Kinder, Familie und Rente
Von Michael Schlecht
CDU und SPD wetteifern um Ideen für bessere Kinderbetreuung, für mehr Krippenplätze. Jedoch wird zu kurz gesprungen. Auch 750.000 Krippenplätze sind nichtbedarfsdeckend. Und in den Kitas ist noch viel zu tun. Der entschiedene Ausbau von Gemeinschaftsschulen mit deutlich mehr Lehrern ist in weiter Ferne. Das Hauptproblem der großen Koalition ist ungelöst: Woher die vielen Milliarden nehmen? Kein Wunder wenn CDU und SPD seit Jahren Steuermilliarden an Reiche und Konzerne verschenken. So auch aktuell: Bis 2012 sollen 30 Milliarden an Aktiengesellschaften und GmbHs verschenkt werden. Es ist klar: Eine Politik für unsere Kinder, für die Familien, für unser Land erfordert eine Umkehr in der Finanz- und Steuerpolitik. Sonst bleibt alles bestenfalls Flickwerk oder Verschiebebahnhof.
Die Kurzsichtigkeit der großen Koalition ist aber überall anzutreffen. Welchen der kinder- und familienbewegten CDU-Abgeordneten, gar der Ministerin von der Leyen, ist klar, dass sie mit der beschlossenen Rente 67 gegen ihre erklärten hohen moralischen Werte verstoßen? Welchen der SPD-Abgeordneten, insbesondere den „SPD-Linken“ ist klar, dass durch Rente mit 67 die Freiheit junger Leute, sich für Kinder zu entscheiden, weiter eingeschränkt wird?
Rente mit 67 ist ein weiterer Schritt zur Verarmung im Alter. Denn viele halten nicht durch. Schichtbeschäftigte ab 50 kommen regelmäßig „auf dem Zahnfleisch in die Bude“. Zwei Drittel der Beschäftigten gehen heute vor 65 in Rente. Und das heißt: Abschläge! Umso mehr, wenn es die Rente erst mit 67 gibt. Wer mit 63 geht, hat dann eine lebenslange Rentenkürzung von 14,4 Prozent. Ein anderer Schritt zur drohenden Verarmung im Alter ist der „Nachhaltigkeitsfaktor“. Er wird bewirken, dass es in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren kaum Rentenerhöhungen geben wird.
„In 25 Jahren“ so der Renten„experte“ Miegel „wird jeder zweite Rentner eine Rente in Höhe von Hartz IV bekommen.“ Man muss kein Freund von Professor Miegel zu sein; aber die Gefahr beschreibt er richtig. Und die Menschen spüren das, ahnen, dass in der Zukunft große Gefahren drohen. Und die Rente mit 67 verstärkt diese Zukunftsangst. Und dann „Ja“-Sagen zum Kinderwunsch?
Es erfordert ja ohnehin schon viel Mut, sich heute für Kinder zu entschieden. Kinder sind das Armutsrisiko Nummer 1. In vielen Branchen, in vielen Betrieben wird nur noch befristet eingestellt. Und dann auch häufig nur in Teilzeit. Besonders Frauen sind hiervon betroffen. Viele junge Leute hangeln sich von einem Praktikum zum nächsten. Seitdem Rot-Grün die Leiharbeit 2002 „dereguliert“ hat, kam sie bei Unternehmern richtig in Mode. Und Unternehmer erwarten den flexiblen Beschäftigten. Der sich für die Firma verbiegt. Immer länger macht, wenn viel zu tun, immer da ist, wenn er oder sie gebraucht wird. Mit Kindern passt das schlecht zusammen. 24-Stunden-Kitas sind noch nicht besonders verbreitet. Wohl auch nicht besonders erstrebenswert.
Und jetzt auch noch die Perspektive des Arbeitens bis 67. Für viele bis zum Umfallen. Alle, die heute jünger als 45 sind werden davon betroffen sein. Nicht die jetzt schon Alten! Auch so eine der Verdrehtheiten: Rente mit 67 soll der Generationengerechtigkeit dienen; heißt es. Glatte Volksverdummung. Und die Jungen, die darauf hereinfallen applaudieren der Verschlechterung ihrer eigenen Lebensbedingungen. Und vor allem: In dem Maße, in dem tatsächlich länger gearbeitet wird, werden Jobs für die Jungen fehlen; ein bis drei Millionen Arbeitsplätze. Die Lebensunsicherheit für junge Menschen, die eine Familie gründen wollen, werden wachsen. Da möchte man fragen: „Liebe Frau von Leyen, haben sie das auch bedacht als sie Ja gesagt haben zur Rente mit 67? Wir wünschen viel Erfolg in ihrer eigenen Partei bei der Auseinandersetzung um mehr Krippenplätze. Aber ist ihnen bewusst, dass das jungen Menschen, die sich gar nicht erst trauen Kinder zu bekommen, auch nicht weiter hilft?“
Die Antwort der Ministerin ist bekannt. Es ist die Begründung der herrschenden politische Klasse: Rente mit 67 und ausgebremste Rentenanpassungen sind angeblich notwendig wegen der Altersentwicklung der Gesellschaft, der Demografie. Sagt die Regierung. Heute kommen noch knapp vier Erwerbsfähige auf einen über 65-Jährigen. In 30 Jahren werden es nur noch zwei sein. Viele fragen sich: „Wie soll das gut gehen? Ohne Einschnitte?“ Wenn die Menschen immer länger leben und gleichzeitig immer weniger Kinder bekommen, dann scheinen „natürliche“ Sachzwänge den Umbau der Rente, ja der Gesellschaft notwendig zu machen.
Zunächst: demografische Verschiebungen sind überhaupt nichts Neues. Vor 100 Jahren kamen auf einen über 65-Jährigen noch zwölf Erwerbsfähige. 1950 betrug das Verhältnis von Jung zu Alt noch sieben zu eins. Wir haben also bereits einen dramatischen demografischen Wandel hinter uns. Nur gemerkt hat es anscheinend niemand. Wieso konnte der Sozialstaat, die Rentenversicherung in der Nachkriegszeit in einer historisch unvergleichbaren Weise ausgebaut werden? Wieso war das möglich, obgleich eine „demografische Bombe“ explodierte?
Das Geheimnis: Steigerungen der Produktivität. Sie haben den Effekt der demografischen Entwicklung mehr als ausgeglichen. Von jedem und jeder Beschäftigten wurden von Jahr zu Jahr mehr Produkte und Werte geschaffen. Und das bei massiv sinkender Arbeitszeit. Allein in den 60er Jahren war eine Steigerung der Produktivität von mehr als 50 Prozent zu verzeichnen. So fiel die Veränderung des Altersquotienten nicht mehr ins Gewicht.
Auch wenn die zukünftigen Steigerungen der Produktivität deutlich geringer sein dürften als in der Vergangenheit, kann der demografische Wandel aufgefangen werden. 2006 wurde im Durchschnitt je Einwohner bzw. Einwohnerin fast 28.000 Euro Reichtum produziert. Selbst bei einem jährlichen Produktivitätsfortschritt von nur einem (!) Prozent und bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit würde das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung bis 2030 auf 31.500 Euro steigen. Ein Plus von 13 Prozent. Wo ist da eigentlich das Problem?
Die Verteilung ist der Haken! Der wirtschaftliche Erfolg der Steigerung der Produktivität schlägt sich immer zunächst in den Unternehmen durch verbesserte Gewinne nieder. Erst durch höhere Löhne und Gehälter fließen die Produktivitätsgewinne der breiten Bevölkerung zu.
Gelingt es Lohnsteigerungen mindestens in Höhe des verteilungsneutralen Rahmens durchzusetzen, könnten die Beitragssätze über die bis 2030 geplante Marke von 22 Prozent steigen. Mit höheren Löhnen und höheren Beiträgen könnten Beschäftigte und Rentner an der wachsenden Leistungsfähigkeit der Arbeit teilhaben. Genau wie in den 50er, 60er und auch noch 70er Jahren. Der Verzicht auf die Rente mit 67 würde 2030 gerade einmal zu einem um 0,5 Prozentpunkte höheren Beiträge führen.
Die große Koalition hat jetzt das Gesetz zur Rente mit 67 durchgewunken. Der Widerstand aus dem Volk, die massenhafte Proteste, gerade der IG Metall, hat sie nicht davon abgehalten. 300.000 Proteste in der Arbeitszeit werden achselzuckend hingenommen. Die Rente mit 67 offenbart auch ein massives Demokratiedefizit. Die SPD hat sich ja nicht einmal getraut, diesen Schritt auf einem Parteitag beschließen zu lassen. Hinter vorgehaltener Hand hört man den Grund: Das wäre ja nicht gut gegangen.
Das Volk wird von der herrschenden Politik über den Tisch gezogen! Der Kampf geht weiter! Die Rente mit 67 hat eine Besonderheit: Jetzt wurde das Gesetz beschlossen, aber 2012 erst beginnt die Umsetzung. Mindestens die Bundestagswahl 2009 wird im Zeichen der Parole stehen: Weg mit Rente 67! Die Gewerkschaften haben dies schon angekündigt. Und die einzige Partei, die den Kampf gegen die Rente mit 67 ohne Wenn und Aber führt ist DIE LINKE.
Teile der SPD ahnen die strategische Sackgasse, in der sie sich befinden. Sie versuchen den Ausweg mit Erleichterungen beim Renteneintritt, wollen flexiblen Regelungen. Das wird ihnen kaum helfen ihr Ansehen wieder aufzupolieren. Für wie blöd halten die eigentlich die Menschen?
DIE LINKE. wird 2009 mit der Forderung antreten, den Renteneintritt mit 67 wieder rückgängig zu machen. Und wir werden mit Konzepten aufwarten, wie Beschäftigte auch vorzeitig, ohne Rentenabschläge in menschwürdiger Weise aus dem Arbeitsleben ausscheiden können. Damit Oma und Opa auch noch etwas von ihren Enkel haben.
Michael Schlecht ist Mitglied im Bundesvorstand der WASG