Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
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Erfolg, aber keine Entwarnung

Eine Bilanz des Europäischen Rates in Brüssel 22.-23. März 2005


Von Christine Buchholz

 

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben am 23. März in Brüssel die Bolkestein-Richtlinie abgelehnt. Das ist ein erster Sieg für die europäischen sozialen Bewegungen.

Der Richtlinienentwurf des ehemaligen EU-Kommissars Bolkestein war ein wichtiger Bestandteil der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zum neoliberalen Umbau in Europa.

Sein Zweck war, die Dienstleistungsfreiheit in der EU weiter voranzutreiben. Das Herkunftslandprinzip sollte im Dienstleistungsbereich ausgeweitet werden.

Im Herbst hatte Gerhard Schröder die Richtlinie mit den Worten verteidigt, von ihr würden in Deutschland „Millionen Unternehmen profitieren“. Wirtschaftsminister Clement lobte sie als „Wachstumsmotor“.

In Wirklichkeit hätte die Richtlinie bedeutet, dass die Anbieter von Dienstleistungen ausschließlich an die Lohn- und Arbeitsschutzstandards ihrer Herkunftsländer gebunden wären. Lohn- und Sozialdumping wären die Folgen gewesen.

Die europäischen Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen Europas hatten vor dieser Entwicklung gewarnt und Proteste organisiert. Jetzt haben sie gewonnen, denn Neoliberalismus ist unbeliebt in Europa.

Die europäischen Regierungen reagieren auf den großen Unmut über ihre Politik und eine stärker werdende Kritik an der EU. Darum haben sich einige Politiker gegen die Bolkestein-Richtlinie gestellt, obwohl sie ansonsten zu den Verfechtern der Liberalisierung von Dienstleistungen gehören.

Die stärksten Kritiker der Richtlinie in Brüssel waren Schröder und Chirac. Beide sehen sich einer wachsenden Mobilisierung gegenüber.

Schröder ist es zwar gelungen, die Gewerkschaften in Deutschland zu bremsen, was den Widerstand gegen die Agenda-2010-Politik angeht. Gegen Bolkestein legten die Gewerkschaften aber mit 8 - 10.000 Teilnehmern bei den Protesten in Brüssel die größte Mobilisierung zu einem internationalen Protest seit langem hin. Angesichts dieses Zeichens der Wut und der katastrophalen Umfragewerte der SPD forderte Schröder, dass die Richtlinie „grundlegend überarbeitet“ werden müsse.

Chirac treibt die Angst, dass am 29. Mai – dem Tag des Referendums über die EU-Verfassung – die Gegner der Verfassung gewinnen und damit das ganze Projekt scheitert. Seine Angst ist berechtigt, denn die Gegner der EU-Verfassung konnten in den letzten Wochen an Boden gewinnen.

Zwei Umfrageinstitute veröffentlichten kurz vor dem Gipfel neue Zahlen, wonach die Gegner inzwischen 51 bzw. 52 Prozent der Bevölkerung hinter sich haben. Anfang März hatten die Verfassungsgegner nur 40 Prozent Zustimmung.

Die französische Regierung sieht sich wachsender Unzufriedenheit gegenüber, die sich Anfang März in großen Protesten von Gewerkschaften und Schülern Bahn gebrochen hat. Der Widerstand zwang die Regierung bereits zu Verhandlungen über Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst und zu einem Gesetz, das die Arbeitnehmer stärker an den Gewinnen der Unternehmen beteiligt.

Die Aufgabe von Bolkestein war der Preis, den Chirac zu zahlen bereit war, um ein „Ja“ zur EU-Verfassung zu bekommen. Ob dieser Plan aufgeht, ist fraglich, denn die Gegner der Verfassung können seinen Rückzieher als Erfolg und Ermutigung werten.

Die Angriffe auf den Sozialstaat sind aber trotz des Erfolgs nicht beendet. Sowohl der EU-Ratsvorsitzende Juncker als auch der EU-Kommissionspräsident Barroso haben angedeutet, dass das Scheitern von Bolkestein nicht die weitere Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes aufhalten wird.

Mit der EU-Osterweiterung ist beispielsweise die Dienstleistungsfreiheit für Firmen bereits beschlossen. Sie erlaubt in Osteuropa ansässigen Firmen, zu heimischen Bedingungen Dienste in der EU anzubieten. Das bedeutet Billigarbeiten auf Baustellen und in Schlachthöfen in Deutschland, wie in den letzen Wochen viele Medien berichtet haben.

Diese Billigarbeit entspricht der Zielrichtung der so genannten „Lissabonstrategie“ von 2000, nach der die EU bis 2010 zur „wettbewerbsfähigsten Region der Welt“ gemacht werden soll.

Um das zu erreichen, wollen die europäischen Herrschenden die Politik der vergangenen 5 Jahre fortsetzen. Dazu gehören weitere Privatisierungen, die Durchsetzung von Billiglöhnen wie mit Hartz IV und systematischer Sozialabbau.

Wenn die EU-Regierungen erklären, dass die einzelnen Mitgliedsländer mit „nationalen Aktionsplänen“ ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern sollen, dann ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichts Gutes zu erwarten.

Die europäischen Regierungen hängen an ihrer Verfassung und an der neoliberalen Umgestaltung Europas, da sie sich in der globalen Konkurrenz steigende Gewinne für ihre Konzerne erwarten. Dass sie damit die Kluft zwischen Arm und Reich innerhalb der EU und innerhalb einzelner Länder vertiefen, spielt für sie keine Rolle.

Zudem treiben sie die Militarisierung der EU voran. Wichtige Bestandteile des EU-Verfassungsentwurfes sind der Zwang zur Aufrüstung und die Einrichtung einer Europäischen Armee von 60.000 Soldaten bis 2010.

Diese und andere Maßnahmen sollen von einer „Europäischen Verteidigungsagentur“ überwacht werden. Der SPD-Politiker und EU-Kommissar für Industriepolitik, Günter Verheugen, hat es auf den Punkt gebracht, was das strategische Ziel der EU ist: „…dass sich Europa etablieren muss als eine Weltmacht, die einen Gestaltungsanspruch erhebt, (…) die ihre Interessen und ihren Gestaltungswillen bei der Lösung globaler Probleme notfalls mit robusten Mitteln schützen kann.“

Darum muss der Widerstand auf drei Ebenen weitergehen:

  1. Weitere Gegenwehr gegen die EU-Verfassung und Richtlinien wie Bolkestein ist nötig. Dies können Kampagnen wie in Frankreich und anderen Ländern gegen die EU-Verfassung, aber auch Kampagnen gegen konkrete Maßnahmen der EU sein.
  2. Wir brauchen Proteste gegen die Umsetzung der EU-Prinzipien vor Ort wie zum Beispiel Widerstand gegen Privatisierungen, gegen Arbeitszeitverlängerung, gegen den weiteren Abbau des Sozialstaats.
  3. Die weitere Vernetzung der Bewegungen in Europa und der Welt ist äußerst wichtig. Nur wenn wir über Grenzen hinweg für höhere Lohn- und Sozialstandards kämpfen, können wir der Konkurrenz untereinander entgegensteuern, die der EU-weite Wettbewerb verschärft.

Konkret heißt das für uns, in Deutschland ein klares Nein zur EU-Verfassung zu verlangen und die Schröderregierung weiter unter Druck zu setzen. Dabei kommt dem Wahlkampf in NRW eine zentrale Rolle zu, da die WASG dort erstmalig zeigen kann, dass es in der Bundesrepublik eine für breite Kreise wählbare politische Alternative zum Neoliberalismus gibt.

Das Sozialforum in Deutschland im Juli in Erfurt und auch das nächste Europäische Sozialforum in Athen im Frühjahr 2006 werden wichtige Orte des Austausches und der grenzüberschreitenden Vernetzung gegen das neoliberale Europa werden.

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