Die Bildung der neuen linken Partei - Zwischenbilanz und Ausblick
Von Axel Troost
Parteineugründungen oder gar die Bildung einer neuen Partei nach dem Motto: Aus Zwei mach Eins, bzw. Eins+, weil viele Linke neu einbezogen werden sollen, kommen nicht so häufig vor. Von den Grünen wissen wir, wie stürmisch solche Prozesse ablaufen können, von der Westlinken, dass so etwas leicht schief gehen kann, wie zuletzt das Projekt der Demokratischen Sozialisten in den Achtzigern gezeigt hat. Und jetzt: West- und Ostlinke, ehemalige SPD- und PDS-PolitikerInnen, Linke der unterschiedlichsten Couleur, GewerkschafterInnen, Aktive aus den sozialen Bewegungen und Menschen, die nur den Neoliberalismus bekämpfen wollen - dieses bunte Spektrum rauft sich zusammen, um eine starke linke Partei in diesem Land zu schaffen und, was viele nicht für möglich hielten, es klappt!
Der bisherige Prozess
Die Gründung der WASG, ihre rasante Entwicklung, das respektable Wahlergebnis in NRW, all dies war die Vorbedingung für den Entschluss, eine neue gesamtdeutsche linke Partei mit dem Kern Linkspartei.PDS und WASG zu schaffen. Dieses Projekt wurde von der Bevölkerung angenommen, wie die 8,7% bei den Bundestagswahlen, der Stimmenanteil von 25% bei den Arbeitslosen und der überdurchschnittlich hohe Stimmenanteil bei GewerkschafterInnen zeigen. Beide Parteien konnten Mitglieder gewinnen, wobei die WASG die große Mehrheit ihrer Mitglieder nach der Entscheidung für eine gemeinsame Kandidatur mit der PDS und die Perspektive einer gemeinsamen Partei gewonnen hat.
Dass die Mitgliederzahl der WASG seit einigen Monaten bei rund 12.000 konstant bleibt, kann uns nicht zufrieden stellen, hat aber erklärbare Ursachen. Zum einen treten viele Menschen direkt in die Linkspartei.PDS ein, weil sie diese für die neue Partei halten. Zum anderen sind Kreis- und Landesverbande durch innerparteiliche Auseinandersetzungen pro und contra Berlin-Kandidatur regelrecht gelähmt worden. Um es überspitzt zu formulieren: Einige WASG-Kreisverbände haben ihre Energie vor allem innerparteilich verbraucht und sich mehr mit Berlin als ihrer eigenen regionalen Umgebung beschäftigt. Darüber hinaus gab es Austritte. Dass es Austritte in einem Parteibildungsprozess gibt, ist zwar schmerzlich, aber auch relativ normal. Die Austritte speisen sich aus unterschiedlichen Motiven. Neben Menschen, die keine Lust auf ständige innerparteiliche Querelen mehr hatten, gibt es diejenigen, die politisch unterlagen und ihre Konsequenzen gezogen haben und diejenigen, die nicht mit der Linkspartei eine gemeinsame Partei bilden wollen.
Turbulenzen gehören zu einer Parteineubildung, wie anfangs am Beispiel der Grünen aufgeführt, nun einmal dazu. Aber die Austritte konnten durch Neueintritte kompensiert werden. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir 1.295 neue Mitglieder aufgenommen. WASG-Gliederungen, die vor Ort Politik entwickeln, die sich in der Mindestlohnkampagne engagieren, nehmen neue Mitglieder auf. Zahlreiche Parteigliederungen planen Mitgliederkampagnen, so dass die berechtigte Hoffnung besteht, dass die Anzahl der Menschen, die die WASG in die neue Partei einbringen kann, nicht bei 12.000 stehen bleiben muss.
Zur Bilanz des bisherigen Prozesses gehören auch die Erfahrungen der Zusammenarbeit von Linkspartei.PDS und WASG, den Kernparteien der neuen linken Formation. Nach einer Phase des gegenseitigen Kennenlernens haben sich fast überall institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit entwickelt. Vor allem in den Wahlkämpfen haben wir positive Erfahrungen gemacht. In gemeinsamen Fraktionen in den Kommunalparlamenten in Hessen machen Mitglieder von Linkspartei.PDS und WASG Erfahrungen, die sich verallgemeinern lassen. Es sind die Erfahrungen, dass die gemeinsame Arbeit gegen die wirklichen politischen Gegner Vorurteile schwinden und Gemeinsamkeiten entdecken lässt. Natürlich ist dieser Prozess nicht eindimensional, spielen Machtpolitik, persönliche Interessen und Eitelkeiten eine störende Rolle, aber generell kann man sagen, dass in den allermeisten Städten und Bundesländern die Zusammenarbeit gut funktioniert und gemeinsam an der Gründung der neuen Partei gearbeitet wird.
Der Fahrplan der Parteibildung
Die Parteivorstände von Linkspartei.PDS und WASG und die zentrale Steuerungsgruppe des Prozesses haben einen Fahrplan entwickelt, der den Gründungsprozess der neuen Partei im Mai/Juni 2007 abschließen will. Im Oktober 2006 sollen Entwürfe für ein Gründungsprogramm, die Satzung und organisatorische Grundsätze der Zusammenarbeit vorgelegt und dann in der Mitgliedschaft beider Parteien und in der linken Öffentlichkeit breit diskutiert werden. Im März 2007 sollen gemeinsam und getrennte Parteitage am gleichen Ort das Ergebnis dieser Diskussionen verabschieden und der Mitgliedschaft zur Urabstimmung vorlegen. Im Mai/Juni 2007 soll dann ein Gründungsparteitag die neue linke Partei gründen. Ein Beirat aus unabhängigen Linken soll diesen Prozess kritisch/konstruktiv begleiten und demonstrieren, dass die neue linke Partei mehr ist als die Addition der beiden Quellparteien.
Mit der Gründung der neuen Partei sind die Diskussionen über ihre politischen und programmatischen Vorstellungen und ihre Funktion in der Gesellschaft natürlich nicht abgeschlossen. Das endgültige Parteiprogramm der neuen Partei soll nun erst entwickelt und auf einem Parteitag im Jahr 2008 verabschiedet werden.
Wirkliche und konstruierte Probleme
In der Diskussion über künftige Programme stellten Mitglieder von Linkspartei.PDS und WASG fest, dass ihre programmatischen Vorstellungen sehr ähnlich ist, einige sprechen von über 90% Deckungsgleichheit. Trotz allem gibt es natürlich Differenzen im Programm, vor allem aber in der politischen Kultur, der beide Parteien entstammen. Die WASG verfügt über eine starke Verankerung in den Gewerkschaften und in den sozialen Bewegungen. Die Linkspartei.PDS ist im Osten eine Volkspartei mit starker Verankerung in den Parlamenten. Dies hat natürlich Auswirkungen auf Form und Inhalt der Politik. Wenn die neue Linkspartei wirklich eine neue Qualität haben soll, dürfte klar sein, dass sich beide Partner ändern müssen.
Umstritten ist z.B. die Forderung nach einem Demokratischen Sozialismus. Auch wenn die meisten WASG-Mitglieder mit diesem Begriff wahrscheinlich kein Problem haben, bleibt festzustellen, dass zahlreiche WASG-Mitglieder den Neoliberalismus ablehnen und sich deshalb engagieren, sich aber nicht unbedingt als AnhängerInnen eines Demokratischen Sozialismus bezeichnen würden. In einer neuen Linkspartei müssen sich alle Mitglieder wiederfinden, so dass Demokratischer Sozialismus als Forderung kein Ausschlusskriterium für Mitglieder mit anderen Auffassungen sein darf.
Umstritten sind auch die zentralen politischen Projekte der neuen Partei. Dass die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen der Schwerpunkt der künftigen Parteiarbeit sein wird, ist mit der stark gewerkschaftsgeprägten WASG kaum vorstellbar.
Unterschiedliche Auffassungen gibt es auch in Satzungsfragen. Ausgehend von Erfahrungen mit der politischen Kaste der alten Bundesrepublik ist eine Trennung oder zumindest eine Begrenzung von Amt und Mandat in den Vorständen für die WASGlerInnen wichtig. Und nicht nur die Frauen in der WASG sagen, dass uns die Linkspartei.PDS in Fragen von Quotierung und Beteiligung von Frauen in der Politik ein Stück voraus ist.
Weitere Diskussionspunkte ergeben sich auch aus der Form parlamentarischer Arbeit und vor allem der Frage der Regierungsbeteiligung. Der Verkauf der kommunalen Wohnungen in Dresden ist ja nicht nur in der WASG sondern auch in der Linkspartei.PDS auf Protest gestoßen. Eine Regierungsbeteiligung wird in der WASG in der Regel nicht generell abgelehnt, sondern es werden Kriterien eingefordert, unter welchen Bedingungen die Beteiligung z.B. an einer Landesregierung sinnvoll sein kann. Ob man in einer Regierung wirklich mehr erreichen kann als in der Opposition, welchen Stellenwert eine Regierungsbeteiligung in der Gesamtstrategie einer Partei hat, das sind Fragen, die vor einer Regierungsbeteiligung geprüft werden müssen.
Dies sind reale Probleme und Diskussionspunkte im Parteibildungsprozess, fernab von konstruierten, die oftmals an Verschwörungstheorien erinnern. Wer den elektronischen Blätterwald, vor allem der WASG studiert, wird sich an angebliche Turbofusionierer, Parteisäuberer oder allgemein Verräter am anti-neoliberalen Gründungskonsens der WASG erinnern. Es wurde aber weder turbofusioniert, noch wurde die Partei gesäubert und der Verrat am anti-neoliberalen Gründungskonsens war und ist eine interessengeleitete Unterstellung. Aber auch diese Übertreibungen sind wohl typisch für die aufgeladene Stimmung eines Parteibildungsprozesses.
Es bleibt festzustellen: In den allermeisten Punkten sind sich WASG und Linkspartei.PDS einig, in der Ablehnung des Neoliberalismus, in der Bildungspolitik, in der Antikriegspolitik, so dass eine breite Basis für gemeinsames Handeln vorhanden ist. Dass sich jetzt verstärkt und parteiübergreifend politische Strömungen zu Wort melden, antikapitalistische Linke, emanzipatorische Linke und Linke, die eine Wiederkehr fürchten, ist zu begrüßen. Ein Parteibildungsprozess, der sich an politischen Inhalten orientiert, ist einem Prozess, der in Machtzirkeln und Küchenkabinetten entschieden wird, entschieden vorzuziehen.
Generell ist festzuhalten, dass eine neue Linke nur in Pluralität erfolgreich sein kann. Zu ihr müssen alle gehören, die AntikapitalistIn und die ReformerIn, die/der ehemalige LPG-Vorsitzende aus dem Osten und das enttäusche CDA-Mitglied aus dem Westen.
Findet das Projekt Anklang in der Bevölkerung?
Eine Partei existiert nicht als Selbstzweck, sondern hat eine gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Dies gilt gerade für eine linke Partei, die sich zur Aufgabe gestellt hat, im Interesse der ArbeitnehmerInnen, Arbeitslosen, Prekarisierten und kleinen Selbständigen zu wirken. Das Ergebnis der Bundestagswahl hat Hoffnungen geweckt, die wir nicht enttäuschen dürfen. Auch deshalb nicht, weil sich sonst Protestpotential nach rechts entwickelt.
Heftigste innerparteiliche Auseinandersetzungen und intensive programmatische Diskussionen bergen die Gefahr, den Mikrokosmos der Linken für die alleinige Realität zu halten. Ein Blick in die Gesellschaft ist hier sehr hilfreich. Hatte das Ergebnis der Bundestagswahl schon das gesellschaftliche Bedürfnis nach einer anti-neoliberalen Kraft demonstriert, zeigen die weiteren Umfragen, dass dieses Bedürfnis konstant ist. Bundesweit liegen wir gegenwärtig bei Umfragen bei ca. 10% der Stimmen, im Saarland bei 18%, in den neuen Bundesländern sind wir mit 27% stärkste Partei. Die Turbulenzen der innerparteilichen Querelen, vor allem in der WASG, haben bisher wohl wenig potenzielle Stimmen gekostet, was eine gelassenere Betrachtung erlaubt.
Der Prozess der Parteibildung ist im nächsten Jahr wieder mit Wahlkämpfen verbunden. Die erste große Aufgabe und große Chance ist die Bürgerschafts-(Landtags)wahl in Bremen, die quasi zeitgleich mit der Gründung der neuen Partei verläuft. Unter dem Eindruck der konstanten Zustimmung zum Projekt der neuen Linken dürfen wir die Chance, zum ersten Mal in ein westdeutsches Landesparlament einzuziehen, nicht verspielen. Es lohnt sich, alle Energie in diesen Wahlkampf zu stecken. Ein Einzug in die Bremische Bürgerschaft wäre das Signal, dass die neue linke Partei auch im Westen aus Landesebene erfolgreich sein kann. Die neue linke Partei, im Osten wie auch im Westen die konsequente anti-neoliberale Kraft in den Parlamenten, das wäre das schönste Geschenk, was wir uns selber zur Gründung der neuen Partei machen könnten.