Verantwortung für die Linke übernehmen
Von Harald W. Jürgensonn*
Jede Ablenkung ist recht, wenn sie die zu erledigende Arbeit auch nur ein bisschen aufschieben kann. Jede Entschuldigung willkommen, Kompromiss als klare Meinung zu definieren. Keine Diskussion zu lang, wenn sie Verantwortung abnimmt. Die Linke in Deutschland hat Arbeit vor sich, sie muss sich als deutlich zeigen, und sie trägt Verantwortung. Und was macht sie in Teilen? Sie lenkt (sich) ab, sie zerfließt in Kompromissen. Sie scheut die Verantwortung – in erster Linie für sich selbst.
2005, vor der Bundestagswahl, waren WASG und Linkspartei in Rheinland-Pfalz zum Beispiel noch die Sorgenkinder der Bundesparteien. Ein Lernprozess fand statt. In dem es aber nicht darum ging, was und wer denn nun links sei. Sondern darum, zu erkennen, dass alle Schwierigkeiten bis dato nur auf jeweiligem Nichtwissen um den politischen Partner beruhten. Ergebnis des Lernprozesses: Die Linke gibt sich einig. Was wiederum denen nicht passt, die PC-Rhetorik für Realpolitik halten. Und – in beiden Parteien gleichermaßen wie im außerparteilichen Spektrum – wirken wie Kinder, die im Rollenspiel anrührend-hilflos-naiv Erwachsensein nachspielen. Für eine gewisse Zeitspanne mag das lehrreich sein, für ernsthafte Politik ist es zu wenig. Für gesellschaftlich-politische Veränderung reicht’s allemal nicht. Geschweige denn für Aufbau und Stärkung einer wirklichen Linken.
Die Linke muss, deutlicher noch und vor allem lauter als andere Parteien und Bewegungen, Dinge beim Namen nennen. Sozialabbau, Korruption, Kriegspolitik, Umweltzerstörung – hier hat sie Stellung zu beziehen. Nicht mit vorweggenommener Kompromissbereitschaft, sondern kompromisslos. Sicherlich war es richtig und wichtig, für den Einzug ins Bundesparlament eine Bandbreite quer durch alle politischen Strömungen zu bedienen. Genauso wichtig und richtig ist es aber, eins unmissverständlich zu formulieren: Die Linke will hin zu einer sozial gerechten Politik. Und die wird nicht innerhalb eines sterbenden Kapitalismus möglich sein, der beim Sturz in den Abgrund all die mit sich reißt, die ihm noch die Hand reichen, die ihn stützen, an ihm festhalten. Die Linke muss loslassen. Um die Hände frei zu haben für den Aufbau des demokratischen Sozialismus.
Die Linke hat sich nicht an entristischen Splittergruppen zu orientieren – die Linke ist kein Wirtstier für Sektierer. Sie hat sich nicht an SPD-Nostalgikern zu orientieren, die das Godesberger Programm von 1959 ins Jetzt transportieren wollen – die Linke ist kein Museum für vermeintlich kleinere Übel. Die Linke hat sich auch nicht an Gewerkschaften zu orientieren – sie ist kein parlamentarisches Bein derer, die unter Widerstand wenig mehr verstehen als kantenlose Zusammenarbeit mit denen, die den Interessen der von ihnen vertretenen Arbeitnehmer entgegenstehen. Die Linke hat die Aufgabe, möglichst viele mitzunehmen auf dem Weg zum demokratischen Sozialismus – aber nicht um den Preis von Selbstverleugnung und Selbstaufgabe.
Spätestens in einem Jahr soll die Linke bundesweit als neue Partei existieren. Noch ist sie eine Bewegung – und muss es auch nach der Parteineubildung bleiben, um nicht zu ersticken, indem sie immer wieder nur den eigenen Atem in die Lungen zieht. Die Kommunistische Plattform hat hier als Strömung ebenso Platz zu finden wie Friedens- und Umweltbewegungen, wie Sozialverbände und Friedensorganisationen. Es geht um ein Ziel – und dieses Ziel wird die Linke nur erreichen, wenn sie zusammenhält. Es geht nicht um die Maxime „Sektierer aller Länder, vereinigt Euch“, sondern um den Willen und die Kraft – und den Mut! – zum Bekenntnis „Sozialismus“. Wer sich diesem Bekenntnis jetzt nicht anschließt, wer weiterhin die Linke mit energiezehrenden Diskussionen um persönliche Eitelkeiten und theoretische Hinterstübchenstrategien von innen her bekämpft, muss sich fragen lassen, ob er richtig ist in Linkspartei oder WASG, ob er wirklich hinter dem steht, was hinter der Linken steht. Dahinter stehen soziale Gerechtigkeit, konstruktive Arbeit an Systemveränderung und neues, fortschrittliches Denken. Nicht innerparteiliche Ränke, nicht destruktive Verschwörungszirkel.
Die Linke hat überall da zu sein, wo es gilt, soziale Gerechtigkeit aufzuzeigen. Flagge zu zeigen bei Demonstrationen wie am 3. Juni in Berlin, am 14. Juli in Stralsund. Sie hat eine von vielen Stimmen in Deutschland, in Europa und weltweit zu sein, die amerikanische Auslandspolitik als das benennen, was sie ist: Staatsterrorismus. Die russische Innenpolitik als das bezeichnen, was sie ist: diktatorischer Terror. Die Linke hat sich kundig zu machen über das, was in Lateinamerika geschieht, in der sogenannten Dritten Welt, ja sogar in Amerika: die verstärkte Wendung nach Links. Sie hat aufzustehen gegen Rechts – und die Verbindungen aufzuzeigen, die bis in Wirtschaft und etablierte Parteien hineinreichen. Sie hat nicht zu reagieren, sondern zu agieren, wenn es um die Aufdeckung von Wirtschaftsallianzen geht, deren Ziel nur eins ist: den Reichtum Weniger zu mehren auf Kosten der Armut Vieler. Die Linke in Deutschland hat – wie die Linke überall – eine Bildungs- und Aufklärungsaufgabe, die Verpflichtung ist. Dieser gemeinsame, gerade Weg der Linken ist nur möglich, wenn sich die Linken unterhaken. Und nicht gegenseitig unterharken.
WASG und Linkspartei haben in Deutschland zurzeit gemeinsam rund 80.000 Mitglieder. Nicht alle werden sich der neuen, gesamtdeutschen Partei der Linken anschließen. Das ist nicht schlimm. Denn in beiden Parteien sind heute Mitglieder, denen es nicht um das konkrete Erreichen des gemeinsamen Ziels geht, sondern um theoretisch-abstraktes Klein-Klein. Sie geben Antworten auf nie gestellte Fragen. Dabei sind gestellte Fragen so einfach zu beantworten. Regierungsbeteiligung der Linken? Aber ja – denn nur so ist linke Politik durchzusetzen. Um jeden Preis? Aber nein – der demokratische Sozialismus ist keine Basarware, um die zu feilschen ist. Wie hältst Du es mit der Radikalität? Wenn sie zum Ziel, nämlich zum Ziel des demokratischen Sozialismus führt, ist sie ein Muss – wie Generalstreik und Hausbesetzung. Und – wir sind in Deutschland nicht mehr weit davon entfernt – Straßenkampf in Form von Massendemonstration mit friedlicher Stilllegung öffentlichen und unternehmerischen Lebens. Radikal kommt aus dem Lateinischen – von „radix = Wurzel“. Die Linke ist verwurzelt im Volk, verankert in dessen Interessen. Sie hat radikal zu sein. Sonst verliert sie ihren Halt.
Die Linke in Deutschland kämpft für eine soziale Idee. Für einen Politikwechsel, der sich nicht erschöpft im Kampf gegen Sozialabbau, Kriegspolitik und Wirtschaftsdiktatur. Sie kämpft für die Interessen aller Bürgerinnen und Bürger – und sie ist Teil der linken Bewegung, die immer größere Teile der Bevölkerung erfasst – in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt. Innerhalb dieser Bewegung hat sie wichtige Aufgaben zu übernehmen – in konkreter Kommunal- und Landes- und Bundespolitik. Sie hat die Besten aus ihren Reihen auszuwählen, die diese Politik offensiv vertreten. Ohne Blick darauf, ob sie aus WASG oder Linkspartei kommen, ob sie eine K- oder eine C-Vergangenheit haben. Geschärft sein muss nur der Blick darauf, was diese Repräsentanten wirklich wollen. Ist es der fortschrittliche, demokratische Sozialismus, hat die Linke die Richtigen ausgewählt. Ist es rückwärtsgerichtete Sozialdemokratie oder Rexsoz-Sehnsucht, hat sie versagt. Und das ist das Schlimmste, was der Linken in Deutschland passieren kann. Gleich nach Selbstzerfleischung und Foren-Harakiri. Kompromisslose Linkspolitik durch klare Meinung und Verantwortung: Dieses Ziel ist gesteckt. Und die Linke in Deutschland wird es erreichen. Sie muss es nur wollen.
*(Harald Jürgensonn, Jahrgang 1955, ist Journalist und stellvertretender Landesvorsitzender der WASG in Rheinland-Pfalz)