Eintopf des Neoliberalismus (164)".
Die Antwort lautet: Die wählbare Alternative existiert. Die Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative", hervorgewachsen aus einem breit angelegten Diskussions- und Verständigungsprozess seit Mitte 2004, tritt schon bei den Landtagswahlen in NRW an. Die Erfahrungen aus dem Landtagswahlkampf werden helfen die Herausforderungen im Bundeswahlkampf zu lösen.
Joachim Bischoff/Björn Radke
Das Buch ist erschienen beim Econ-Verlag und kostet 19,95 €