"Ein Kessel Grünes" - Zum Wahlprogramm der Grünen
oder: Der Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen
Joachim Bischoff
Björn Radke
An diesem Wochenende werden BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Berlin ihr Wahlprogramm verabschieden. Dazu liegen über 800 Änderungsanträge vor. Die Grünen haben sich in ihrem vorgelegten Aufruf zur Bundestagswahl für eine Fortsetzung der jetzigen Koalition ausgesprochen, versuchen sich aber gleichzeitig aus der politischen Verantwortung zu stehlen: Die SPD habe sich "oftmals" als "strukturkonservative Partei der großen Konzerne" erwiesen, heißt es in dem Wahlprogramm.
"Es war ein Fehler, die Arbeits-, Wirtschafts-und Sozialpolitik in den letzten Jahren zu stark der SPD zu überlassen, die hier eine Kernkompetenz beansprucht, aber vielfach nicht einlöst." Die Zusammenlegung von Arbeitslosen-und Sozialhilfe sei zwar im Prinzip richtig gewesen. In der Umsetzung seien aber "viele Fehler" gemacht worden. Dies ist die übliche Schönrednerei. Faktisch haben die Grünen die Politik der Lohn- und Preisflexibilität unterstützt und setzen sich weiter für diesen Weg ein. Die Politik der Deregulierung und Privatisierung hat die Reichen reicher gemacht, aber die Investitionen blieben aus. Und den verstärkten Lohndruck im unteren Einkommensbereich und die Prekarisierung der Lohnarbeit kann durch halbherzige Maßnahmen nicht geheilt werden.
In Ihrem Wahlprogramm behaupten die Grünen: „Wir stehen dafür, dass soziale und ökologische Politik fortgesetzt wird und dass nicht schwarzer Rückschritt oder gelbe Rücksichtslosigkeit unser Land regieren. Grün kämpft dafür, dass Erneuerung statt großkoalitionärem Stillstand unser Land prägt. Grün kämpft dafür, dass sich Gerechtigkeit statt neoliberaler Ellbogenpolitik durchsetzt. Wer die strukturkonservative PDS wählt, stärkt in Wahrheit Stoiber und schwächt damit ökologische und soziale Modernisierungspolitik, das ist mit Bündnisgrün nicht zu machen. (...) Nur Ihre Stimmen für die GRÜNEN schützen unser Land vor CDU/CSU und FDP.“
Gegenüber diesen schönen Worthülsen steht die Tatsache, die Grünen in den letzten sieben Jahren mitregierten, und die Politik der Agenda 2010 mitgetragen haben In einem eigenen Kapitel - "Schwarze und roten Blockaden" -, wird versucht, dies zu rechtfertigen: „Vieles wurde im Bundesrat seit 1999 von CDU/CSU unverhohlen und zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger blockiert. Oft wurde die Zustimmung zu notwendigen Reformen mit erpresserischen Forderungen verbunden, die konservativen Lobbyinteressen dienten oder die politische Balance verletzten“
Das kommt einer politischen Bankrotterklärung gleich: Damit wird die eigene politische „Erpressbarkeit“ eingestanden.
Auf wie viel Vergesslichkeit der WählerInnen setzen die Grünen, wenn deren Vorsitzender Bütikofer erklärt: „Und was die Grünen auszeichnet, ist gerade auch dieses starke Engagement dafür, dass nicht die gesellschaftliche Spaltung größer wird, dass nicht die Unterschiede zwischen arm und reich eklatieren.“
Dieses Wahlprogramm stößt in seiner Beliebigkeit auch in der Grünen Basis auf Kritik. Für die Linken um Christian Ströbele ist das Programm aber noch zu unkonkret. Sie fordern ein Investitionsprogramm. Die Mindestlöhne sollten "wirklich armutsfeste Löhne" werden. Das Arbeitslosengeld II soll nicht abgeschafft, aber von 345 auf rund 400 Euro angehoben werden.
Eine solche Schönheitskorrektur ist den offenen Neoliberalen um Oswald Metzger zu viel. "Willkommen im Wolkenkuckucksheim!", kommentierte der frühere haushaltspolitische Sprecher der Grünen das Programm. Das seien "sozialromantischen Robin-Hood-Vorstellungen", die im Programm zum Ausdruck kämen. "Es liest sich wie ein Programm aus den 70ern, als man das Füllhorn der staatlichen Fürsorge ausgeschüttet hat", so Metzger. Die Grünen sollten "nicht so tun, als sei der Staat eine eierlegende Wollmilchsau". Er sei sich sicher, dass es auf dem Parteitag "auf jeden Fall auch Anträge geben wird, die das Programm nicht nach links festzurren möchten".
Die Grünen erweisen sich als die Partei der Beliebigkeit . Sie werden keinen Beitrag leisten, um den notwendigen radikalen Politikwechsel mit zu vollziehen.
Gleichermaßen beliebig ist auch die Position zur Sicherheits- und Außenpolitik. So werden im Programmentwurf erneut Militäreinsätze abgelehnt. Präventivkriege oder kulturelle Konfrontation wird abgelehnt. Die Grünen setzen auf ein erweitertes Konzept kollektiver Sicherheit, das zivile Konfliktbearbeitung, kooperative Entwicklung, Bekämpfung der Armut und den Erhalt der Umwelt umfasst.
Die Anschläge von New York, Madrid oder jetzt London werden aber genutzt, um sich eine Ausstiegsoption offen zu halten. Unter zugespitzten politischen Verhältnissen, wollen auch die Grünen eine Beteiligung an einem Militäreinschatz nicht ausschliessen.
Wer mit den Grünen geht, muss wissen: mit der Fortsetzung der Politik der Agenda 2010 werden wir nicht zu mehr Lohnarbeit, höherer Beteiligung der Arbeitenden am gesellschaftlichen Reichtum und einer Rückkehr zu sozialer Sicherheit bekommen.
Wir brauchen einen Kurswechsel gegenüber allen Varianten einer Deregulierungspolitik.
9. Juli 2005