Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit
Eine andere Politik ist möglich!

Nervöse Lockerungsübungen

Von Michael Schlecht

Die SPD mit ihrem Frontmann Beck wird immer nervöser. Und macht Lockerungsübungen. Seit März wird der gesetzliche Mindestlohn gefordert. Nachdem gerade Beck diesen immer abgelehnt hatte. Und jetzt will er die Rente mit 67 menschenfreundlich gestalten. Obwohl das Gesetz gerade durchgedrückt wurde. Vorzeitige Ausstiegsmöglichkeiten für Dachdecker und andere belastete Beschäftigte wurden ausdrücklich abgelehnt. Auch von der SPD.

Hinter diesem Zick-Zack-Kurs steckt nicht der „Hang zum Masochismus“, wie das Handelsblatt mutmaßt. Es ist auch nicht das schlechte Gewissen über die eigene Politik. Es ist schlicht die Sorge um die schwindende Zustimmung in der Bevölkerung. Und die wachsende Konkurrenz. Ein fulminanter Erfolg in Bremen hat DIE LINKE. ins erste westdeutsche Landesparlament gebracht. Und die Formierung zu einer Partei steht vor der Tür. Und schließlich: In Meinungsumfragen erhält DIE LINKE. mittlerweile 12 Prozent; mehr als FDP und Grüne.

Immer wieder entsteht in sozialen Kämpfen der frustrierende Eindruck: „Die da oben machen ja doch, was sie wollen.“ So zuletzt auch bei den Protesten gegen die Rente mit 67. Über 300.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter hatten in der Arbeitszeit dagegen protestiert. Letztlich geht das doch nicht spurlos an den Politikern, insbesondere denen der SPD vorbei.

Die Gewerkschaften und DIE LINKE. drohen die nächste Bundestagswahl zur Volksabstimmung über die Rente mit 67 zu machen. Insbesondere die SPD fühlt sich bedroht. Zu Recht. Gleichwohl ist sie Gefangene ihrer eigenen Politik. Aus CDU-Kreisen werden sie ermahnt, dass Rückzugsoperationen ihnen nicht helfen: „Die Menschen wissen, dass die SPD das Gesetz mit beschlossen hat.“ Und ein sozialdemokratischer Arbeitsminister hat die Rente mit 67 überhaupt erst vorangebracht.

Und der Mindestlohn. Knapp sieben Millionen Menschen arbeiten für Niedriglöhne. Was sind die Ursachen? Aufgrund von Massenarbeitslosigkeit und Deregulierung verschlechtere sich bereits in den 1990er Jahren die Tarifbindung und damit auch der Schutz vor Niedrig- und Hungerlöhnen. Unter Rot-Grün wurden dann – unter dem Applaus von CDU/CSU – den Gewerkschaften viele weitere Knüppel zwischen die Beine geworfen. Die entscheidende Fußfessel für die Tarifpolitik ist Hartz IV. Durch den faktischen Fortfall des Zumutbarkeitsschutzes wird massiver Druck auf die Löhne, auf Tarifverträge ausgeübt. Erwerbslose werden gezwungen, praktisch jede Arbeit zu beliebig niedrigen Löhnen anzunehmen. Rot-Grün ist für die Ausweitung der Niedrig- und Hungerlöhne verantwortlich.

Auch die, die heute noch höhere Stundenlöhne haben, werden immer mehr bedroht. Denn die Lohnstrukturen kommen immer mehr ins Rutschen. Aktuelles Beispiel: Telekom. Bei den Telekom-Konkurrenten gibt es zwar Tarifverträge, die von denen der Telekom nicht stark abweichen. Jedoch sind viele Leistungen, vor allem Call-Center outgesourct. Hier wird mit Niedriglöhnen und einem hohen Anteil geringfügig Beschäftigter unter zum Teil skandalösen Bedingungen gearbeitet.

Hartz IV, Minijobs, Leiharbeit und Befristungen, das ist der Nährboden, auf dem selbst Löhne von gerade einmal 1,92 Euro je Stunde möglich wurden. Dieser Nährboden wurde von Rot-Grün mit Unterstützung von CDU/CSU sowie FDP bereitet. Dieser Entwicklung versuchen heute die Gewerkschaften und DIE LINKE. Einhalt zu gebieten. Mit einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn! Schön, dass die SPD da mitmachen will. Auch wenn sie damit gegen die Folgen ihrer eigenen, verfehlten Politik kämpft.

Wie ernst die SPD ihr Eintreten für den Mindestlohn nimmt, ist immer wieder unklar. Einen Eurobetrag gibt die SPD nicht an. Ihre Vorschläge in der Koalitionsarbeitsgruppe laufen auf einen Mindestlohn von nur 6 bis 6,50 Euro je Stunde hinaus. Und wenn man Müntefering hört, scheint er sich lediglich mit Mindestlöhnen in einzelnen Branchen begnügen zu wollen. Erweist sich das Werben für den Mindestlohn letztlich auch nur als Lockerungsübung der SPD?

Michael Schlecht ist Mitglied im Bundesvorstand der WASG
Der Artikel ist zuerst erschienen am 05.06.2007 in der Zeitung "Neues Deutschland"

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