Wahlkooperation mit der PDS und neue Linkspartei
Joachim Bischoff
Björn Radke
Die anfängliche Aufregung über die geplante Wahlkooperation und das Zusammengehen von Wahlalternative und PDS in einer breit angelegten, demokratischen Linkspartei hat sich gelegt. Wie stets folgt auf spektakuläre Beschlüsse oder Ankündigungen die mühselige Alltagspraxis, das Projekt mit politischem Leben zu erfüllen.
Die Wahlalternative hat auf ihrem Kasseler Parteitag mit deutlichen Mehrheiten den politischen Kurs auf ein gemeinsames Agieren der Linkskräfte beschlossen. Wir wollen eine starke Linkspartei, die nicht nur auf Parlamentsbänken, sondern breit in der Bevölkerung verankert ist. Die Linkspartei soll eine hörbare und nicht zu ignorierende Stimme im Parlament und in der Öffentlichkeit sein. Angesichts der großen Gemeinsamkeit im Kampf gegen den Neoliberalismus und in Respekt vor den überlieferten politisch-kulturellen Unterschieden und programmatisch-theoretischen Differenzen wollen wir zu den Bundestagswahlen eine Stärkung der linken Opposition durch Unterstützung des Projekts der „offenen Liste“ der „Linkspartei“ zustande bringen.
Darüber hinaus geht es mittelfristig darum, eine starke politische Kraft mit einer neuen politischen Kultur zu schaffen, in der sowohl die beiden Parteien aufgehoben sein können, die aber auch offen für andere Kräfte und Strömungen ist. Wir wollen daher einen Prozess einleiten, in dem auf allen Ebenen geprüft und debattiert werden soll, was die programmatischen und organisatorischen Gemeinsamkeiten und Differenzen der verschiedenen Linkskräfte sind, die in einer neuen politischen Formation zusammenarbeiten wollen.
Steine auf dem Weg...
Die Kritiker an dem politischen Kurs, einer Wahlkooperation mit der PDS und mittelfristig den Aufbau einer breiten, demokratischen Linkspartei zu versuchen, verweisen zum einen auf die Kraft und Erfolge der Wahlalternative; zum anderen betonen sie die zweifelsohne vorhandenen programmatisch-theoretischen Differenzen zum PDS-Projekt und sind skeptisch, ob die Mehrheit der PDS-Mitglieder überhaupt zu einer Öffnung und einer Integration von Andersdenkenden bereit sind.
Die PDS hat ihrerseits einen Prozess der Veränderung ihres Parteinamens eingeleitet. Auf dem kommenden Bundesparteitag (17.7) will die Bundespartei ein deutliches Signal für eine Veränderung setzen, das aber von den Landesparteien aufzugreifen und zu bestätigen ist. Die Zusammenarbeit von WASG und PDS vollzieht sich auf der Ebene der Bundesländer mehr oder minder geräuschlos; die PDS ist bekanntlich der organisatorische Träger eines Wahlprojektes und daher entscheiden die innerparteilichen Kräfteverhältnisse in der PDS über Personen und Wahlprogramm. Eine sonderlich spannende Debatte über das Wahlmanifest von WASG und PDS/Linkspartei hat sich bisher nicht entwickelt.
Dies hängt zum einen sicherlich mit dem starken Zeitdruck zusammen. Unter dem Druck der Herausforderung der Politik der bürgerlichen Parteien – weiterer Sozialabbau, Niedriglohnsektor, Systemwechsel in der Krankenversicherung, weitere Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche- sowie dem grundsätzlichen Festhalten von Sozialdemokratie und den Grünen an der Agenda 2010 treten die unterschiedlichen Ansätze bei der wählbaren Alternative zurück.
Da die neue Linkspartei im kommenden Parlament auf die Oppositionsrolle festgelegt ist, wird in künftigen Debatten der Zusammenhang von höherer Besteuerung von Unternehmen und Vermögen, der Auflage von öffentlichen Investitionsprogrammen, einer Politik der Arbeitszeitverkürzung und der Zurückdrängung eines Niedriglohnbereiches zu erörtern sein. Auch über die einzelnen Schritte, wie die sozialen Sicherungssysteme armutsfest und grundsätzlich zu erneuern sind, gibt es im Detail noch Differenzen, die allerdings nicht über die Debattenbreite hinausgehen, die innerhalb der Parteien selbst existieren.
Viele Kritiker in der PDS an einer Wahlkooperation reiben sich mehr an der Frage der nicht-sozialistischen Ausrichtung der WASG und dem Populismus von Lafontaine. Ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Grundsatzprogramm und dem Wahlkampfmanifest der WASG zirkuliert vor allem in den westlichen Landesverbänden die Einschätzung, die WASG habe kaum etwas zu bieten, was über das traditionell Sozialdemokratische hinausgehe. Wir sehen in dem Rückgriff auf die sozialistische Programmatik der PDS in Verbindung mit einer mehr oder minder deutlichen Ausgrenzungsrhetorik ein Problemfeld, das in künftigen Debatten zu bearbeiten ist.
Bislang ist nicht erkennbar, dass die Kritiker aus der PDS eine nachvollziehbare Erklärung für die Transformation der europäischen Sozialdemokratie zu einer neoliberalen Systempartei vorbringen. Gleichermaßen werden wir darauf drängen müssen, dass eine Debatte in Gang kommt, wo über die gesellschaftlichen Perspektiven des bloßen Abwehrkampfes hinaus, über die Strukturen einer nachkapitalistischen Gesellschaftsordnung die unterschiedlichen Positionen ausformuliert werden. Bislang drückt das Beharren auf dem sozialistischen Charakter der PDS mehr eine emotionale Bindung aus, der wenig gesellschaftstheoretische oder kapitalismuskritische Einschätzungen unterliegen.
Ziemlich oberflächlich erscheint uns der Vorwurf, Oskar Lafontaine habe uns auf linkspopulistische und fremdenfeindliche Positionen festgelegt. Dieser verbreitete Vorwurf des Populismus speist sich aus der Einschätzung, dass die Zeiten der nationalstaatlichen Gewährleistung von sozialer Sicherheit endgültig vorbei seien. Gefordert werde von der Wahlalternative ein Ausbau des Sozialstaates ohne Rücksicht auf die Kosten und die Belastungsfähigkeit der Bürger; das WASG -Wahlprogramm sei daher in der Substanz fremdenfeindlich, weil es auf eine nationale Abschottung hinausliefe. Hinter der aufgesetzten Debatte über den Begriff >Fremdarbeiter< steht also viel weitreichender die Kritik, dass nationalstaatliche politische Gestaltung von gesellschaftlichen Verhältnissen obsolet geworden sei und daher die Wahlalternative ein rückwärtsgewandten und modernen Populismus betreibe.
Scheitern von Rotgrün
Neoliberale Politik zielt auf eine politisch gewollte Veränderung der Einkommensverteilung; mit jedem Schritt in diese Richtung verstärkt sich der Verdrängungswettbewerb der Unternehmen und der tendenziellen Erhöhung der Arbeitslosigkeit; durch die einsetzende Abwärtsspirale radikalisieren sich die Vertreter neoliberaler Politik. Dies gilt zum einen für die Parteien des bürgerlichen Lagers, zum anderen ist unübersehbar, dass die Mitte-Links-Parteien zu den entschiedenen Akteuren einer Transformation des »Rheinischen Kapitalismus« gehören. Es gehört zur Ironie der jüngsten deutschen Geschichte, dass es die SPD war, die den Totengräber der „Deutschland AG“ gespielt hat: angefangen mit der steuerlichen Freistellung der Veräußerungsgewinne der Banken, die sich aus direkten Unternehmensbeteiligungen zurückzogen und sich neu auf den Finanz- und Kapitalmärkten aufstellen, bis hin zur Öffnung des Wirtschaftsstandorts Deutschland für Hedge Fonds. Dies politische Ausrichtung gilt für die europäische Sozialdemokratie insgesamt; die Parteien haben im Bündnis mit anderen Mitte-Links-Parteien, die Entfesselung des Kapitalismus betrieben.
Zugespitzt lautet die These: Gerade die Sozialdemokratie stand in den vergangenen Jahren für aktionärorientierte Reformen und die Auflösung des organisierten, managerzentrierten Kapitalismus deutschen Typs. Die Sozialdemokratie ordnete sich mit dieser politischen Strategie in den europäischen Verbund der >Linksparteien< ein, die mit Deregulierung und Privatisierung den Siegeszug des Aktionärs- oder Vermögenskapitalismus in Europa ermöglicht haben. Damit ist die Frage nach einer neuen Qualität des Kapitalismus unabweisbar geworden. Keine Regierung zuvor hat den Umbau von Wirtschaftsstandort und Wohlfahrtsstaat derart beschleunigt wie die von Schröder – und damit den Weg freigeräumt für eine extrem machtorientierte, rechtskonservativ-neoliberale Nachfolgeregierung.
Vorrang für Arbeit ?
Die Unionsparteien wollen eine Richtungsentscheidung bei den anstehenden Bundestagswahlen. Sie versprechen den Bürgern, dass sie mit politischen Veränderungen dafür sorgen werden, dass Deutschland aus der ökonomischen Stagnation herauskommt. 7Jahre Rot-Grün haben in der Tat Deutschland in eine tiefe Krise gestürzt. Fakt ist aber auch: die bürgerlichen Parteien haben die Politik der Agenda 2010 mit getragen und zugleich diese Reformen als zu zaghaft hintertrieben.
Die bürgerlichen Parteien unterlassen es die Bevölkerung drüber aufzuklären, dass sie massive Einschnitte, die Beseitigung von Arbeitnehmerrechten und die Aufkündigung der solidarischen Sicherungssystemen vorhaben. Diese Politik bewegt sich zwischen Bierdeckelsteuerreform, Kopfpauschale und Abschaffung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die bürgerlichen Parteien schleichen sich zur Macht. In der Tat ist ihr Weg von kaum zu übertreffender politischer Korruption gepflastert – dafür stehen die Namen Kohl, Kanther, Lorenz Mayer und Pfahls. Aber dass diese unerträglichen Strukturen der Bereicherung, politischer Manipulation und Versetzung von Regeln und Recht in der Demokratie heute in Vergessenheit oder zu Belanglosigkeit geraten sind, ist der Politik von Rotgrün zu verdanken. Die Bilanz von sieben Jahren Rotgrün ist zwar zutreffend. Das Politikangebot der Unionsparteien aber taugt nicht dazu, aus der ökonomischen Sackgasse herauszufinden.
Auf dem Weg zu einer vereinigten Linken
Die politische Auseinandersetzung verläuft nicht zwischen einem trostlosen rotgrünen Regierungsprojekt und den politischen Ambitionen der Merkels und Westerwelles. Die entscheidende Debatte und politische Weichenstellung zeigt sich auf dem linken politischen Spektrum: Schröder hat zur Kenntnis genommen, „ dass SPD-Mitglieder damit drohten, sich einer rückwärts gewandten, linkspopulistischen Partei anzuschließen, die vor Fremdenfeindlichkeit nicht zurückschreckt. Einige haben diesen Schritt vollzogen; an die Spitze jener Partei hat sich ein ehemaliger SPD-Vorsitzender gestellt.“
Es geht nicht um rückwärts gewandte oder gar fremdenfeindliche Politik. Es geht darum auch und gerade unter den Bedingungen der Globalisierung eine Politik zu betreiben, die Lebensinteressen der großen Mehrheit der Bevölkerung ernst nimmt.
Damit wir aber in der politischen Aufklärung und der Entwicklung einer neuen Formation der Linken weiter kommen, müssen wir zügig inhaltliche, d.h. politisch konzeptionelle und strategische Debatten organisieren. Die Themen sind uns vorgegeben. Es geht um:
· die strategische Option und die Programmatik der Sozialdemokratie;
· die Gefahrenpotentiale der Politik der bürgerlichen Parteien;
· die Entwicklungen und Strategievarianten bei den Parteien des extremen Rechten;
· die Konturen und Realisierungschancen eines neuen europäischen Sozialmodells und
· die Dimensionen und Perspektiven der Wirtschaftsdemokratie.
13. Juli 2005