Beteiligungsorientierte Migrations- und Integrationspolitik
Der Bundesvorstand hat folgende Positionsbestimmung zur Migrations- und Integrationspolitik beschlossen. Wie bei allen programmatischen Debattenbeiträgen ist dies eine Einladung und Aufforderung zur breiten Diskussion durch die Gliederungen der Partei.
Partei Arbeit & Soziale Gerechtigkeit
- die Wahlalternative
Die Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG) setzt sich dafür ein, dass Zuwanderung und Integration von MigrantInnen als eine politische Gestaltungsaufgabe verstanden wird. Daher lehnt die WASG eine diskriminierende und ausgrenzende Ausländer- und Asylpolitik ab und will ein grundlegendes Umdenken im politischen Handeln anstoßen. Die angemessene Reaktion auf die derzeitige Zuwanderungssituation in unserem Land ist, neben dem Kampf um die Neugestaltung und Ausbau der Sozialstaatlichkeit, die Gestaltung einer demokratischen Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Nicht die Einwanderer sind das Problem, sondern die Verweigerung von etablierten Parteien, Migrationprozesse als aufbauendes Moment gesellschaftlicher Entwicklung zu sehen.
1. Aktive Integrations-, Zuwanderungs- und Minderheitenpolitik.
Heute leben etwa 7 Millionen Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Die meisten von ihnen sind, aufgrund des Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisverfahrens staatlichen und unternehmerischen Verunsicherungen, Diskriminierungen und Repressionen ausgesetzt. Wenngleich die Anzahl der Migrantinnen und Migranten in Deutschland stagniert, bleibt ihre gesellschaftliche Lage in den Bereichen von Arbeit, Wohnen, Freizeit etc. marginalisiert. Die WASG setzt sich für eine nachhaltige Nichtdiskriminierungspolitik und für die Verabschiedung eines Nichtdiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetzes ein.
Es reicht nicht, wenn sich deutsche Wirtschaft, Sozialversicherungssysteme, Bevölkerung und Politik zaghaft zu einem Einwanderungsland bekennen. Was wir brauchen, das ist eine staatlich initiierte, gestützte, beteiligungsorientierte und aktiv vorangetriebene Integrations-, Zuwanderungs- und Minderheitenpolitik. Wir treten dafür ein, dass Zeitpunkt, Richtung und Umfang der Migration nicht nur nach den Bedürfnissen der kapitalistischen Metropolen verläuft.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der die eingewanderten Menschen die gleichen Lebens- und Beschäftigungschancen bekommen wie die einheimische Bevölkerung. Alle staatlichen oder staatlich geförderten Angebote der Beratung und Hilfe sowie des Leistungsbezuges, der Krankenversorgung oder der bürgerbezogenen Verwaltung müssen auch für Zuwandererversorgung geöffnet und qualifiziert werden.
Die Regelversorgung ist durch spezielle Beratungsangebote - unter Beteiligung von Sachverständigen mit Migrationhintergrund - zu ergänzen und deren interkulturelle Kompetenz zu fördern.
Die Lebenssituation von Flüchtlingen muss verbessert werden. Die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, die Reduzierung der Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind abzuschaffen.
Das derzeit geltende Zuwanderungsgesetz ist für die Bewältigung dieser Herausforderungen nicht ausreichend. In diesem Zusammenhang halten wir es auch für notwendig, dass ein Niederlassungsrecht geregelt werden muss, welches den Zuwanderergruppen für eine vernünftige Lebensplanung Rechtssicherheit möglich macht. Unbefristetes und vom Bleibegrund unabhängiges Niederlassungsrecht nach einer angemessenen Aufenthaltsdauer schafft Perspektiven für eine vernünftige Lebensplanung. Gleichzeitig muss der gesellschaftlichen Realität des Einwanderungslandes durch die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes Rechnung getragen werden. Die Hinnahme der Mehrstaatlichkeit ist ein Grundpfeiler eines modernen Staatsangehörigkeitsrechtes. Doppelte Staatsangehörigkeit kann zwischen den Staaten bilateral geregelt werden und muss nicht notwendigerweise zu mehr Problemen führen.
2. Fortschrittliche Integrationspolitik braucht Chancengleichheit
Integration ist mehr als der Erwerb von Sprachkenntnissen. Spracherwerb ist zwar der Schlüssel für Integration. Integration ist aber vor allem umfassende Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen und betrieblichen Leben. Die bisherige nationalstaatliche Regulierung von Migrationprozessen war alles andere als integrationsorientiert. Die Migrantinnen und Migranten und ihre Familien waren einerseits eine Quelle sozialstaatlicher Verteilungsspielräume und wohlfahrtsstaatlichen Nutzens, andererseits aber wurde ihre demokratische Teilhabe in vielen Lebensbereichen beschränkt.
Die Migrantenbevölkerung hat nur geringe Möglichkeiten auf staatsrechtlich verur-sachten Benachteiligungen Einfluss zu nehmen. Die Wahlalternative will daher die Chancengleichheit - auch die politische Repräsentation - von Migrantinnen und Migranten erhöhen, in dem sie ihnen direkte Beteiligungschancen ermöglicht. Dafür ist es notwendig, dass die soziale Integration als eine gesetzliche Aufgabe definiert und als solche umgesetzt wird.
Zur Steigerung der Chancengleichheit ist neben der Gewährung von politischen Partizipationsrechten, die unmittelbare Beteiligung der Selbstorganisationen der Migran-tinnen und Migranten sicherzustellen. Die WASG lehnt Formen einer Stellvertreterpolitik ab und setzt sich für die gezielte Förderung der demokratischen Interessenvertre-tungen der Migrantinnen und Migranten ein.
Die Migrantinnen und Migranten werden nach wie vor als Instrumente der Wohlstandssteigerung der Mehrheitsbevölkerung angesehen und stellen in der öko-nomischen Krise für viele ein Problem dar. Ihnen bleibt die Anerkennung als gleichberechtigte Gesellschaftsmitglieder versagt. Gleichstellung und Gleichberechtigung sind aber Voraussetzungen für eine gelungene Integration. Die Wahlalternative ist der Überzeugung, dass ohne reale und gleichberechtigte Beteiligung von Migrantin-nen und Migranten in allen Lebensbereichen eine Integration nicht gelingen kann
Die WASG tritt für Integration und nicht Assimilation ein. Wir wollen Chancengleichheit für alle, unabhängig von nationaler, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit. Wir wollen die Sorgen und Probleme der Migrantenbevölkerung als einen wesentlichen Bestandteil unserer Politik ins Parlament hineintragen und hier konkrete Lösungskonzepte einfordern.
Integrationsfeindlich sind nicht nur staatliche Regelungsmechanismen, sondern auch und vor allem wohlstandschauvinistische, nationalistische, rechtsextremistische und rassistische Tendenzen, Haltungen und Praktiken in unserer Gesellschaft. Die Wahlalternative wird daher mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln solche Tendenzen und Praktiken in Betrieben, Politik und Gesellschaft bekämpfen.
3. Kein Mensch ist illegal
Das neue Zuwanderungsgesetz ist in seinem Kern ein Begrenzungs- und Sicherheitsgesetz. Es dient überwiegend zum Schutz der deutschen Bevölkerung vor einer weiteren quantitativ bedeutenden Zuwanderung und vor vermeintlichen Gefahren, die mit Migrationprozessen in Verbindung gebracht werden. Der Anwerbestopp von 1973 wurde beibehalten.
Asyl wird zwar nach dem neuen Gesetz auch Flüchtlingen gewährt, die nicht staatlich oder geschlechtspezifisch verfolgt sind und an Leib und Leben von ihren Heimatstaaten nicht geschützt werden. Der nach Genfer Flüchtlingskonvention längst fällige Schutz nicht staatlich Verfolgter wird jedoch durch Drittstaatenregelung relativiert. Daher haben immer weniger Flüchtlinge eine Chance, in Deutschland bleiben zu können, weil Deutschland von Schengenstaaten umgeben ist. Nach den Plänen des Bundesinnenministers Schily sollten sogar bereits in Nordafrika Flüchtlingskamps eingerichtet werden.
Auch die Lage der „geduldeten“ Ausländer wird sich nach dem neuen Zuwande-rungsgesetz nicht wesentlich verbessern; sie haben keinen oder nur einen geringen Zugang zum Arbeitsmarkt. Kettenduldungen sind nicht abgeschafft, Abschiebungen sind an der Tagesordnung. In dem neuen Zuwanderungsgesetz wurde das Thema „illegale Zuwanderung“ nicht einmal aufgegriffen, obwohl in Deutschland eine große Zahl von Menschen „illegal“ lebt. Sie werden oft mit Kriminellen gleichgesetzt. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, dass sich manche Arbeitgeber durch die Ausbeutung der „Illegalen“ Wettbewerbsvorteile schaffen, Lohndrückerei betreiben und Steuern hinterziehen.
Die WASG setzt sich dafür ein, dass der Art. 16 GG - Recht auf Asyl - das Kernelement eines demokratischen Staates ist. Wir wollen, dass die Kettenduldungen abgeschafft werden. Wir wollen, dass die Duldung in eine reguläre Aufenthaltserlaubnis umgewandelt wird, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Wir wollen, dass Menschen durch ihre eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ohne auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Wir werden uns einsetzen für Amnestien der „Illegalen“, die nicht gegen Recht und Gesetz verstoßen haben. Kein Mensch ist illegal!
4. Für einen modernen Rechtsstaat und eine pluralistische Gesellschaft
Die Mehrheit von Migrantinnen und Migranten bleibt von der Nation ausgeschlossen, weil das Staatsverständnis der nationalen Homogenität in Deutschland nicht an Wirkungsgrad verloren hat. Die WASG setzt sich dafür ein ,ein, dass die in dem Grundgesetz geschützten individuellen Freiheiten, z.B.z.b. wie die Freiheit der Weltanschauung, des religiösen Bekenntnisses das Fundament eines modernen freiheitlichen Verfassungsstaates bilden. Wir bekennen uns zu kultureller Vielfalt in Deutschland. Deutschland ist ein Einwanderungsland mit einem multi-ethnischen Staat und einer pluralistischen Kultur. Die Werte des demokratischen Verfassungsstaates sind Richtschnur für alle Bevölkerungsgruppen in Deutschland.
Die Kultur des heutigen Deutschlands ist die Gesamtheit der Kultur von allen seinen Bürgerinnen und Bürgern, unabhängig von nationaler, ethnischer, kultureller oder religiöser Zugehörigkeit. Es gilt diese kulturelle Vielfalt mit allen beteiligten Bevölkerungsgruppen gemeinsam demokratisch zu gestalten.
Die WASG setzt sich daher für die Akzeptanz von kultureller Vielfalt und Verschiedenheit unter allen Bevölkerungsgruppen ein und fördert diese nach Möglichkeiten.
5. Schule und Bildung für Migrantenkinder
Tatsache ist, dass Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien objektiv schlechtere Ausbildungschancen in Deutschland haben. Die Ursachen dieser Bildungsmisere sind vielfältig und beginnen für viele schon in vorschulischer Zeit. Der Anteil der Migrantenkinder unter den Haupt- und Sonderschulabsolventen ist überproportional hoch und sie werden von RealschülerInnen und Abiturienten verdrängt.
Die Lage der Jugendlichen mit Migrationhintergrund, die nach einem Ausbildungsplatz suchen, ist katastrophal. Die Feststellung, dass viele Kinder und Jugendliche mit Migrationhintergrund inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit hätten und somit formal gleichberechtigt seien, ist wenig aussagekräftig. Fakt ist, dass solche Kinder und Jugendliche schon alleine wegen ihrer (sozialen oder ethnischen) Herkunft oder wegen ihres auffällig abweichenden Aussehens gegenüber „deutschen“ Mitbewerbern und -bewerberinnen nur geringe Chancen haben. Die WASG tritt für die Beseitigung dieser Bildungsmisere für Kinder und Jugendliche mit Migrationhintergrund ein.
Für den Zugang zu Ausbildung und damit zu qualifizierter und sicherer Erwerbstätigkeit hat formale Schulabschluss eine zentrale Bedeutung. Daher fordern wir gezielte Förderprojekte für Schülerinnen und Schüler mit Migrationhintergrund. Das deutsche Schul- und Ausbildungssystem muss so reformiert werden, dass benachteiligte Schülerinnen und Schüler bzw. Auszubildende gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten zur Schule und Ausbildung bekommen.
Viele Personen mit anderer Staatsangehörigkeit oder mit Migrationhintergrund fristen im erwachsenen Alter häufig in an- und ungelernten Tätigkeiten ihr Dasein. Deshalb sind sie stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Wir werden in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen eine Qualifizierungsoffensive starten mit dem Ziel, Migrantinnen und Migranten zu qualifizierteren und somit sicheren Arbeitsplätzen zu verhelfen.
6. Kampf gegen Rassismus und Migrantenfeindlichkeit
Migrantinnen und Migranten und ethnische Minderheiten werden oft als etwas „Fremdes“ wahrgenommen und für die gesellschaftlichen Verunsicherungen und Bedrohungen verantwortlich gemacht. Diese Art von Politik verdrängt die eigene Machtlosigkeit von etablierten Parteien und dient ihre bisherige Handlungsbasis aufrecht zu erhalten. Dies führt zur Spaltung der Bevölkerung, entsolidarisiert sie und mindert ihren gesellschaftlichen Einfluss.
Rassismus ist kein gesellschaftliches Randphänomen, sondern geht vom Zentrum der Gesellschaft aus. Ausgrenzung und Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten wurzeln in den herrschenden Produktions-, Eigentums- und Machtverhältnissen und bestimmen das politische System im wiedervereinigten Deutschland.
Die WASG verabscheut populistische Kampagnen gegen die Einwanderer: Wir sind für demokratische Partizipation von Migrantinnen und Migranten in jedem Lebensbereich. Wir brauchen keine Dominanzkultur, sondern wir bejahen die kulturelle Vielfalt. Ein Grundpfeiler unserer Politik ist die Vision von einer solidarischen Gesellschaft, in der jeder Mensch sich frei entfalten kann.