Basis und Überbau
Die ostdeutschen Landespolitiker der Linkspartei.PDS wissen, daß sie sich von der Bundestagsfraktion nichts sagen lassen müssen. Schon gar nicht, wenn es um Wirtschaft und Arbeit geht. Von Sebastian Gerhardt
Am Sonnabend, den 17. Juni, trafen sich die Landesvorsitzenden der Linkspartei, um über den Fortgang der Fusion mit der WASG zu beraten. Die Vorschläge des Bundesvorsitzenden Lothar Bisky wurden als "Fahrplan zur Parteineubildung" für gut befunden. Die Einigkeit kam nicht überraschend. Denn seit dem Sommer 2003, der Überwindung der letzten Krise der PDS, ist die Partei fest in den Händen ihrer ostdeutschen Landtagsfraktionen. Wichtige Fragen werden zunächst im engeren Kreis der Fraktionsvorsitzenden geklärt. Und auch nach dem Frühjahr 2007 wird dieser Kreis eine besondere Rolle in der neuen Linkspartei spielen, hat er doch mit der Bewältigung der strittigen Themen des Parteibildungsprozesses ausreichend Erfahrungen. Ob es sich um die Beziehungen zwischen der Partei und sozialen Bewegungen handelt oder um das Verhältnis der eigenen Parlamentarier zur Mitgliedschaft, ob es um das Für und Wider von Regierungsbeteiligungen geht oder um die Integration sozialistischer Fernziele in die Selbstdarstellung einer allzu pragmatischen Partei – zu all diesen Problemen liegen schon lange erprobte Lösungen vor. Manchmal wird daher der Unwille, sich nur wegen der WASG noch einmal mit diesem ganzen "Kram" beschäftigen zu müssen, allzu deutlich.
Vorwärts immer
Gerne ignorieren die führenden Kolleginnen und Kollegen dabei ein praktisches Problem, in das all die erprobten Lösungen schon einmal geführt haben. Die PDS hatte seit 1994 Schritt für Schritt die bürgerlichen Vorurteile gegenüber einer Beteiligung der Partei an der Verwaltung der herrschenden Verhältnisse abgebaut. Deshalb konnten im Bundestagswahlkampf 2002 Thomas Falkner – damals Leiter der Grundsatzabteilung im Karl-Liebknecht-Haus – und Ralf Christoffers unter dem Titel "Mut zur linken Mitte" ein Konzept vorlegen, wie eine bundesweit erfolgreiche PDS dem "rot-grünen-Projekt" neues Leben verleihen würde.
Allein, die Blütenträume reiften nicht. Die Bundestagswahl 2002 wurde für die Regierungshoffnungen der "Reformlinken" in der PDS zu Debakel: Verlust der Fraktion, gerade zwei Direktmandate im Bundestag und heftige Debatten in der Partei waren die Folge. Den Sprung zur bundespolitischen Regierungsfähigkeit hatte die Partei versucht – und war gescheitert. Deshalb muß man sich heute manchen Debatten stellen, die man schon einmal entscheiden glaubte. Dabei können sich die Befürworter einer bestenfalls sozialliberalen Mitgestaltungspolitik aber auf eine Erfahrung stützen: Sie haben mit den Landtagsfraktionen in Ostdeutschland auch ohne Bundestagsfraktion überleben können. Sie sind nicht von der Kooperation mit der WASG abhängig. Sie haben aufgrund ihres Zugangs zu Geldern und Informationen ihre Landesverbände – und damit auch Bundesparteitag und Bundesvorstand im Griff. Ein Aufbegehren der Delegierten wie nach der Niederlage Ende 2002 in Gera wird sich nicht wiederholen.
Rückwärts nimmer
Seit den Bundestagswahlen sind aus dem Kreis der Fraktionsvorstände in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin in rascher Folge Positionspapiere und Konzepte vorgelegt worden, die alle um das Ziel der Regierungsbeteiligung auf Landes- und Bundesebene kreisen. Der jüngste Vorstoß von Kerstin Kaiser und Thomas Falkner ist besonders bemerkenswert, weil er das Selbstbewußtsein der Landespolitiker ungebrochen zum Ausdruck bringt. Sie kritisieren "die Interventionsversuche von O. Lafontaine in das Handeln des Berliner Senats" und fordern die Unterordnung der Partei unter das Ziel der Regierungsfähigkeit offensiv ein.
Wie weit ihr Einfluß reicht, macht ein Eckpunktepapier von Mitarbeitern der Linksfraktion zur Arbeitsmarktpolitik deutlich (http://info.w-asg.de/?RDCT=d8fb15e3961ff1956d8d ). In diesem Text findet sich einerseits eine pflichtschuldige Aufzählung von Forderungen von Linkspartei und WASG. Andererseits werden aber auch die arbeitsmarktpolitischen Lieblingsprojekte der Berliner und Magdeburger Sozialliberalen kritiklos befürwortet. So findet sich die "Kapitalisierung von Hartz IV" des Linkspartei-Senators Harald Wolf als Schritt in Richtung auf einen öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) gewürdigt. Und eine feinsinnige Unterscheidung zwischen Kombilöhnen, die selbstverständlich abgelehnt werden – und sogenannten "(temporären) Lohnkostenzuschüsse für benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt" nimmt entsprechenden Pläne der Linkspartei aus Berlin und Magdeburg auf. Dabei ist allen Beteiligten klar, daß mit dem geplanten ÖBS ebenso wie mit den Lohnzuschüssen dem staatlich geförderten Niedriglohn Tür und Tor geöffnet wird.
Teilen in der Klasse?
Im Eckpunktepapier heißt es höflich: "Die Verkürzung der tariflichen Arbeitszeit ist im wesentlichen eine Aufgabe der Tarifpartner. Sie kann jedoch durch den Staat durch Modelle einer finanziellen Förderung solcher Arbeitszeitverkürzung unterstützt werden, die tatsächlich auch zu neuen Einstellungen genutzt wird." An anderer Stelle werden gar "gesellschaftliche Transferleistungen" in Betracht gezogen, um den Unternehmen die Last eines vollen Lohnausgleiches abzunehmen. Worum geht es?
Die Arbeitsproduktivität steigt seit Jahren schneller als die Produktion. Die Beschäftigten können in der gleichen Zeit mehr produzieren. Trotzdem sollen sie für den gleichen Lebensstandard immer mehr arbeiten. Die Lösung dieses Widerspruches versteht jedes Kind: Das zusätzliche Mehrprodukt eignen sich einfach die Unternehmen an und werden noch schneller noch reicher.
Von den siebziger bis zum Ende der neunziger Jahre stand daher die Auseinandersetzung um die Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Zentrum der Tarifpolitik. Im Zuge des Anschlusses der DDR fielen aber die Rücksichten, die noch 1990 bei der Verabschiedung des Stufenplanes zur 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie bestimmend waren, rasch fort. Und spätestens mit der Niederlage des Metallerstreiks im Osten im Sommer 2003 hatte das Unternehmerlager den Dammbruch geschafft. In einem Standort nach dem anderen, in einer Branche nach der anderen wird seither unbezahlte Arbeitszeitverlängerung durchgesetzt.
Und das Eckpunktepapier zeigt: Auch die parlamentarische Linke traut sich nicht an das heiße Eisen heran. Die Ankündigung der staatlichen Förderung von Arbeitzeitverkürzung wird die deutschen Unternehmen nicht verlocken können. Denn leider verstehen die Kapitalisten mehr von Ökonomie: Sie werden sich nicht von Subventionen etwas Arbeitszeit abkaufen lassen, wenn sie diese Subventionen selbst bezahlen sollen. Nur wenn die Beschäftigten für die entsprechenden gesellschaftlichen Transfers aufkommen, kann man sich des Beifalls des deutschen Kapitals sicher sein. Und bis zu dieser Zustimmung wird die Arbeitszeitverkürzung ein schöner Traum bleiben – wenn es nach den Fachleuten der Linksfraktion geht.
Anders als in der Frage der Privatisierungen öffentlichen Eigentums ist in Sachen Arbeitsmarkt und Arbeitszeit noch nicht einmal ein verbaler Konflikt mit der Linksfraktionsspitze um Oskar Lafontaine zu erwarten. Denn der damalige saarländische Ministerpräsident gehörte schon in den 80ern zu den Befürwortern einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich und zu den lautesten Kritikern "unverdienter" Sozialleistungen. Auf diesem Feld könnte damit erstmals zusammenwachsen, was zusammengehört: Die Kombination aus "antikapitalistischen" oder "demokratisch-sozialistischen" Sonntagsreden mit einer Verwaltung des status quo.
Stichworte für einen Weg in die Bundesregierung
Aus verschiedenen Vorschlägen des liberalen Flügels der PDS. Eine Zusammenstellung aus zwei Jahren
Strategisches Ziel der PDS ist ein Richtungswechsel der Politik zu mehr sozialer Gerechtigkeit, zu zivilen Konfliktlösungen, zu mehr Demokratie, Freiheit und individueller Selbstbestimmung. (...) Die PDS wird dies nur erreichen als eine gesellschaftszugewandte Kraft, die diese Gesellschaft verändern will und ausstrahlen kann, dass diese Gesellschaft veränderbar ist. Ausgangs- und Bezugspunkt ist die Gesellschaft, in der wir leben. Unsere Politik muss an den in dieser Gesellschaft erbrachten Leistungen und Errungenschaften anknüpfen und sie aufgreifen. Für eine strategische Neuorientierung der PDS braucht es ein Grundverständnis, das über das “Verhindern-Wollen” und den notwendigen Protest hinausgeht. Eine Linke, die ernsthaft Systemveränderung anstrebt, muss von sich aus Vorschläge für systemische Veränderungen unter den gegebenen Bedingungen machen und dabei die gegebenen Verhältnisse und das gegenwärtige Maß ihrer Gestaltbarkeit im Auge haben. Sie muss also auch Vorschläge für Veränderungen im System machen. (...)Gesellschaftliche Opposition (Antikapitalismus), politischer Mit- und Umgestaltungsanspruch sowie demokratischer und sozialer Widerstand - das sollte als “strategisches Dreieck” sozialistischer Politik verankert werden.
[09. Juni 2004, Elke Breitenbach, Thomas Falkner, Katina Schubert, Udo Wolf, Acht Thesen zur strategischen Neuorientierung der PDS]
Die politische Arbeit der nächsten Monate und Jahre verlangt jedoch mehr von uns als die bloße Fortführung des vor den Bundestagswahlen skizzierten Weges. Die vorgezogenen Bundestagswahlen haben unsere Planungen dafür überholt, uns auf der Grundlage des Potsdamer Bundesparteitags-Beschlusses für die Wahlen 2006 und die politischen Kämpfe in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts inhaltlich fit zu machen. Das hatte sein Gutes – doch das Gute darf uns nicht dazu verleiten, das noch Notwendige liegen zu lassen. Das Wahlprogramm enthält manche Forderungen, zu denen der Diskussionsprozess noch weiter gehen muss – und es fielen auch Forderungen heraus, weil die Diskussion noch nicht abgeschlossen war. (...)
Regieren muss man vorbereiten: politisch-inhaltlich und nicht minder politisch-mental – in den eigenen Reihen wie in der Gesellschaft insgesamt. Regieren muss man wollen.
[Dezember 2005, Kerstin Kaiser, Wulf Gallert, Stefan Liebich, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei.PDS-Fraktionen im Landtag von Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Abgeordnetenhaus von Berlin, LINKSPARTEI: GEWÄHLT, UM ZU VERÄNDERN]
Ein wirklicher Politikwechsel verlangt einen Regierungswechsel – und zwar unter Einschluss der PDS. Aber nicht jeder Regierungswechsel bringt auch einen tief greifenden Politikwechsel. Nicht einmal dann, wenn die PDS dabei ist. Es kann nämlich auch so sein, liebe Genossinnen und Genossen, dass es ein oder zwei Legislaturperioden Rot-Rot braucht, um überhaupt erst einmal elementare Voraussetzungen für einen Politikwechsel zu schaffen ... [Juni 2006, Kerstin Kaiser und Thomas Falkner, THESEN ZUR LEITBILD-DISKUSSION UND ZUR ROLLE DER LINKSPARTEI.PDS]