Programmatische Eckpunkte III – brauchbare Grundlage für die Parteibildung der Linken
Von Ralf Krämer
Die am 22.10.2006 von den Parteivorständen von Linkspartei.PDS und WASG beschlossenen programmatischen Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei“ sind auf einige Kritik gestoßen, insbesondere auch von links. Vertreterinnen der „Antikapitalistischen Linken“ sehen sogar eine „Kehrtwende nach rechts“ und „die SPD rechts überholt“. Diese Kritik wird der Bedeutung der Eckpunkte nicht gerecht.
Zentraler Kritikpunkt der Antikapitalistischen Linken ist das mangelnde Bekenntnis zum „Demokratischen Sozialismus“. Dieser wird zwar in den Eckpunkten mehrfach genannt als wichtige Orientierung für viele in der Partei, aber nicht als verbindliche Zielbestimmung der Partei insgesamt. Darauf haben die WASG-VertreterInnen in der Programmgruppe bestanden, weil viele der in der WASG Aktiven sich – bisher – nicht als SozialistInnen verstehen und vermieden werden muss, dass diese sich ausgegrenzt fühlen. Der Parteibildungsprozess ist ohnehin kompliziert genug und es ist wichtig, diese Menschen mitzunehmen, von denen viele in der Sache sehr konsequent linke Positionen vertreten. Wir sollten sie nicht durch ein – politisch letztlich wenig relevantes – Bekenntnis vor den Kopf stoßen.
Stattdessen sollten wir uns besser darum bemühen, Diskussionsprozesse zu organisieren, in deren Verlauf eine fundierte Kritik des Kapitalismus und die Notwendigkeit einer über ihn hinaus weisenden Perspektive vermittelt wird. Nur so kann eine tatsächliche Orientierung auf Demokratischen Sozialismus gestärkt und dieser Begriff auch mit Gehalt und Bedeutung für die politische Praxis der Partei gefüllt werden. Ob und inwieweit hier klarere Formulierungen möglich sein werden, vielleicht schon im Gründungsprogramm oder später im neuen Grundsatzprogramm der Linken, wird davon abhängen, ob dies auch in der WASG auf breite Zustimmung stößt. Jedenfalls gilt: Der Fortschritt der Linken und die Perspektiven des Sozialismus entscheiden sich in den Klassenkämpfen und politischen Auseinandersetzungen gegen den Neoliberalismus und nicht daran, auf dem Papier den Sozialismus zu beschwören.
Tatsächlich hat das Bekenntnis zum Demokratischen Sozialismus für die reale Politik der Linkspartei.PDS kaum Bedeutung. Dem ostdeutschen Realo-Flügel der Linkspartei dient es vor allem als Alibi, um Zustimmung in der Partei zu gewinnen. Gleichzeitig wird eine parlamentarische und Regierungspolitik betrieben, die mit Sozialismus wenig zu tun hat. Meines Erachtens wird die neue Partei durch den Einfluss der WASG in der Substanz eher sozialistischer und antikapitalistischer werden als bisher. Dies äußert sich insbesondere in klareren, an den Interessen der abhängig Arbeitenden und der sozial Benachteiligten und gegen die Interessen des exportorientierten Kapitals gerichteten gewerkschaftlich orientierten Alternativpositionen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
In der vom Mainstream der Linkspartei.PDS vertretenen Version ist der Begriff des Demokratischen Sozialismus von antikapitalistischen Inhalten weitgehend entleert. Es ist zwar diskussionsbedürftig, ob und in welcher Weise eine Orientierung auf Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftsbereiche heute zielführend ist. Aber eine klarere Präferenz für öffentliche und nicht-kapitalistische Eigentumsformen und eine ausdrückliche Öffnung für die Möglichkeit der Vergesellschaftung, wie sie auch im Grundgesetz Artikel 15 vorgesehen ist, wäre im Gründungsprogramm durchaus sinnvoll. Es kommt jedenfalls darauf an, die Diskussion um den politischen Gehalt linker und sozialistischer Politik zu führen, anstatt diese Debatte durch das gemeinsame Bekenntnis zum Demokratischen Sozialismus zuzudecken.
Eine linke Kritik an dem Entwurf der programmatischen Eckpunkte ist durchaus gerechtfertigt und notwendig. Viele Punkte sind in der Tat unbefriedigend, einige auch ärgerlich. Die Kapitalismuskritik ist arg verkürzt. Die Positionen der Linken werden zu sehr mit abstrakten Wertorientierungen begründet, zu wenig klassenpolitisch, aus den Bedürfnissen und Interessen, Sorgen und Nöten der Mehrzahl der Menschen. Die ArbeiterInnenbewegung und die verschiedenen anderen sozialen und politischen Kräfte und Bewegungen werden zu undifferenziert nebeneinander gestellt, obwohl ihre gesellschaftspolitischen und historischen Dimensionen sehr unterschiedlich sind. Manche historischen Darstellungen sind ungeeignet. Das politische Profil wird nicht immer klar genug formuliert. Die strategischen Überlegungen sind unscharf. Die Kriterien für Regierungsbeteiligung könnten präziser formuliert werden. Internationale und Friedensfragen und etliche wichtige Einzelpunkte sind unzureichend behandelt. Man könnte dies seitenlang ausformulieren. Zudem ist der Text nicht besonders ansprechend formuliert.
Aber eine solche Kritik wird falsch und desorientierend, wenn sie nicht eingeordnet wird. Wenn die Bewertung der Programmatischen Eckpunkte sich auf diese Kritik beschränkt, wird sie der Bedeutung des Textes nicht gerecht, sondern zeugt eher von erheblichen Mängeln in der Einschätzung und Bewertung der politischen Situation und der Auseinandersetzungen in der Linken. Denn die Mängel und Schwächen der Eckpunkte sind Ausdruck der politischen Situation und der unterschiedlichen Positionen innerhalb der Linken selbst, die durch einen Programmtext nicht auszuräumen sind. Und sie entsprechen dem unentwickelten Bewusstseins- und Diskussionsstand und den unterschiedlichen Positionen in großen Teilen der Bevölkerung, deren Unterstützung wir gewinnen wollen.
Zunächst mal muss Klarheit herrschen über den Maßstab einer politisch angemessenen Kritik. Die Programmatischen Eckpunkte sollen keine wissenschaftliche Analyse bieten und sie sind auch kein Strategiepapier. Die Eckpunkte sollen die gemeinsamen programmatischen Grundlagen für die neue Partei Díe Linke formulieren. Diese Partei und eine starke Linke in Deutschland insgesamt wird pluralistisch oder sie wird überhaupt nicht sein.
Wenn unterschiedliche Positionen in zentralen Fragen bestehen, geht es um Verständigung und Weiterentwicklung von Positionen. Manchmal sind auch Mehrheitsentscheidungen unumgänglich. Aber prägend wird die Suche nach Kompromissen und nach – manchmal dann eben etwas unscharfen – Formulierungen sein müssen, die für breite Mehrheiten tragbar sind. Diesem Ziel werden die Programmatischen Eckpunkte gerecht: sie sind ein vertretbarer Kompromiss und damit eine geeignete Grundlage für die Parteibildung.
Alles weitere wird in den Debatten und politischen Auseinandersetzungen in der neuen Partei auszutragen sein. Jetzt geht es erst mal darum, diese zustande zu bringen. Aber auch später gilt, dass die Pluralität der Linken geachtet werden muss. Wir sollten auch nie vergessen, dass es nicht primär um Bekenntnisse geht, sondern darum, Politik zu machen und Kräfteverhältnisse zu verändern – es geht um eine politische Partei und nicht um die Kirche der Linken und des Sozialismus. Ich warne vor der Erwartung, durch Formulierungen in Grundsatzprogrammen könnten politische Entwicklungen in der Partei ausgeschlossen werden, die in eine andere Richtung gehen. Wie sich die Partei und ihre Parlamentsfraktionen in konkreten Situationen verhalten, wird immer in den jeweils aktuellen Auseinandersetzungen und Kräfteverhältnissen entschieden, zu denen Programmbeschlüsse nur einen Beitrag leisten.
Aus Sicht der WASG gehört zu einer ausgewogenen Beurteilung der Eckpunkte, dass unsere Anliegen für Arbeit und soziale Gerechtigkeit und ein starker Bezug auf Gewerkschaften und soziale Bewegungen deutlich Eingang gefunden haben. Sie stehen viel klarer und stärker im Mittelpunkt, als es im bisherigen PDS-Programm der Fall war. Während im PDS-Programm die Prägung durch die DDR-Geschichte und Ostdeutschland stark dominierte, beschreiben die Eckpunkte Grundlagen einer gesamtdeutschen Partei, in der die Erfahrungen und Anliegen der primär ostdeutschen Linkspartei.PDS und der im Kern westdeutschen WASG gleichberechtigt zusammen fließen.
Für den weiteren Umgang mit den Eckpunkten macht es keinen Sinn, in großem Stil Änderungen zu fordern, die nicht in beiden Parteien tragfähig sind. Änderungen können nur durchgesetzt werden, wenn sie in beiden Parteivorständen oder im März 2007 auf beiden Parteitagen jeweils mehrheitsfähig sind. Änderungsbegehren sollten sich also auf wenige Punkte beschränken und müssen, wenn sie ernst gemeint sein sollen, damit verbunden werden, in beiden Parteien Mehrheiten dafür zu organisieren. Wenn es zu keinen relevanten Veränderungen mehr kommt, ist dem Text als programmatische Grundlage für die Parteibildung zuzustimmen.
Ralf Krämer, Mitglied des WASG-Bundesvortands und der gemeinsamen Programmgruppe von L.PDS und WASG, ist einer der Sprecher der Sozialistischen Linken