Kann die deutsche Linke zusammenkommen?
Von Joachim Bischoff und Björn Radke
Das Linksbündnis aus den beiden Parteien Linkspartei.PDS und Wahlalternative (WASG) hat bei den Bundestagswahlen im September 2005 mit 8,7 % Stimmenanteil ein herausragendes Ergebnis erzielt. Dieser Erfolg hat mehrere Ursachen; die unseres Erachtens wichtigsten sind:
- Die Unzufriedenheit mit der rotgrünen Bundesregierung war hoch. Die Agenda 2010 lief auf deutliche Einschnitte bei der sozialen Sicherheit hinaus; die Begünstigung der Unternehmen und Vermögensbesitzer führte nicht zu einer Belebung der Wirtschaft.
- Die meisten Maßnahmen zur "Neujustierung des Sozialstaates" waren von einer großen Koalition im Bundestag verabschiedet; daher war auch die Unzufriedenheit mit den Parteien ausgeprägt.
- Die Sozialdemokratie hatte aus der Serie der Wahlniederlagen und den massiven Mitgliederverlusten keine Konsequenzen gezogen. Es wurde weder über die Zielsetzung der sozialdemokratischen Politik aufgeklärt noch die soziale Schieflage der so genannten "Reformpolitik" verändert.
- Das Linksbündnis erzeugte bei einem Teil der WählerInnen eine Aufbruchsstimmung, wenngleich die praktische Umsetzung der gemeinsamen Kandidatur und die Organisation des Wahlkampfes mit Widersprüchen verbunden war.
Schon vor dem Ende des Wahlkampfes sprachen sich die zentralen Akteure des Bündnisses - Linkspartei und WASG - für vorbereitende Schritte zur Bildung einer umfassenden Partei der neuen Linken aus. Wenige Wochen nach dem Wahlerfolg treten in beiden Parteien, aber auch in deren Umfeld Kritiker dieses Projektes auf die politische Bühne. Die Einwände liegen auf unterschiedlicher Ebene, und auch in den politischen Schlussfolgerungen zeichnet sich bei den KritikerInnen kein Konsens ab.
Herbert Schui, Gründungsmitglied der Wahlalternative, beantwortet in einem Artikel für die Neue Zürcher Zeitung die Frage nach der Perspektive eines Linksbündnisses auch negativ. Seine These: Der Wahlerfolg könne "nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich zwei Momente addiert haben, die so recht nicht zusammenpassen und deswegen keine weiteren Erfolge garantieren." Begründet wird diese Skepsis gegenüber dem Projekt einer Partei der neuen Linken weniger mit der politischen Praxis und den Zielen der beiden Parteien als mit der historischen Entwicklung. "Das eine Moment ist die Unzufriedenheit im Osten." Vor dem Hintergrund der Erfahrung in einer staatssozialistisch konstruierten Gesellschaft der DDR würden die negativen Effekte des Vereinigungsprozesses bei der Linkspartei.PDS zu keiner eindeutigen gesellschaftspolitischen Zielsetzung führen. Es fehle der Partei der große Wurf. Die Linkspartei.PDS verzettele sich in einer Unzahl von unverbundenen Einzelprojekten. Wegen dieses theorielosen Pragmatismus sei die Partei das geborene Opfer, das in Koalitionen entzaubert werden könnte.
Die WASG, geprägt durch Gewerkschaftsaktivisten und ehemalige Sozialdemokraten, habe eine ganz andere Geschichte und politische Sozialisation. Die traditionelle Sozialstaatsidee der WASG sei "nicht vereinbar mit all den unklaren Strömungen in der Linkspartei.PDS, die den Keynesianismus für überholt erklären, im Großen und Ganzen eine umfassende Wirtschaftstheorie aber nicht akzeptieren wollen".
Ohne Zweifel stellen die historischen Unterschiede und deren politisch-ideologische Verarbeitung ein Konfliktfeld dar. Auf der anderen Seite überzeichnet diese These vom Gegensatz zwischen keynesianischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und demokratischem Sozialismus die realen Unterschiede. Gewerkschaftsaktivisten und ehedem linke Sozialdemokraten sind vielfach gleichermaßen in Einzelprojekte verbissen wie die Sozialisten aus dem Osten. Die Aktionsprogramme beider Parteien weisen eine deutliche Schnittmenge an Gemeinsamkeit aus, ansonsten hätte man wohl nicht zusammen zu den Bundestagswahlen antreten können.
Warten auf den "Großen Wurf" - oder die Parteibildung aktiv vorantreiben?
Die mittelfristigen gesellschaftspolitischen Perspektiven müssen abgeklärt und debattiert werden. Ob hier die Orientierung an einem "großen Wurf" weiterhilft, möchten wir in Zweifel ziehen. Richtig ist aber zweifellos, dass die verschiedenen Konfliktfelder, die durch den neoliberalen Gesellschaftsumbau deutlich werden, in eine gesellschaftspolitische Gesamtkonzeption eingebunden werden müssen. Die entscheidende Herausforderung ist dabei: Wie kann der Prozess der beständigen Umverteilung zu Lasten der Arbeits- und Sozialeinkommen und zugunsten der Kapital- und Vermögenseinkommen beendet werden. Denn die Überwindung der neoliberalen Verteilungspolitik ist der Einstieg in eine andere Wachstumsdynamik, die umfassende Rekonstruktion sozialer Sicherheit, eine umfassende Arbeitszeitverkürzung für alle und den Ausbau sozial-kultureller Dienstleistungen.
Einen Erfolg in der Parteibildung könne es nur geben, wenn "die buntere und unkonventionellere WASG mit ihrer anderen Geschichte Zeit hat, sich zu formieren." Zeit zu haben ist immer gut. Allerdings bestimmen in der politischen Arena die verschiedenen Strömungen der Linken nicht allein über das Zeitmaß.
Mag sein, dass die neoliberalen Parteien des bürgerlichen Lagers und die auf Schröder, Platzeck und Müntefering verengte SPD der politischen Linken noch reichlich Entwicklungszeit einräumen sollten. Reichlich Zeit, Elan und Ideen hatte die politische Linke schon häufiger. Das politische Ergebnis war nicht die Entwicklung von Akteuren, die einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung leisten konnten.
Schui's Plädoyer erscheint uns wenig überzeugend. Die politische Linke hat nur ein begrenztes Zeitfenster zur Klärung ihrer Gemeinsamkeiten und Differenzen in Programm und Strategie.
28.12.2005