Zum Verhältnis von Linkspartei-Fraktion und außerparlamentarischer Bewegung
Die Wurzeln unseres Erfolgs
Nach dem 18.9. wird aller Voraussicht nach eine linke Fraktion die drittstärkste Kraft im Bundestag sein. Dieses wichtige Signal ist ein Erfolg der Oppositionsbewegung gegen die rot-grüne Regierungspolitik.
Ohne die Proteste gegen Agenda 2010 und die Montagsdemonstrationen hätte es ihn nicht gegeben. Schon die Proteste gegen den Kosovokrieg 1999, die antifaschistischen Massendemonstrationen 2000, die Mobilisierungen der globalisierungskritischen Bewegungen seit Genua 2001 und die Proteste gegen den Afghanistan- und Irakkrieg 2002/3 haben die außerparlamentarische Bewegung wieder belebt.
Doch so richtig es ist, dass der Erfolg der Linkspartei bei den Wahlen und die Dynamik eines neuen Parteiprojektes Produkte dieses außerparlamentarischen Widerstandes sind, so wichtig ist es auch, dessen Schwächen zu begreifen.
Dass die Mobilisierung gegen Hartz IV und die Agenda 2010 nicht weiter getrieben wurden bzw. im Ergebnis erfolglos blieben, hängt stark damit zusammen, dass die Mehrheit in den Gewerkschaften immer noch nicht verinnerlicht hat, dass es die Verschärfung der Konkurrenz im globalen Kapitalismus ist, die dazu führt, dass die Unternehmerseite die Sozialpartnerschaft aufgekündigt hat.
Noch immer herrscht die Illusion, dass ein neuer sozialer Kompromiss hergestellt werden könnte, wenn auch auf etwas niedrigerem Niveau als bisher. Doch bei den Angriffen auf den Sozialstaat handelt es sich um den zukünftigen Normalzustand und sie werden kein Ende nehmen, wenn nicht entschlossene Gegenwehr organisiert wird.
Auch die zwar schwindende, aber immer noch vorhandene Anbindung an die SPD verhindert eine Zuspitzung und Politisierung der gewerkschaftlichen Kämpfe und Auseinandersetzungen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass in Teilen der Gewerkschaften, in vielen Vertrauensleutekörpern, im mittleren ehren- und hauptamtlichen Apparat und auch bei einem kleinen Teil der Spitze eine Umorientierung stattfindet. Die Gründung der WASG ist ein Ausdruck dieses Prozesses.
Ohne die Gründung der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit aus den Protesten gegen Agenda 2010 heraus wäre es nicht gelungen, der dauerhaften Schwäche der PDS in Bezug auf die organisierte Arbeiterbewegung entgegenzuwirken und eine nennenswerte gewerkschaftliche Unterstützung für die Linkspartei zu organisieren. Der Erfolg des Gewerkschafteraufrufs „Wir wählen links“, den über 1500 Gewerkschafter innerhalb weniger Wochen unterzeichneten, belegt dies.
Allerdings ist das Potential erst angekratzt. Es auszuschöpfen ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung des sozialen Widerstands in Deutschland und die massenhafte Verbreitung von Alternativen zum Neoliberalismus.
Abwehrfront aufstellen
Die unsozialen Angriffe werden unter einer rot-schwarzen Regierung ebenso weitergehen wie unter einer schwarz-gelben. Die von Merkel angekündigte Aufweichung des Kündigungsschutzes, die Eingriffe in die Tarifautonomie und die Anhebung der Mehrwertsteuer lassen uns ahnen, was auf die Agenda 2010 noch alles folgen soll. Der Unterschied zwischen eine großen und einer schwarz-gelbe Koalition wird weniger im Inhalt der Maßnahmen, sondern vielmehr in der Wirkung auf die außerparlamentarischen Kräfte bestehen, speziell die Gewerkschaften.
Es ist damit zu rechnen, dass diese Maßnahmen durch weitere Angriffe auf Demokratie und Freiheitsrechte abgesichert werden sollen.
Zugleich werden die Neoliberalen nach dem vorläufigen Scheitern des EU-Verfassungsprozesses auf europäischer Ebene versuchen die „notwendigen“ Maßnahmen häppchenweise durchzuführen: darunter die Dienstleistungsrichtlinie, die Arbeitszeitrichtlinie und die weitere Militarisierung.
Merkel als Kanzlerin wird wahrscheinlich noch mehr Schritte auf die Bush-Regierung zugehen als es die Schröder-Regierung schon getan hat und sich noch weiter in den „Krieg gegen den Terror“ hineinbegeben.
Eine starke Fraktion kann und muss sich dagegen stellen. Sie wird aber nicht ausreichen, um Angriffe abzuwehren. Es wird in allen Bereichen notwendig sein, eine starke außerparlamentarische Opposition zu entwickeln. Es ist Aufgabe der Linkspartei-Fraktion, der gewerkschaftlichen Gegenwehr, der globalisierungskritischen Bewegung, den Erwerbsloseninitiativen, der Friedensbewegung, antirassistischen und antifaschistischen Kräften (etc.) mit parlamentarischen Mittel zuzuarbeiten, um diese Opposition so stark wie möglich zu machen.
Dazu wird die Fraktion Initiativen starten, um eigene Vorlagen in den Bundestag einzubringen. Das könnte eine Vorlage zur Rücknahme von Hartz IV oder zur Einführung eines Mindestlohns oder der Vermögensteuer sein. Es kann auch eine Vorlage zum Rückzug der Bundeswehrtruppen aus Afghanistan sein.
Auch hier ist die Zusammenarbeit mit der außerparlamentarischen Bewegung wichtig, um abzustimmen, an welchen Punkten man gemeinsame Vorstöße machen will.
Ein produktives Verhältnis
Die außerparlamentarische Opposition wird überparteilich sein, da sie zu den unterschiedlichen Anlässen verschiedene Teile aus dem gewerkschaftlichen Noch-SPD-Lager, aus dem grünen Lager oder dem parteiungebundenen Spektrum mobilisieren wird. Sie wird und muss ihre eigenen Themen und Schwerpunkte haben und wird sich nicht als Instrument der Linksparteifraktion einbinden lassen. Das ist auch richtig so.
Wir verkennen auch nicht, dass die Gruppen und Personen der außerparlamentarischen „Bewegung“ und auch die konfliktorientierten Gewerkschafter/innen keinesfalls homogen sind. Aber auch dort finden wichtige Klärungsprozesse statt, die u.a. das Verhältnis zur Linkspartei beinhalten. Wie dieses Verhältnis aussehen wird, hängt jedoch stark davon ab, ob die Linkspartei-Fraktion eine hilfreiche Partnerin sein wird.
Deshalb wird es für unsere Fraktion lebensnotwendig und für die außerparlamentarischen Bewegungen hilfreich sein, wenn es ein Angebot zum Austausch und zur Abstimmung zwischen den beiden gibt.
Wenn die Fraktion kein oder kein ausreichend lebendiges Verhältnis zur außerparlamentarischen Bewegung hat, besteht die Gefahr, dass sich die verschiedenen Abgeordneten in ihren Fachgebieten festbeißen und nicht das Gesamtinteresse der „antineoliberalen Front“ maßgeblich für ihr Handeln ist.
Andererseits brauchen die außerparlamentarischen Bewegungen Leute in den Parlamenten, die die Öffentlichkeit nutzen, den ideologischen Kampf gegen den Neoliberalismus dort führen und so die Selbstaktivität von Menschen gegen Sozialabbau, Krieg und Rassismus etc. fördern.
Dies ist die Aufgabe der Fraktion und nicht die Privatsache einzelner Abgeordneter.
Wir schlagen dazu folgende Maßnahmen vor:
1. Ein „Verbindungsbüro zur außerparlamentarischen Bewegung“ einrichten, dessen Aufgabe es ist, Informationen zu bündeln und weiterzuleiten und den Austausch zu organisieren.
Dieses Büro müsste eng an den Diskussionsprozess zwischen Linkspartei.PDS und WASG gekoppelt sein, der in den nächsten Jahren geführt werden wird.
Dieses Büro sollte mit 3 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgestattet sein, um verschiedenen Arbeitsbereiche und Themenfelder abdecken zu können.
2. Einen Rundbrief der Fraktion für die außerparlamentarischen Bewegungen erstellen, um die Kommunikation zu gewährleisten
3. Den regelmäßigen Austausch zwischen Organisationen, Netzwerken und Verbänden mit der Fraktion organisieren. Eine erste Konferenz könnte Anfang nächsten Jahres stattfinden, auf jeden Fall nach der Aktions- und Strategiekonferenz am 19./20. November.
4. Außerparlamentarische Kräfte in den Diskussions- und Vereinigungsprozess zwischen Linkspartei.PDS und WASG einbinden.
Bernd Riexinger - B.Riexinger-Wahlalternative@ web.de
Christine Buchholz - christine.buchholz@
web.de
Berlin/Stuttgart, 5.9.2005