Keine tragfähige Programmbasis? Zum „Aufruf aus der PDS zur neuen deutschen Linkspartei“
Von Joachim Bischoff und Björn Radke
Unter dem Titel „Abschied und Wiederkehr“ haben sich ca. zwei Dutzend führende PolitikerInnen der Linkspartei zu Wort gemeldet, um ihren „Diskussionsstand, ihre Stärken und wesentliche programmatische Ansätze der PDS in die neue Linkspartei einzubringen.“ In begleitenden Zeitungsinterviews der letzten Tage (so etwa im „Neuen Deutschland“) haben einige der UnterzeichnerInnen unterstrichen, dass es in ihren Augen noch keine programmatische Basis für die neue Partei der Linken gibt. Lafontaine, Mitautor des Gründungsaufrufes für die neue Partei, begrüßt die Intensivierung der Debatte und weist zugleich die These zurück, dass es bislang noch keine programmatische Grundlage für das Zusammengehen der politischen Linken gäbe. Was sind die Hauptpunkte der Erklärung?
Insgesamt ist ihr Anspruch, einen Gegenentwurf „zur neoliberalen Deregulierung und zum Sozialabbau“ zu vertreten. Ihre wichtigsten Argumente:
- Sie wollen die Geschichte der PDS im Parteibildungsprozess und in der neuen Partei bewahren und diskutieren.
- Sie möchten auch weiterhin einer Partei angehören, die sich „in Programm und Politik, in Wort und Tat dem demokratischen Sozialismus“ verpflichtet fühlt.
- Sie wenden sich gegen Tendenzen der „Trennung von sozialen Menschenrechten einerseits und individuellen Freiheitsrechten andererseits, die einseitige Betonung der einen oder der anderen Seite“, weil das gerade nicht zu einer zukunftsfähigen, sozial gerechten Gesellschaft führe.
- Sie haben sich entschieden, im parlamentarischen System als politische Partei zu wirken - und als solche eng mit den Akteuren wie sozialen Bewegungen und Gewerkschaften zusammen zu arbeiten.
- Ihnen geht es um praktisch politische Interventionsfähigkeit. „Seitens der PDS kommen wir mit ausgereiften Konzepten u.a. für öffentlich geförderte Beschäftigung, eine sozial gerechte Steuerreform, einen Neuansatz für Ostdeutschland (und künftig auch strukturschwache Regionen generell), zur Landesentwicklung und zur Bildung.“
- Sie plädieren für ein neues gesellschaftliches Regulationssystem. „Für die Sicherung oder gar den Ausbau des Sozialstaates reicht es deswegen auch heute nicht aus, nur auf den Staat, auf seine Gesetze und sein Geld, zu schauen. Das Versagen der ‚Reformpolitik’ erklärt sich auch aus dem fehlenden innovativen Unterbau in der Gesellschaft, aus der alleinigen Verantwortungszuweisung an den Staat. Deshalb wollen wir uns nicht zuerst auf die Verwaltung der Missstände und die Durchsetzung entsprechender Maßnahmen konzentrieren, sondern alles dafür tun, die kreativen, innovativen Kräfte in der Gesellschaft frei zu setzen und im Sinne der breiten Bevölkerung nutzbar zu machen.“
Gegen einen Großteil der Argumente wird es keinen kräftigen Widerspruch geben; die Autoren lassen letztlich im unklaren, was sie an dem bisherigen Debattenstand beunruhigt. Aus dem Aufruf lesen wir die Besorgnis, dass in der neuen gemeinsamen Partei der Linken die bisherigen Konzeptionen und Stärken der Linkspartei verloren gehen könnten. Die Neuerfindung der Linken soll zu einer größeren gesellschaftlichen Wirksamkeit beitragen.
Wir werden dem neoliberalen Gesellschaftsumbau nur dann wirksam entgegentreten können, wenn die verschiedenen Strömungen und Kulturen sich in der neuen politischen Partei entwickeln und auseinandersetzen können. Selbstverständlich kann sich eine solche politische Formation auch keine Geschichtsvergessenheit leisten. Es wird eine wichtige Aufgabe bleiben, sich mit den geschichtlichen Erfahrungen der Linken, d.h. der gesamten Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung im Kapitalismus und in den früheren sozialistischen Ländern, auseinander zu setzen. Was aber ihre Schlussfolgerungen aus dem Scheitern des >Staatssozialismus< sind, bleibt offen.
Letztlich bleibt das Bekenntnis zum Demokratischen Sozialismus so formelhaft wie die entsprechende Passage im Gründungsaufruf zur Partei der neuen Linken. Zu einem selbstkritischen Verhalten gehört für uns aber auch die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte und die Verständigung über die Gründe für die politische Ohnmacht der Linken.
Die »Partei des Demokratischen Sozialismus« hatte schon vor dem Auftreten der Wahlalternative - so die Auffassung vieler Wahl- und Parteienforscher - in Ostdeutschland durchaus den Charakter einer Volkspartei gewonnen. Anders in Westdeutschland. Auch nach 15 Jahren hatte sie dort nur eine geringe soziale Verankerung erreicht und bot wenig Ansatzpunkte, die sich in massiver Wahlabstinenz ausdrückende Krise der politischen Repräsentanz zu überwinden. Das Scheitern der PDS-Westausdehnung hatte viele Gründe; bei aller Berücksichtigung von historisch-gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren weist das politische Defizit im Westen auch auf organisatorisch-politische Mängel.
Die Stärke der PDS ist zugleich ihre Schwäche
Ihre Wurzeln liegen in der politischen Kultur der ostdeutschen Bundesländer. Ihr ist das linke Westmilieu fremd. Noch gravierender ist allerdings ihre Distanz zu den breiten, gewerkschaftlich geprägten Arbeitnehmerschichten. Die PDS hat nie den Weg zur Interessenvertretung der „sozialen Unterschichten“ gefunden, sich daher nicht für eine Verteidigung des Sozialstaates und seiner Weiterentwicklung unter den Bedingungen des Shareholder Value-Kapitalismus stark gemacht.
Diese Schwäche der PDS führte dazu, dass die bisherigen politisch-ideologischen Gräben der Linken trotz Auflösung der Systemkonfrontation nicht verlassen werden konnten. Die Bundestagswahlen wurden für die Linkspartei.PDS zu einem Existenz- und Überlebenskampf. Bedrückender noch: Die politische Linke insgesamt blieb trotz einer massiven Offensive des Neoliberalismus gesellschaftlich marginal. Mit dem Zusammengehen in der Bundestagswahl entstand die Chance der Überwindung der bisher trennenden Schranken innerhalb der Linken.
In Umfragen pendelt die WASG/Linkspartei Mitte 2006 immer noch um ihr Ergebnis bei den Bundestagswahlen (8,7%); auch für Westdeutschland zeichnet sich ein Stimmenanteil jenseits der 5%-Marke ab. Das verdeutlicht: Ein Teil der Wahlbevölkerung weiß um die Zumutungen der Großen Koalition: von der Gesundheits- und Rentenpolitik über die Arbeitsmarktpolitik bis hin zur Steuerpolitik.
Die neoliberale Hegemonie wird brüchig. Seinen Ausdruck findet dies seit geraumer Zeit in einem wachsenden Vertrauensverlust in die gesellschaftlichen Institutionen und Formen demokratischer Willensbildung. Die politische Klasse insgesamt, nicht nur die Sozialdemokratie, reagiert auf diese Tendenz mit einer wenig überzeugenden Politik. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung will sich nicht mit dem Abbau sozialer Rechte und der Zerstörung sozialen Eigentums (Krankenversicherung, Alterssicherung, öffentliche Versorgung) abfinden und hält aufgrund tief verwurzelter sozialstaatlicher Normen an der Erwartung einer sozialen Regulierung des Kapitalismus auch für das 21. Jahrhundert fest. Diese Normen sind keineswegs auf die untere Hälfte der sozialen Pyramide beschränkt; auch beträchtliche Teile der Mittelschichten haben sie übernommen.
Die Linke hat eine Chance, den neoliberalen Gesellschaftsumbau zu stoppen.
Wir müssen mit unseren konkreten Politikangeboten die Tendenz zu großen gesellschaftlichen Bündnissen gegen die Zerstörung von sozialer Sicherheit und gegen die weitere Flexibilisierung der sozialen Verhältnisse verstärken. Selbstverständlich ist die Weiterentwicklung unserer Alternativen unverzichtbar. Und: Die Weiterentwicklung macht nur Sinn, wenn wir die bisherigen Konzeptionen kritisch überprüfen. Wenn im Aufruf allerdings die Staatsfixiertheit zu einem Lackmus-Test linker Realpolitik hochstilisiert wird, dann halten wir dies für ein krasses Missverständnis.
- Wir wenden uns gegen den wachsenden Druck zu einer Vermarktlichung aller Lebensverhältnisse; wir wehren uns gegen die Ausweitung der Kapitalverwertung und den immer krasseren Zugriff der Unternehmen und Vermögenden auf den verteilungsfähigen Reichtum dieser Gesellschaft.
- Wir kritisieren die Herausbildung einer Nation von Kapitaleigentümern und Vermögenden, weil dies mit wachsenden sozioökonomischen Problemen und der Verstärkung der sozialen Spaltung verbunden ist.
- Wir sind dafür, die Politik der Deregulierung und Privatisierung zu stoppen und fordern als nächste Schritte eine gemischte Ökonomie von privatkapitalistischem und öffentlich-gemeinnützigem oder kommunalem Sektor. Dabei wollen wir einige gesellschaftliche Teilbereiche ganz von der Kapitalverwertung ausgeschlossen wissen.
- Schließlich fordern wir für alle BürgerInnen die Wiederherstellung sozialer Sicherheit und eines solidarischen Gesundheits- und
Bildungssystems.
Dies ist ohne staatliche Intervention in die Verteilungsverhältnisse, aber auch ohne Steuerung der gesellschaftlichen Ökonomie nicht zu haben. Diese Übergangsforderungen haben weder etwas mit einer nostalgischen Sehnsucht nach dem Sozialstaat der 1960er Jahre zu tun noch mit Staatsfixiertheit. Die Freisetzung der „kreativen, innovativen Kräfte in der Gesellschaft“, die im „Aufruf“ gefordert wird, setzt vielmehr die gesellschaftliche Regulation voraus. Wenn hier die eigentliche Differenz zur Position von Lafontaine und zu einem Teil der WASG vermutet wird, dann müsste diese Kontroverse klarer angesprochen werden.
Bis zum Frühjahr 2007 ein einigermaßen konsensfähiges Gründungsmanifest für die neue Linke vorliegen wird, wird es noch einige Wortmeldungen und Debatten geben. Dieses Gründungsmanifest ist dann aber erst der Startschuss für eine fortgesetzte Auseinandersetzung über Politikangebote und strategische Konzeptionen in der neuen Partei.
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