Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Neuer Mut

Christine Buchholz

Fast 5000 Menschen (nach Angaben der Veranstalter) nahmen vom 21.-24. Juli in Erfurt am ersten Sozialforum in Deutschland teil, das in der Tradition des Weltsozialforums und der Europäischen Sozialforen Menschen und Gruppen verschiedenster politischer und religiöser Herkunft einen Raum für Diskussionen geboten hat.

Die Themen Arbeit, Globalisierung, Frieden und sozialer Widerstand standen im Mittelpunkt der 250 Konferenzen, Seminare und Workshops. In einer gemeinsamen Demonstration drückten die Teilnehmer ihren gemeinsamen Protest gegen Sozialabbau, Rassismus, Krieg und Umweltzerstörung aus.
Auf der Versammlung der sozialen Bewegungen im Anschluss an das Forum haben die Teilnehmer weitere Verabredungen für den gemeinsamen Widerstand getroffen.

Zersplitterung überwinden

Die Einheit der Aktiven aus den sozialen Bewegungen war ein zentrales Moment des Sozialforum. Das Sozialforum konnte so einiges dazu beitragen die Zerfaserung der Bewegungen in Folge des Niedergangs der Hartz IV Proteste überwinden und die Kräfte für weitere Aktivitäten bündeln.

Fünf Jahre nach den Protesten von Seattle, nach den Aufs und Abs der Bewegungen gegen die internationalen Institutionen wie WTO und IWF, den Sozialabbau in Deutschland, Krieg und Besatzung im Irak und in Palästina konnten die Aktiven der unterschiedlichen Bewegungen offen und ernsthaft über ihre Alternativen und Strategien diskutieren.

Neben vielen verschiedenen Initiativen, Organisationen und Gruppierungen sind die Gewerkschaften zu einem wichtigen Bestandteil des Sozialforums geworden. Von Frank Bsirske über Horst Schmitthenner bis zur betrieblichen Linken haben sich Gewerkschafter in die Diskussionen eingeschaltet und sind ein nicht mehr wegzudenkender Teil der Bewegungen geworden. Es verfestigte sich zudem der Eindruck ,dass der überwiegende Teil der Teilnehmer die wichtige Rolle der Gewerkschaftsbewegung im Prozess gesellschaftlicher Veränderung anerkennt.

 

Greifbarer Internationalismus

Der Erfolg der französischen und niederländischen Kampagnen gegen die EU-Verfassung und der Protest gegen den G8-Gipfel in Gleneagles (Schottland) haben die Stärke unserer Seite gezeigt. Dieser Optimismus prägten das Sozialforum genauso wie die internationalen Gäste aus Brasilien, Rumänien, Russland, Griechenland und weiteren Ländern.

Das Sozialforum fußt auf der Überzeugung, dass Alternativen zur neoliberalen Globalisierung nur von den internationalen Bewegungen erkämpft werden können und international durchgesetzt werden müssen.
Durch die Europäischen Sozialforen sind inzwischen Verbindungen entstanden, die es ermöglichen, auf verschiedene Weise zu kooperieren, sich zu unterstützen und voneinander zu lernen. Dies wird in Zukunft für die Abwehr der Dienstleistungsrichtlinie, der Arbeitszeitrichtlinie und der weiteren Militarisierung der EU wichtig sein.

 

Alternativen sichtbar

Das Sozialforum diskutierte über konkrete Reformforderungen genauso wie über gesellschaftliche Alternativen. Moema Miranda, Mitorganisatorin des Weltsozialforums aus Brasilien, forderte ein, wieder über Alternativen zum Kapitalismus und über Sozialismus zu diskutieren. Diese Anregung haben viele Teilnehmer aufgenommen. Viele gut besuchte Veranstaltungen beschäftigten sich mit Alternativen zum Kapitalismus, dem Scheitern des Ostblocks und der Revolution 1989.

 

Das Gespenst des neuen Linksbündnisses

Auch wenn Parteien nicht offizieller Teil des Sozialforums sein können – so ist es in der Charta von Porto Alegre festgeschrieben – war das sich anbahnende Linksbündnis allgegenwärtig.

Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierte Veranstaltung „Guten Morgen Gespenst! Annäherungen an das jähe Erscheinen eines Parteiprojektes“ war mit 3-400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine der bestbesuchten Veranstaltungen auf dem Sozialforum. Dort diskutierten Aktive aus den sozialen Bewegungen mit Vertretern von WASG und Linkspartei über die Chancen und Probleme des neuen Linksbündnisses.

Aber auch in vielen anderen Veranstaltungen wurde über die inhaltlichen Anforderungen an das Linksbündnis gesprochen. Viele Aktive sehen in dem Linksbündnis die Chance, den sozialen Widerstand mithilfe des Linksbündnisses weiter in der Bevölkerung zu verankern.

Mit der Erklärung der Versammlung sozialer Bewegungen formulierten die anwesenden Kräfte einen Forderungskatalog, der auch als Anforderung an die Parteien im Bundestagswahlkampf verstanden wird. Die internationalen Gäste wünschten der Linken viel Erfolg für die Wahl. Dem Abschneiden der Linkspartei in Deutschland wird von den Aktiven der europaweiten globalisierungskritischen Bewegung eine ähnliche internationale Bedeutung zugesprochen wie den Referenden über die EU-Verfassung.

 

Neue Impulse für Widerstand

Am 5. September wollen verschiedene Bewegungen und Kampagnen mit einem dezentralen Aktionstag in den Wahlkampf eingreifen. Der nächste entscheidende Termin für den außerparlamentarischen Widerstand wird aber die Aktions- und Strategiekonferenz am 19./20. November darstellen. Organisiert von Teilen der Gewerkschaften, Attac und verschiedenen sozialen Bewegungen soll sie Schritte für die Gegenwehr gegen die zu erwartenden Angriffe (Mehrwertsteuererhöhung, Aushöhlung des Kündigungsschutzes etc.) der neuen Bundesregierung planen.

Erste Verabredungen für einen breiten Protest zum G8-Gipfel in Heiligendamm im Juli 2007 wurden getroffen, im Februar soll ein erstes Vorbereitungstreffen stattfinden.

 

Schwächen überwinden

Die Bilanz ist erfreulich, aber es sind einige Schwächen sichtbar geworden. Die Zerfaserung der Kräfte in den letzten Monaten hat sich auch in der Mobilisierung niedergeschlagen. Viele der beteiligten Organisationen und Verbände haben zwar geholfen, das Sozialforum vorzubereiten, sie hätten aber noch mehr tun können, um mehr Menschen hinzubringen. So war die Mobilisierung durch Gewerkschaften, Attac, Linkspartei (PDS) und WASG u.a. recht schwach. Viele Beteiligte kamen auf eigene Faust nach Erfurt. Für die Abwehr weiterer sozialer und politischer Angriffe nach der Bundestagswahl wird es wichtig sein, die Schlagkraft der Gegenwehr zu erhöhen, mehr Kräfte einzubinden und die beteiligten Kräfte besser zu mobilisieren.

 

Tipps:

Der auf dem Sozialforum uraufgeführte Dokumentarfilm von Martin Keßler „Neue Wut“ über die sozialen Proteste in Deutschland und das Entstehen einer neuen Linken war einer der Höhepunkte des Sozialforums. Der Film kann bestellt werden www.neuewut.de.
· Die Erklärung der Versammlung sozialer Bewegungen und Pressemeldungen zum Sozialforum sind zu finden unter www.sozialforum2005.de

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